# taz.de -- Protestvideo von Poeten in Myanmar: Erde in meinem Gesicht | |
> Der Aufstand des Volkes von Myanmar gegen den Militärputsch wird von den | |
> Intellektuellen unterstützt. Das zeigt ein Protest-Video. | |
Bild: Szene aus dem Video Poets against Dictatorship | |
China, shame on you, dieses in Rot gehaltene Plakat lehnt an der Hauswand | |
hinter den Bänken, auf denen Menschen sitzen, die es nicht eilig haben. Das | |
war im Februar 2021. | |
Als die Videokamera den Dichter Lun Sett Noe Myat in den Blick nimmt, gehen | |
die Leute nicht weg. Sie bleiben im Bild, während er dazu auffordert, sich | |
denen anzuschließen, die nicht zur Arbeit gehen. „Könnt ihr wirklich | |
glücklich sein, wenn ihr seht, wie eure Kinder Min Aung Hlaing die Stiefel | |
lecken? / Wie seine eigenen Kinder stinkreich werden? Könnt ihr wirklich | |
sagen,gut gemacht', wenn eure Enkelkinder ums Überleben kämpfen / Seid ihr | |
wirklich glücklich im Büro und auf der Arbeit / während pistolenschwingende | |
Militärs euch unterdrücken und wie Kühe behandeln?“ | |
Der Dichter steht vor der Wand eines Gebäudes, er trägt das schwarze | |
T-Shirt der Writers’ Union of Myanmar, der Schriftsteller-Gewerkschaft. | |
## Zeugnis ablegen | |
Es sind 32 Dichterinnen und Dichter, die hier vor die Kamera treten und | |
öffentlich darüber Zeugnis ablegen, dass sie Teil der Bewegung sind – | |
[1][der Bewegung gegen den Coup] der Militärs. An dessen Spitze steht mit | |
Min Aung Hlaing ein Militär der ersten Stunde. Nachdem die Wahlen im | |
November 2020 den überwältigenden Sieg der NLD und Aung San Suu Kyis | |
ergaben, setzte er die Verfassung außer Kraft und bestritt die Legitimität | |
des Wahlausgangs. | |
Aung San Suu Kyi als oberste Repräsentantin wie auch Präsident Win Myint | |
wurden verhaftet und unter Hausarrest gestellt sowie zahlreiche weitere | |
Regierungsmitglieder. Das Militär putschte sich an die Macht. „Free our | |
Leaders“ ist auf einem anderen Plakat geschrieben. | |
Das Video wurde innerhalb von drei Tagen unter mühsamen Bedingungen | |
gedreht. Einige Verabredungen hatten abgesagt werden müssen, weil die | |
Kommunikation untereinander schwierig wurde und Transportprobleme | |
auftraten. Immer wieder ging die Polizei mit [2][Razzien gegen | |
Protestierende] vor und machte Straßenzüge unpassierbar. | |
## Hilfe in der Not | |
Die Gewerkschaft der Schriftsteller hat sich seit den ersten Februartagen | |
an den Kämpfen gegen den Coup der Militärs beteiligt. Sie ist für soziale | |
Belange zuständig, vor allem, wenn jemand in Not gerät. Bereits wenige Tage | |
zuvor, am 3. Februar, war ein Statement der Independent Writers of Myanmar, | |
unterschrieben von 125 Schriftstellerinnen und Schriftstellern, erschienen. | |
Darin erklären sie: „Wir, die Independent Writers of Myanmar, verurteilen | |
die Machtübernahme des Militärs und die Verhaftung der gewählten Führung | |
scharf. Wir fordern geschlossen die sofortige und bedingungslose | |
Freilassung aller Inhaftierten“. | |
Der Videoclip „Poets against Dictatorship“ dauert 8:12 Minuten. Menschen | |
sind auf den Straßen, sitzen am Boden, vor ihnen eine Plane mit der | |
Aufschrift: „Civil Disobedience Movement Myanmar“. Bewegung des Zivilen | |
Ungehorsams. Ein Vorsprecher ruft: „Weg mit der Militärdiktatur!“ Die Menge | |
antwortet: „Weg, weg.“ Vorsprecher: „Streik, Streik.“ Antwort: „Prote… | |
Protest.“ Vorsprecher: „Revolution.“ Antwort: „muss siegen“. Auf der … | |
lodert ein Feuer. Flugblätter mit promilitärischer und nationalistischer | |
Propaganda werden von den Umstehenden in die blau gestrichene Eisentonne | |
geworfen und verbrennen. | |
Unter den älteren sehr bekannten Dichterinnen und Dichtern des Landes ist | |
