# taz.de -- Forscher:innen fordern Abitur-Reform: Alle Sprachen sollen zählen | |
> Eine Forschungsgruppe der Universität Bremen fordert, dass in der | |
> Abiturprüfung als zweite Fremdsprache alle Sprachen zugelassen werden. | |
Bild: Abi-Prüfung: Wer zu Hause Französisch spricht, hat einen Vorteil, wer T… | |
Bremen taz | Das Fremdsprachenangebot an deutschen Schulen weist nur wenige | |
Überschneidungen mit den in Deutschland gesprochenen Sprachen auf. Das | |
kritisieren Wissenschaftler:innen der Universität Bremen. Im Rahmen | |
des Forschungsprojekts „Tramis“ fordern sie deshalb eine Abiturreform nach | |
dem Motto: „Alle Sprachen zählen!“ | |
„Eine zweite Fremdsprache in der Schule lernen oder eine Sprachprüfung in | |
einer beliebigen Sprache bestehen – das sollte gleichwertig als | |
Voraussetzung für die Allgemeine Hochschulreife anerkannt werden“, sagt | |
Dita Vogel von der Universität Bremen. Von einer solchen Änderung würden | |
vor allem mehrsprachig aufgewachsene Jugendliche profitieren – in Bremen | |
sind das laut einer Untersuchung von Vogels Forschungsbereich [1][ganze 51 | |
Prozent der Schüler:innen]. | |
Deutschlandweit haben [2][39 Prozent der unter 18-Jährigen einen | |
Migrationshintergrund], stellt die Bundeszentrale für politische Bildung im | |
Datenreport 2021 fest. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes | |
[3][sprechen ebenfalls rund 39 Prozent der Haushalte], in denen mindestens | |
eine Person mit Migrationshintergrund lebt, überwiegend eine ausländische | |
Sprache – am häufigsten Türkisch, Russisch, Polnisch und Arabisch. An den | |
Schulen wird neben Englisch jedoch hauptsächlich Französisch, Latein und | |
Spanisch unterrichtet. | |
Den Wissenschaftler:innen der Universität Bremen zufolge haben 51 | |
Prozent der Schüler:innen im Schuljahr 2018/19, die den Unterricht einer | |
Sprache außer Englisch besucht hätten, Französisch belegt, jedoch nur zwei | |
Prozent Türkisch. Demgegenüber werde Türkisch jedoch in 14 Prozent der | |
Haushalte gesprochen, in denen Deutsch nicht die primäre Sprache sei, | |
Französisch nur in zwei Prozent. | |
## Vielfältige transnationale Bezüge | |
Vogel hat das Projekt „Transnationale Mobilität in Schulen“ mitgeleitet. | |
Die Wissenschaftler:innen haben sich damit auseinandergesetzt, wie | |
Schulen besser mit den vielfältigen transnationalen Bezügen und | |
Mobilitätsperspektiven von Schüler:innen umgehen können. Ein Ergebnis: | |
Das Sprachenlernen in der Schule sei dringend reformbedürftig. | |
Um das Abitur zu erlangen, müssen in Deutschland bislang zwei Fremdsprachen | |
in der Schule erlernt werden. Mehrsprachig aufgewachsene Kinder müssten so | |
teilweise eine vierte oder fünfte Fremdsprache belegen, sagen die | |
Wissenschaftler:innen. Eine Ausnahme von dieser Regelung existiert dabei | |
nur für Schüler:innen nicht-deutscher Herkunftssprache, die erst spät im | |
Verlauf ihrer Schullaufbahn in eine Schule in Deutschland eintreten. | |
Vogel sieht in der derzeitigen Regelung eine Benachteiligung. „Wenn jemand | |
zu Hause Französisch spricht, dann kann er in den Fremdsprachenunterricht | |
gehen und das zählt auch für den Schulabschluss. Wenn jemand aber mit einer | |
Sprache aufwächst, die nicht an der eigenen Schule angeboten wird, dann | |
zählt die Sprache nicht.“ Lediglich ein Teil der Schüler:innen habe in | |
