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# taz.de -- Parlamentswahl in Serbien: Vučić auf allen Kanälen
> Am Sonntag gehen die Serb*innen an die Urnen. Parteien interessieren
> niemanden. Alles dreht sich nur um den allmächtigen Staatspräsidenten.
Bild: Alles dreht sich nur um ihn: Vucic
Belgrad taz | Der Werbespot zeigt Mutter, Vater und zwei Söhne in
Südserbien wie sie abgehetzt in ihrer Wohnung schwitzen. Plötzlich sagt der
Vater: „Wir fahren sofort nach Griechenland.“ Die Kinder schreien: „Yes!�…
„Spinnst du, so eine lange Reise für zwei Tage am Meer“, sagt die Frau zu
ihrem Mann. „Ach was, in vier Stunden sind wir da. Nur auf die Autobahn und
Gas geben“, erwidert der Vater energisch.
Daraufhin wird ein Bild eingeblendet: „Aleksandar Vučić – Für unsere
Kinder“. Nächste Szene: Mutter und Vater sitzen glücklich und entspannt am
Meer. Die Mutter öffnet ein goldenes Medaillon mit einem Foto von
Staatspräsident Vučić. „S’agapo (Ich liebe dich auf Griechisch)“, sagt…
Frau mit verliebter Stimme. Ende. Licht aus.
Am Sonntag finden in Serbien Parlaments- und Kommunalwahlen statt. Doch es
dreht sich buchstäblich alles um [1][Aleksandar Vučić] – so als ob
Präsidentschaftswahlen stattfinden würden. Seine Serbische
Fortschrittspartei (SNS) wird in der Wahlkampagne nicht einmal erwähnt,
seine Parteigenoss*innen sind abgetaucht.
Man sieht und hört nur Vučić, der unermüdlich von einem zum anderen
[2][gleichgeschalteten Fernsehsender] zieht, Krankenhäuser, Autobahnen oder
Fabriken eröffnet und den Serben verspricht, dass ihr monatliches
Durchschnittseinkommen in den kommenden fünf Jahren von 500 auf 900 Euro
steigen wird.
## Brücken gebaut, Corona besiegt
Der beschriebene Werbespot ist nur einer von vielen, der suggeriert, dass
die Bürger Serbiens alles ihm und nur ihm allein zu verdanken haben: Vučić
baut Brücken. Vučić hat das Coronavirus besiegt. Vučić wird die
Wirtschaftskrise besser als alle anderen Staatschefs der Welt meistern.
Unmittelbar vor den Wahlen erhielten Rentner als Coronavirushilfe ein
Geschenk von 4.000 Dinar (rund 34 Euro) und alle volljährigen
Bürger*innen 100 Euro. Vučić sei Dank.
Egal ob es sich um die Ministerpräsidentin, oder Minister*innen,
Bürgermeister*innen, Fabrik- oder Schuldirektor*innen handelt – alle
scheinen zu glauben, sich andauernd vor laufenden Kameras für alles
Mögliche bei Vučić bedanken zu müssen.
Seit die SNS 2012 überraschend an die Macht kam, führt sie unter Vučićs
eiserner Führung einen Totalkrieg nicht nur gegen die politische
Opposition, sondern gegen alle Andersdenkenden. Das Ergebnis:
Meinungsumfragen prognostizieren am Sonntag einen Sieg von Vučićs SNS mit
60 Prozent.
## Missbrauch von Ressourcen
„Medien sind gleichgeschaltet, staatliche Institutionen stehen unter der
Kontrolle der SNS, staatliche Ressourcen werden für Parteiinteressen
missbraucht. Wähler werden eingeschüchtert, Bürger gezwungen, der SNS ihre
Stimme zu geben, damit sie ihren Job nicht verlieren“, sagt Dragan Djilas,
Chef der Partei Freiheit und Gerechtigkeit.
Er ist einer der Gründer der Koalition Allianz für Serbien, der viele
wichtige Oppositionsparteien beigetreten sind und die wegen
„undemokratischer“ Verhältnisse zum Wahlboykott aufruft.
Von zwanzig Parteien und Koalitionen, die an den Wahlen teilnehmen, müssen
außer der SNS, ihrem Koalitionspartner Sozialistische Partei Serbiens (SPS)
und den Parteien nationaler Minderheiten alle anderen darum bangen, ob sie
die Sperrklausel überspringen. Und das, obwohl diese erst vor wenigen
Monaten von fünf auf drei Prozent gesenkt wurde.
Vučićs größte Sorge bei diesen Wahlen ist, dass seine regierende Koalition
allein im Parlament bleibt und die Europäische Union ihm, trotz vollem
Körpereinsatz der EU-Technokraten zugunsten des Präsidenten, das Trugbild
von einer Demokratie in Serbien nicht länger abkaufen könnte.
## Dreiprozenthürde als Problem
Die „richtige“ Opposition wirft nun „Vučićs Opposition“ vor, dass ihr…
SNS geholfen habe, die für die Wahlregistrierung notwendigen 10.000
Unterschriften zu sammeln. Und dass notfalls einer Anzahl der über 700.000
disziplinierten Mitglieder der SNS befohlen wird, für ausgewählte marginale
Parteien zu stimmen, damit sie die Dreiprozenthürde schaffen und, wenigstes
formal, ins Parlament nicht nordkoreanische Verhältnisse einziehen.
„Ich werde an diesen Wahlen nicht teilnehmen, weil ich noch immer etwas
Selbstachtung habe“, sagt der bekannte serbische Filmregisseur Goran
Marković. Er wolle nicht in diesem inszenierten Spiel teilnehmen. Sein
Recht sei es zu sagen: „Danke, ohne mich.“
19 Jun 2020
## LINKS
[1] /Proteste-in-Serbien/!5682274
[2] /Pressefreiheit-in-Serbien/!5622793
## AUTOREN
Andrej Ivanji
## TAGS
Serbien
Aleksandar Vucic
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