es Thitsar Ni, der zunächst aus dem Off rhythmisch einen Sprechgesang | |
anstimmt: Gerechtigkeit und Frieden. Und weiter: „Wir sehen, wie sie unsere | |
Nationalhymne aufs Schafott schicken. / Die Ansage, die Ära der Sandalen | |
sei zu Ende gegangen / Kommt in der Öffentlichkeit an wie ein gebrauchtes | |
Kondom aus einem Bordell.“ | |
## Revolte gegen Sklavenmentalität | |
Zeyar Lynn, auch bereits betagt, würdigt den Mut der Jungen, der Kinder, | |
wenn er sagt: „Wir können die Zeit nicht zurückdrehen / Die Kinder, die du | |
und ich nicht hatten / haben zu den Waffen gegriffen zu einer Zeit, als wir | |
nicht lebten / Sie haben sich gegen die Befehle von oben gerichtet / und | |
[3][revoltierten gegen die Sklavenmentalität] / sie haben sie in eine | |
Salztüte gestopft und im Fluss aufgelöst / Was Millionen denken, ihre | |
Partikel vereinigen sich wie ein zitternder, aber dennoch entschlossener | |
Faden“. | |
Im Gedicht „Ogre Aluwaka“ prophezeit Maung Pyiyt Min die Kapitulation des | |
Monsters. Damit knüpft er an die buddhistische Ethik an, deren Träger die | |
burmesische Mehrheitsgesellschaft ist und fordert die Rückkehr zur | |
Rechtsstaatlichkeit ein. „Wütend wie Höllenfeuer / droht The Ogre Aluwaka | |
mit Gebrüll / und zeigt seine Schrecken erregenden Reißzähne / aber er wird | |
auf der Brust liegen / Und er wird aufgeben zu Füßen von Dharma und Sila / | |
das ist der Weg der Wahrheit.“ | |
Es ist deutlich, dass diejenigen, die den Protest der 32 organisierten, | |
darauf achten, alle Generationen zu berücksichtigen, Männer, Frauen und | |
diejenigen, die einer Minderheit angehören, wie der muslimische Dichter | |
Linn Way Khat. In den Texten wird das Gemeinsame, das sie alle jetzt | |
bewegt, beschworen. „Ihr modernen Mütter / haltet die Kinder nicht auf / | |
wenn sie nach draußen gehen, um Gerechtigkeit zu fordern / Sie reißen von | |
ihrem Longyi einen Fetzen ab / und umwickeln die Arme ihrer Kinder / damit | |
sie behütet sein mögen vor den Geschossen / Es sind Helden und Heldinnen in | |
Bewegung / Auf den Straßen der Revolution, ein Ansturm in Rot.“ (Thu Htoo) | |
Klage, Anklage und die politischen Forderungen des Tages durchziehen die | |
Texte. | |
## Aufruf zum Streik | |
Immer wieder der Appell an alle, nicht zur Arbeit zu gehen, nicht ins Büro: | |
„Mögen sich die Verdienste aller, die sich der Arbeit entziehen / | |
vervielfachen und mögen ihre Gebete erhört werden / Möge allen, die nicht | |
zur Arbeit gehen / Ein reines Herz zuteil werden und aller Menschen | |
Wohlgefallen / Mögen alle, die zu Hause bleiben / gesegnet sein | |
gleichermaßen von den Seelen und den Menschen / Mögen alle, die den Boykott | |
tragen und nicht zur Arbeit gehen / die Kraft haben, den Kampf | |
weiterzuführen.“ (Thakhout Thar) | |
Die Stimmen der jüngeren Autorinnen und Autoren sprechen vom „Dauerton in | |
den Fernsehprogrammen“ (Soe Lu Htet), davon, dass jemand die Teilnahme bei | |
einem Festival absagt, „denn ich weiß, dass es mit russischem Geld | |
gesponsert ist, „Und meine Antwort spiegelt die Gefühle der Völker Myanmars | |
wider.“ (Han Lynn) | |
Die Autorinnen und Autoren sind auch Teil einer Bewegung, die sich dazu | |
bekennt, verschiedene Ethnien als Teil der gesellschaftlichen Gesamtheit zu | |
begreifen, sich nicht mehr spalten zu lassen und genau zu sprechen. „Unser | |
Herzschlag, der Ton des Aufbruchs / er fließt in unsere Fingerspitzen“, | |
sagt Walthone Dari und „Niemand wird uns wieder trennen“, betont Nay AD. | |
Gegenüber den muslimischen Rohingas war es nicht gelungen, die Spaltung der | |
Bevölkerung zu überwinden. Auch die legendäre politische Führerin und | |
Wahlsiegerin Aung San Suu Kyi spielte hier eine legitimatorische Rolle | |