einem Teil der Bundesländer unter Umständen die Möglichkeit, sich einen | |
sogenannten Herkunftssprachenunterricht gleichwertig mit dem | |
Fremdsprachenunterricht anrechnen zu lassen. | |
Das müsse sich ändern, findet Vogel. Sie fordert von der | |
Kultusministerkonferenz, dass die Regelung für die zweite Fremdsprache | |
zumindest um einen Rechtsanspruch auf Prüfungen in allen Sprachen ergänzt | |
wird. Auf taz-Anfrage schreibt der Pressesprecher der | |
Kultusministerkonferenz, man halte daran fest, dass das Erlernen zweier | |
Fremdsprachen in der Schule Voraussetzung für die Erlangung der Allgemeinen | |
Hochschulreife sei. „Es sei angemerkt, dass es im Fremdsprachenunterricht | |
nicht nur um die Vermittlung einer rein sprachlichen Kompetenz geht, | |
sondern auch um interkulturelles Lernen.“ Momentan seien keine Schritte in | |
die von der Universität Bremen geforderte Richtung geplant. | |
In der Stadt Bremen ist man sich der Thematik bewusst. „In Bremen wächst | |
jedes zweite Kind mehrsprachig auf“, schreibt die Pressesprecherin der | |
Bildungssenatorin auf taz-Nachfrage. Das zeige bereits die Notwendigkeit, | |
Regelungen zu finden, die diese Lebenssituation junger Menschen auch in der | |
Schule berücksichtigen. Um die wechselseitige Anerkennung des Abiturs zu | |
sichern, müsse es jedoch eine bundesweite Absprache geben. | |
Auch Martin Stoevesandt, Vorstandssprecher des Zentral-Eltern-Beirats | |
Bremen, begrüßt den Vorstoß der Universität: „Der Ansatz ist logisch und | |
die Forderung nachvollziehbar.“ Aus juristischer Perspektive könne jedoch | |
ein Gleichbehandlungsproblem entstehen, wenn Schüler:innen eine Prüfung | |
in ausländischer Muttersprache für das Abitur ablegen könnten, welche dann | |
als zweite Fremdsprache gewertet würde. | |
Vogel ist trotzdem zuversichtlich. „Wir leben in einer mehrsprachigen | |
Gesellschaft und es ist nicht mehr zeitgemäß, in der Schule nur noch von | |
Fremd- und Herkunftssprachen zu sprechen.“ Der Vorschlag der Universität | |
Bremen ist dabei eher ein Kompromiss. Eigentlich müsste sich etwas am | |
Lernen und nicht nur an der Anerkennung ändern, ist Vogel überzeugt. „Im | |
Grunde müsste man gewährleisten, dass alle Erstsprachen anerkannt werden.“ | |
Dabei ist ihr klar, dass Unterricht in allen Sprachen kaum zu ermöglichen | |
ist. Sie hält einen Mehrsprachenunterricht für eine mögliche Lösung. „So | |
könnten die Schüler in einem binnendifferenzierten Unterricht ihre | |
Sprachenkenntnisse weiterentwickeln und würden auch in der Schule in ihrer | |
Erstsprache gefördert.“ | |
Wie es gehen kann, zeigt zum Beispiel Hamburg. Dort werden Abiturprüfungen | |
in elf Sprachen angeboten, darunter Türkisch, Arabisch, Farsi und | |
Chinesisch. Eine Anerkennung aller Sprachen ist jedoch nicht absehbar. | |
Daher scheint es vorerst dabei zu bleiben, dass es Sprachen gibt, die in | |
der Schule und für das Abitur von größerem Nutzen sind als andere. | |
11 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.uni-bremen.de/fileadmin/user_upload/fachbereiche/fb12/fb12/Inte… | |
[2] https://www.bpb.de/nachschlagen/datenreport-2021/bevoelkerung-und-demografi… | |
[3] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2018/09/PD18_329_122.h… | |
## AUTOREN | |
Tjade Brinkmann | |
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