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# taz.de -- Frauenrechtlerin Nawal El Saadawi: Tod einer Ikone
> Die Ägypterin Nawal El Saadawi verkörperte den Kampf der arabischen
> Frauen für Selbstbestimmung. Jetzt ist sie im Alter von 89 Jahren
> gestorben.
Bild: Für viele Frauen nicht nur in Ägypten ein Vorbild: Nawal El Saadawi 200…
Kairo taz | Sie war die „Umm El-Frauenrechte“, die Mutter der Frauenrechte
in Ägypten. Diese Woche starb Nawal El Saadawi mit 89 Jahren in Kairo. Die
prominente Frauenaktivistin hat sich über Jahrzehnte als Verteidigerin der
Frauen nicht nur im eigenen Land, sondern auch international einen Namen
gemacht. Es war vor allem ihr Aufschrei gegen weibliche
Genitalverstümmelung und Ehrenmorde, der die studierte Ärztin bekannt
machte.
In ihrem Buch „The Hidden Face of Eve“ beschrieb die in einem Dorf in der
Nähe Kairos 1931 geborene Saadawi ihre eigene Erfahrung: als man im Alter
von sechs Jahren ihre Genitalien auf einem Badezimmerboden verstümmele,
während ihre Mutter zusah. Mit insgesamt 50 Sachbüchern und Romanen über
Sexualität und Religion und Ungleichheiten im islamischen Erbrecht sorgte
sie immer wieder für Kontroversen in Ägypten.
Wegen ihres Buches „Frauen und Sexualität“ verlor sie 1971 ihren
Beamtenposten im Gesundheitsministerium. Zehn Jahre später ließ sie der
damalige Präsident Anwar as-Sadat ins Gefängnis sperren, wie viele vor
allem linke Aktivisten in Ägypten. Drei Monate später, nach der Ermordung
Sadats, kam sie wieder frei. Ihre Erfahrungen im Frauengefängnis von Kairo,
die sie teils mit einem Kajalstift auf Toilettenpapier niederschrieb, sind
auf Deutsch unter dem Titel: „Ich spucke auf euch. Bericht einer Frau am
Punkt Null“ erschienen.
In den 1990er Jahren ging Saadawi aufgrund massiver Anfeindungen, vor allem
aus dem konservativen und islamistischen Lager in Ägypten, für drei Jahre
ins Exil in die USA. Sie wurde immer wieder bezichtigt, sie sei dem Islam
abtrünnig geworden, und erhielt Morddrohungen. Die streitbare Saadawi wurde
für ihre Arbeit auch international geehrt.
## Verteidigung des Al-Sisi-Regimes brachte den Bruch
In Ägypten selbst war Saadawi vor allem eine Inspiration für Generationen
von Frauen, wenngleich sie in der ägyptischen Frauenbewegung selbst seit
Mitte der 1990er Jahre nur noch eine marginale Rolle spielte. Die Bewegung
hatte sich spätestens mit dem Aufstand gegen Diktator Husni Mubarak im
Arabischen Frühling 2011 diversifiziert. [1][Kampagnen etwa gegen die
grassierenden sexuellen Belästigungen in der Öffentlichkeit] oder für die
Reform des Familienrechts wurden von jüngeren Aktivistinnen angeführt.
El-Saadawi, die auch auf dem Tahrir-Platz mitdemonstriert hatte, verlegte
sich im Wesentlichen auf Interviews in internationalen Medien.
Viele der damaligen Aktivistinnen folgten ihr noch, als sie die 2012 an die
Regierung gewählte Muslimbruderschaft bezichtigte, die Revolution für sich
vereinnahmt zu haben. Als Saadawi dann aber begann, nach der Machtübernahme
des Militärs 2013 das Regime des heutigen Präsidenten Abdel Fatah al-Sisi
und dessen Menschenrechtsverletzungen zu verteidigen, kam es zum Bruch.
Kritik und Lob in Ägypten gegenüber Saadawi hat jetzt einer der
Tahrir-Aktivisten von damals, der Autor Shady Lewis Botros, auf seiner
Facebookseite versucht zusammenzufassen. Es gäbe viele Gründe, ihr
gegenüber kritisch zu sein, vor allem wegen ihrer beschämenden Position in
den letzten Jahren und ihrer Verteidigung des Al-Sisi-Regimes, schreibt er
in seinem Nachruf.
Andererseits habe sie einer großen Zahl von Frauen nicht nur in Ägypten,
sondern in der arabischen Welt insgesamt, ein neues Selbstwertgefühl
gegeben und so manche Lebensentscheidungen geprägt. „Für viele Generationen
war El Saadawi das personifizierte Image von Feminismus, Frauenrechten und
der Idee der Rebellion, um die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft mutig
herauszufordern.“
## Vor ihren Nachfolgerinnen liegt viel Arbeit
Selbst am Tag ihres Todes am Sonntag wurde deutlich, wie viel Arbeit vor
ihren Nachfolgerinnen liegt. Zwar wurde am gleichen Tag in Ägypten ein
Gesetz erlassen, das die Strafen für [2][weibliche Genitalverstümmelung]
verschärft – die ist seit 2008 offiziell verboten, bleibt aber
weitverbreitet.
Gleichzeitig bezeichnete Präsident al-Sisi ein demnächst modifiziertes
Familienrecht, das für einen Aufschrei gesorgt hat, als „ausgewogen“ und im
„Dienste der Öffentlichkeit“.
Laut den bisher kursierenden Entwürfen soll ein Ehevertrag nicht von der
Frau selbst, sondern für sie stellvertretend von einem männlichen
Verwandten unterzeichnet werden, der auch das Recht hat, die Ehe wieder
aufzulösen. Männliche Verwandte können der Frau verbieten, zu reisen. Eine
Mutter kann nicht selbst die Geburt ihres Kindes registrieren und einen
Personalausweis oder eine Pass für ihr Kind beantragen oder die Art der
Schulbildung bestimmen.
„Wir haben in Ägypten Ministerinnen, die nicht das Recht hätten, ihren
eigenen Ehevertrag zu unterzeichnen. Außerdem könnte ihnen ein Mann
verbieten, selbst auf eine Geschäftsreise zu gehen“, kommentiert Nehad
Aboul Komsan, Leiterin des Egyptian Centre for Women’s Rights (ECWR),
diesen Gesetzentwurf. Er sei vollkommen unzeitgemäß in einer Zeit, in der
alleinstehende Frauen über 18 Prozent der Haushalte Ägyptens führen.
In einem [3][Interview] mit dem deutschen Onlineportal Qantara hatte El
Saadawi einmal darauf verwiesen, dass es im alten Ägypten Göttinnen gab:
„Isis war die Göttin der Weisheit und nicht der Reproduktion! Und es gab
Maat, die Göttin der Gerechtigkeit. Was dann historisch passierte, war,
dass die Frauen ihrer bisherigen Stellung beraubt wurden“, erklärte sie.
Jetzt ist Nawal El Saadawi tot. Ihr Kampf um Frauenrechte in Ägypten, der
geht weiter.
22 Mar 2021
## LINKS
[1] /MeToo-Bewegung-erreicht-Aegypten/!5695667
[2] /Tag-gegen-Genitalverstuemmelung/!5747611
[3] https://de.qantara.de/inhalt/interview-mit-der-aegyptischen-autorin-nawal-e…
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
## TAGS
Ägypten
Frauenrechte
Feminismus
Genitalverstümmelung
Emanzipation
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Justiz in Ägypten
Kolumne Die Nafrichten
Istanbuler Konvention
Genitalverstümmelung
Asyl
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