# taz.de -- Zum Tod von Françoise Cactus: Eine deutsch-französische Liebe | |
> Françoise Cactus wird Berlin fehlen. Die Sängerin, Künstlerin und zuletzt | |
> auch Radiomoderatorin brachte ihren eigenen Witz und Klang in die Kultur. | |
Bild: Sängerin und Moderatorin Françoise Cactus aufgenommen 2012 | |
„Ich glaube, das ist es: Ich kann nicht ohne Musik leben“. Das ließ | |
[1][Françoise Cactus] die Heldin ihres Buches „Abenteuer einer | |
Provinzblume“ sagen. In dem 1999 erschienenen Teenager-Roman ging es um die | |
dünne, unfassbar coole, aus dem „hässlichsten Dorf des ganzen Burgunds“ | |
stammende Mitzi, die nach Berlin zieht, um Musikerin zu werden. Und um dort | |
alle um den Finger zu wickeln. | |
Genauso wie Françoise eben. Was hätte man je gegen sie haben können? Groß, | |
geistreich, witzig, schick bebrillt und in der Lage, die tadellosen Beine | |
unter ein Minischlagzeug zu knoten, um beim Trommeln die ulkigsten Texte zu | |
singen – mit dem charmantesten Akzent. | |
Mit ihrer ersten Band in Berlin, den „Lolitas“, spielte sie in den 80ern | |
und 90ern Garagenpunk – und coverte 1989 den Hit „D’yer maker“ der | |
Dicke-Eier-Rockband Led Zeppelin. Françoises rotzige Version machte aus der | |
gestöhnten Liebeskummerhymne feministischen Punk, und fügte dem Song dabei | |
noch mühelos den fehlenden Humor hinzu. Den brachte sie übrigens auch in | |
die taz-Redaktion, in der sie lange Jahre im Layout arbeitete, um ihr | |
Rock'n'Roll-Leben zu finanzieren. | |
## Gehäkelter Hippieshit | |
Überhaupt sprach, sang, schrieb und handarbeitete bei der | |
interdisziplinären Künstlerin Françoise der Schalk immer mit. Egal, ob sie | |
mit ihrer zauberhaften Lo-Fi Band „Stereo Total“ behauptete: „Das ist tot… | |
out / Das ist Hippieshit / Aber ich sag es laut / Ich liebe Liebe zu | |
dritt!“. Oder ob sie für eine Ausstellung eine [2][lebensgroße Puppe mit | |
kirschroten Brustwarzen häkelte] und damit, laut der Anfang des | |
Jahrtausends noch leichter auf die Palme zu bringenden Boulevardpresse, | |
„Kinderschützer schockierte“ – „Wollita“ habe sogar den „B.Z. Kult… | |
gefordert, behauptete Wolfgang Müller, mit dem Françoise den „Skandal“ um | |
die Figur, die „vom Wollknäuel zum Superstar“ wollte, zusammengestrickt | |
hatte. | |
Dann dieser Akzent, pardon, Accent!! Mon dieu, niemand, egal ob französisch | |
oder nicht, beherrschte ihn so überzeugend wie die 1964 geborene Musikerin. | |
Obwohl sie bereits Mitte der 80er (nach einem Studium in Paris) nach Berlin | |
kam, der Liebe wegen: „Berlin war hässlich, aber unwiderstehlich“ schrieb | |
sie im Roman. | |
## Erweiterter Punk-Begriff | |
Es folgt eine tiefe, deutsch-französische Freundschaft – und die Stadt | |
hatte so etwas wie Stereo Total noch nie gesehen und gehört. Wenn sie | |
gemeinsam mit ihrem langjährigen musikalischen und Lebenspartner Brezel | |
Göring auf der Bühne stand, beziehungsweise neben ihm am Schlagzeug saß, | |
während er entzückende elektronische Ausrufezeichen aus seinen Synthies und | |
klitzekleinen Casios feuerte, und sie dazu auf Englisch, Französisch und | |
Deutsch gleichermaßen umwerfend sang, dann erweiterte das den Punk-Begriff | |
um etwas, was er (vor allem in Deutschland) dringend brauchte: Nonchalance. | |
Denn dass Françoise Cactus ein Punk war, das steht außer Frage. Im besten | |
aller möglichen Sinne: nur begrenzt interessiert an | |
Vermarktungsmechanismen, loyal und offen gegenüber anderen Künstler*innen, | |
kreativ und unangepasst. „Ich bin eine Dachkatze / und keine Sofakatze!“, | |
rief sie 2019 auf “Ah! Quel Cinema!“, einer weiteren retrofuturistischen | |
Stereo-Total-Platte. | |
Gegen den Krebs kämpfte sie lange, jammerte nicht viel, produzierte auch | |
krank noch Musiksendungen für den RBB, legte dort Lieder über Autos, | |
Dinosaurier und Farben auf. Der Krebs ging – und kam wieder. „Wie soll ich, | |
wie soll ich, wie soll ich mich nach dir sehnen / Wenn du stets, wenn du | |
stets, wenn du stets bei mir bist?“, sang sie 1997 in Stereo Totals „Schön | |
von hinten“. Nun ist sie nicht mehr da. Und wir sehnen uns. | |
17 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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