| # taz.de -- Orthodoxe Kirche in Serbien: Von Gnaden des Heiligen Geistes | |
| > Am Donnerstag wird ein neuer Patriarch gewählt. Präsident Aleksandar | |
| > Vučić lässt für seinen Wunschkandidaten massiv lobbyieren. | |
| Bild: Patriarch Irinej starb im November an Covid-19. Jetzt muss ein Nachfolger… | |
| Belgrad taz | In Serbien sind am Donnerstag alle Augen auf die Domkirche | |
| des heiligen Sava im Zentrum Belgrads gerichtet. Dann findet die Wahl des | |
| 46. serbischen Patriarchen statt. | |
| Der Weisheit des serbischen Patriarchen German (1890–1991) ist es zu | |
| verdanken, dass der Staat nur beschränkten Einfluss auf die Wahl des | |
| „Ersten unter den Gleichen“ der Serbisch-Orthodoxen Kirche hat. Selbst als | |
| junger Bischof unter dem Druck der jugoslawischen Kommunistischen Partei | |
| auf den „Thron des heiligen Sava“, dem Gründer der Serbisch-Orthodoxen | |
| Kirche, gesetzt, sorgte er dafür, dass das nie wieder passieren sollte. | |
| Patriarch German änderte 1967 die Kirchenverfassung, laut derer | |
| stimmberichtigte Bischöfe (derzeit sind es 39) die Kandidaten zwar wählen | |
| dürfen. Doch letztlich entscheidet der Heilige Geist, wer Patriarch wird. | |
| Die „apostolische Wahl“ schreibt vor, dass Kuverts mit den Namen von drei | |
| Bischöfen, die in mehreren Wahlrunden jeweils über 50 Prozent der Stimmen | |
| ihrer Kollegen bekommen haben, in einen leeren Evangelien-Buchdeckel | |
| gesteckt werden. Ein Beichtvater aus dem Mönchsstand zieht dann das | |
| apostolische Los mit dem Gewinner. | |
| ## Autoritärer Staat | |
| Kaum war der 90-jährige Patriarch Irinej am 20. November 2020 [1][an Covid | |
| gestorben], zeigte sich wieder, wie weitblickend Patriarch German gewesen | |
| ist. Drei Jahrzehnte nach der ersten pluralistischen Parlamentswahl hat | |
| sich Serbien zu einem autoritären Staat entwickelt, in dem keine | |
| Oppositionspartei im Parlament vertreten ist und Präsident Aleksandar Vučić | |
| wie ein Volksführer alle Entscheidungen trifft. | |
| Serbische Medien berichten, dass Kommissare der dominanten Serbischen | |
| Fortschrittspartei (SNS) unter den stimmberechtigten Bischöfen für die Wahl | |
| eines ihrem Chef Vučić wohlgesinnten Patriarchen „mit allen Mitteln“ | |
| lobbyieren. | |
| Patriarch Irinej stand Vučić sehr nahe – zu nahe für viele Bischöfe. Er | |
| verlieh ihm den höchsten Kirchenorden, was heftigen Streit in der | |
| Bischofsversammlung auslöste. Vučić „beichtete“ dem Volk nach dem Tod des | |
| Patriarchen mit Tränen in den Augen, dass ihn Irinej vom Sterbebett | |
| angerufen und gesagt habe: Sieh zu, dass wir alles für unser Volk in der | |
| Republika Srpska (serbische Entität in Bosnien) und im Kosovo tun (dessen | |
| Unabhängigkeit Serben nicht anerkennt) tun. | |
| Das Regime in Serbien, das die US-Nichtregierungsorganisation Freedom House | |
| wegen „Machtmissbrauchs“ und „Strongman-Taktiken“ von Vučić von einer | |
| „teilweise konsolidierten“ zu einer „hybriden“ Demokratie herabgestuft | |
| hatte, beruht auf einer Propagandamaschinerie gleichgeschalteter Medien. | |
| ## Üppige Spenden vom Staat | |
| Da kommt Unterstützung von der Spitze der einflussreichen orthodoxen Kirche | |
| gelegen. Als im vergangenen Juli [2][Massenproteste gegen das Regime] Vučić | |
| ausbrachen, sagte Patriarch Irinej: „Was wir heute auf den Straßen sehen, | |
| gibt unseren Feinden Kraft.“ | |
| Nicht nur Oppositionspolitiker, auch Bischöfe kritisierten diese Erklärung. | |
| Jedenfalls spendete der Staat unter der Federführung von Vučić beachtliche | |
| Summen für die Fertigstellung der Kirche des heiligen Sava. | |
| Zu den Favoriten der weltlichen Macht gehören Bischof Irinej Bulović von | |
| Novi Sad oder Metropolit Porfirije von Zagreb und Ljubljana. Der | |
| montenegrinische Bischof Joanikije gilt als Hoffnung der „regimekritischen | |
| Fraktion“. Beobachter wagen jedoch keine Prognose, wer sich für die | |
| „apostolische“ Verlosung qualifizieren wird. | |
| Der schärfste geistliche Kritiker des serbischen Regimes ist der Bischof | |
| von Düsseldorf, Grigorije. Er nahm sich das Recht, sich als „Christ, Serbe | |
| und Bürger“ in Serbien einen Rechtsstaat zu wünschen, ein demokratisches | |
| System, in dem „nicht alles von dem Willen eines Mannes“ – gemeint ist | |
| Vučić – abhängt. Regimekritiker sahen schon in dem eloquenten, jungen | |
| Bischof schon den nächsten oppositionellen Kandidaten bei der | |
| Präsidentenwahl. | |
| Grigorije bestritt jedoch, politische Ambitionen zu haben. Seine Kritik | |
| bescherte ihm trotzdem eine Schimpfkampagne regimetreuer Medien. Er selbst | |
| hat keine Chance, sich für die Endrunde der Patriarchenwahl zu | |
| qualifizieren. Doch ohne Einfluss in der Bischofsversammlung ist er nicht. | |
| 18 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andrej Ivanji | |
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