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# taz.de -- Nach erneuter Ausgangssperre: Schwere Ausschreitungen in Belgrad
> Tausende Menschen protestieren in Serbien gegen einen neuen Lockdown. Den
> hatte Präsident Vučić nach überstürzten Lockerungen angekündigt.
Bild: Zusammenstoß von Polizist_innen und Demonstrierenden am Dienstagabend in…
Belgrad taz | Serbiens [1][Staatschef Aleksandar Vučić] wendet sich ständig
an sein Volk. Er lobt oder tadelt, droht oder tröstet, schimpft oder
jammert, gibt ständig an und immer anderen die Schuld für alles, was
schiefgelaufen ist. Für seine Anhänger*innen wirkt er staatsmännisch, für
alle anderen verlogen und irritierend.
Als er am Dienstag um 18 Uhr am dritten Tag in Folge im Fernsehen zum Volk
sprach, war das nicht anders. Als er aber ankündigte, am kommenden
Wochenende wieder eine absolute Ausgangssperre zu verhängen, platzte vielen
der Kragen. Für den [2][Rekord von 13 Toten und 299 mit Corona
Neuinfizierten] binnen 24 Stunden machten sie ihn und sein Regime
verantwortlich.
Kaum war Vučić mit seiner Tirade fertig, verwandelte sich die Wut auf
sozialen Netzwerken spontan in einen Protest vor dem Parlament im Zentrum
Belgrads. Diesmal wurde es kein friedlicher, bürgerlicher Protestmarsch mit
Trillerpfeifen, über die sich Vučić früher lustig machte.
Die Demonstrant*innen überwältigten die wenigen Polizisten, drangen ins
Parlament ein und wurden von den Sicherheitskräften wieder herausgedrängt.
Das einzige Opfer war der Sicherheitsscanner am Parlamentseingang. Doch
danach geriet die Situation außer Kontrolle.
## Wut über den serbischen Alleinherrscher
Vor dem Parlament hatten sich Tausende versammelt. Sie riefen „Verhaftet
Vučić!“ und „Vučić, geh zum Arzt!“ Geballte Wut einer gespaltenen
Gesellschaft [3][mit gleichgeschalteten Medien], in der ein Mann die
Kontrolle über alles hat, lag in der Luft. Auf der Straße waren Alte und
Junge, Menschen mit Kindern und Hunden, Linke und Rechte. Die einen waren
erbost über die schwierige soziale Lage, die anderen über die mangelnde
Demokratie und alle zusammen über den serbischen Herrscher.
Bald kam es zur Prügelei zwischen Demonstrant*innen und der Polizei. Es
flogen Steine, Flaschen und Bierdosen. Wütende Menschen entrissen den
Polizisten Schutzschilde. Darauf schoss die Polizei massiv Tränengas in die
Menge.
Die Demonstrant*innen rannten weg, kamen aber immer wieder zurück.
Sondereinheiten der Polizei eilten in Kampfmontur zum Parlament, auch auf
Pferden. Menschen mit von Tränengas geröteten Augen, rangen, sich
übergebend, nach Luft. Autos und Mülltonnen brannten auf der Straße.
Polizisten schlugen auf drei Jugendliche ein, die auf einer Bank in einem
Park saßen. Im Regierungsviertel wurde die Autokratie kurz von der Anarchie
abgelöst.
Die Straßenschlachten dauerten bis zwei Uhr morgens. Das Ergebnis: 43
Verletzte, 23 Festnahmen und eine noch tiefer gespaltene Gesellschaft.
Regierungsvertreter und gleichgeschaltete Medien sprachen von
„Vandalismus“, „Hooligans“ und Oppositionspolitikern, die „kein Opfer
scheuen, um mit Gewalt an die Macht zu kommen“.
## Zahl der Infizierten und Toten explodiert
Kritiker erinnerten daran, dass die serbische Regierung nach härtesten
Maßnahmen in Europa die schnellste Lockerung anordnete und den Sieg über
Corona verkündete. [4][Fußballspiele, Konzerte, ein Tennisturnier fanden
mit Zuschauern] statt.
Und dass diese Normalität nur vorgetäuscht worden sei, damit am 21. Juni
Parlaments- und Kommunalwahlen stattfinden konnten. Die Serbische
Fortschrittspartei (SNS) von Vučić gewann 189 von 250 Mandaten, die
regierende Koalition kam zusammen auf 220 Mandate, Oppositionsparteien sind
nicht mehr im Parlament vertreten.
Nach den Wahlen explodierten die Zahlen der Toten und Infizierten. Vučić
machte für die restlos überfüllten Kliniken das unverantwortliche Volk
verantwortlich. Als er einen totalen Lockdown fürs Wochenende ankündigte,
wurden viele Menschen richtig wütend. Man erinnert sich noch an Vučićs
Party in der Wahlnacht, wie seine Anhänger ohne Schutzmasken in einem
überfüllten Raum feierten. Danach waren etliche Minister und
SNS-Funktionäre positiv auf Corona getestet worden.
Obwohl Zusammenkünfte von mehr als fünf Menschen auch im Freien verboten
sind, wurden weitere Proteste angekündigt.
8 Jul 2020
## LINKS
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[3] /Pressefreiheit-in-Serbien/!5622793
[4] /Tennis-nach-Corona/!5691543
## AUTOREN
Andrej Ivanji
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