gegenüber dem Genozid und verteidigte die Militärs vor dem Internationalen | |
Gerichtshof in Den Haag. | |
Und so kommt es in diesen Texten der Revolution – und als Teilnehmende | |
verstehen sich die Dichterinnen und Dichter – um so mehr darauf an, dass | |
sie sich darauf besinnen, welche Werte von menschlicher Würde alle | |
verbinden und nicht verhandelbar sind. Mit Aung Myat Min spricht dies der | |
Sohn eines ehemaligen Militäroffiziers aus. Maung Day, der namhafteste | |
unter den Jüngeren, schreibt: „Die Erde auf meinem Gesicht ist ein Haufen | |
zerschmetterter Knochen / 50 Jahre in einer Kassette ohne Tonband | |
aufbewahrt / ein trauriger Song, den wir aufhören müssen zu singen, jetzt.“ | |
## Ohne Illusionen | |
Illusionslos auch die Worte Ywet Sames, der ebenfalls der jüngeren | |
Generation angehört, wenn er die Ermordung U Ko Nis anklagt, des | |
Rechtsanwalts, auch er ein Muslim, der lange Zeit Berater von Aung San Suu | |
Kyi war. Ywet Sames Zeilen meinen unmissverständlich eine Gegenwart, wenn | |
er schreibt: „Ich bin Ma Seint Htet und stürze vom Berggipfel / Ich bin U | |
Ko Ni und warte am Flughafen / der wirkungslose Besuch Ibrahim Gambaris / | |
ein EPC-Elektriker hängt tot an einem Strommast / und ein Wanderarbeiter“. | |
Am Ende des Videos steht eine Gruppe von zwölf Männern auf der Straße, ein | |
Chor a cappella. Als ob es den gesamten Mut braucht, um das auszusprechen, | |
was sie jetzt sagen werden, wenn es um die Buddhisten, die Hintermänner der | |
Militärs geht. Sie intonieren die Worte: „Der dämonische Enkelsohn, frisch | |
aus der Bruderschaft der Mönche, zischt: / ein Riss im gebratenen Teig, ein | |
Sohn, das wird das Land zerstören.“ | |
Gegen alle Widerstände, heißt es am Schluss, „sind wir froh, durch dieses | |
Video zeigen zu können, wo die Dichter in diesem Kampf gegen die Diktatur | |
stehen und wie sie mit den Völkern Myanmars als ein Organismus verbunden | |
sind.“ | |
Vor dem Abspann: eine Ehrung für den Dichter K Za Win, „der gegen den | |
Militärputsch in einer friedlichen Demonstration protestierte und am 3. | |
März in Monywa durch einen grausamen Einsatz der Soldaten ums Leben kam. | |
Möge er in Frieden ruhen.“ Und weiter: „Dichter werden überall in Myanmar | |
verhaftet.“ | |
Sechs Tage später wurde der Dichter Maung Yu Py in seiner Heimatstadt Myeik | |
verhaftet. Ein Freund berichtet: „Ich habe heute morgen mit seiner Familie | |
gesprochen. Seine Familie sah ihn kurz während des Gefangenentransports. | |
Maung Yu Py ist gefoltert worden (schwer geschlagen).“ Der Absender dieses | |
Mails will nicht genannt werden, bleibt anonym. | |
Aus Yangon kommt das Video, begleitet von einem einzigen Satz: „Wünscht uns | |
Glück.“ Während Lun Sett Noe Myat liest, klebt hinter ihm ein Plakat von | |
der Art, wie sie Sicherheitsbeauftragte anbringen: Emergency Evacuation | |
Route. Schon fliehen Menschen und einer schreibt, dass er seit ein paar | |
Tagen im Untergrund ist, dass der Zugang zum Internet fürchterlich ist und | |
Mails gehackt werden. | |
Mitte Februar hatten sie auf den Straßen von Yangon gekniet und mit Kreide | |
auf den Asphalt geschrieben: „Der Prophet sagt: Termiten werden kommen und | |
Bücher, Brücken, Häuser, Wälder aufessen. Termiten werden alles auslöschen, | |
was sich ihnen in den Weg stellt.“ | |
Gedichte übersetzt aus dem Englischen von Esther Dischereit, Dank an Martin | |
Winter | |
25 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Aufstand-in-Myanmar/!5756631 | |
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[3] /Gegenregierung-in-Myanmar/!5755410 | |
## AUTOREN | |
Esther Dischereit | |
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