| # taz.de -- Proteste in Serbien: Ruhe nach dem ersten Tränengas | |
| > Die Kundgebungen gegen Präsident Aleksandar Vučić dauern an, sind aber | |
| > wieder friedlich. Doch der Unmut der jungen Menschen ist unberechenbar. | |
| Bild: Ein bisschen Frieden: Sitzblockade am Donnerstag Abend vor dem serbischen… | |
| Belgrad taz | Tausende vorwiegend junge Menschen sitzen vor dem Parlament | |
| im Zentrum der serbischen Hauptstadt Belgrad. [1][Heftige | |
| Straßenschlachten] in dieser Woche sind friedlichen Protesten gegen das | |
| Regime gewichen. Woodstock-Peace-Brother-Stimmung liegt in der Luft. | |
| „Hinsetzen, nicht auf Provokationen reinfallen“ lautet die Parole. Als | |
| einige erregte Männer die wenigen Polizisten aufstacheln wollen, werden sie | |
| ausgepfiffen und ziehen sich zurück. Die Mehrheit will Gewalt vermeiden. | |
| Polizei in voller Kampfmontur steht hinter dem Parlament. Für alle Fälle. | |
| Auch Oppositionspolitiker werden ausgebuht. Den jungen Menschen haben sie | |
| nichts anzubieten. | |
| Sie wolle ihren Unmut über das Regime ausdrücken, sagt eine junge Frau. | |
| Auch weil uns die Regierung über die Coronalage belügt, fügt ihre Freundin | |
| hinzu. Weil er den Idioten nicht länger sehen und hören könne, sagt ein | |
| junger Mann. Mit „Idiot“ meint er [2][Präsident Aleksandar Vučić], der s… | |
| seit Sonntag jeden Tag an sein Volk wendet und ihm seine eigene | |
| Wirklichkeit erklärt. | |
| Ähnliche Bilder von harmlosen Demonstrationen sieht man aus Novi Sad, Niš | |
| oder Kragujevac. Sie erinnern an die friedlichen Protestmärsche gegen das | |
| Regime Vučić, die im Vorjahr monatelang durch Serbien zogen. Das Regime | |
| ließ sie gewähren, regimetreue Medien ignorierten sie. Das Ergebnis: Sie | |
| flauten immer mehr ab, bis sie verschwanden. | |
| ## Der Präsident wird nicht nachgeben | |
| Damals sagte Vučić: „Solange die Proteste friedlich bleiben, könnt ihr | |
| demonstrieren, so lange ihr wollt. Ich werde nicht nachgeben.“ Heute sagt | |
| er, als sich die Demos beruhigt haben: „Macht, was ihr wollt, ihr stört uns | |
| nicht.“ Obwohl das wegen Corona unverantwortlich sei. | |
| Aleksandar Vučić kam vor acht Jahren an die Macht. Zuerst war er „erster | |
| Vizepremier“, der de facto alle Fäden zog. Dann wurde er Ministerpräsident, | |
| der sich zum Präsidenten wählen ließ. Über seine Serbische | |
| Fortschrittspartei (SNS) kontrolliert er heute Parlament, Regierung und | |
| fast alle staatlichen Institutionen und missbraucht sie für eigene Zwecke | |
| und die seiner Partei. | |
| Dann ließ er sich zum geliebten Volksführer küren, der keinen Ungehorsam | |
| duldet, nach dem Prinzip: Wer gegen Vučić ist, ist gegen Volk und | |
| Vaterland. Ganz auf dieser Linie äußerte sich dieser Tage auch | |
| Regierungschefin Ana Brnabić zu den Protesten. „Das ist nicht das Volk. Das | |
| sind keine serbischen Bürger“, sagte sie. | |
| In den vergangenen acht Jahren flog so manche kriminelle Affäre der | |
| Regierungstruppe auf, von der Fälschung von Diplomen bis zu illegalen | |
| Waffengeschäften und fahrlässiger Tötung. Die Staatsanwaltschaft | |
| ignorierte alles. Auch deshalb wird in Serbien demonstriert. | |
| ## Eine Minderheit von rechten Extremisten | |
| Doch nun bewegt sich etwas. Es waren die Randalierer, die bei den Protesten | |
| auf die Polizisten losgingen und die Aufmerksamkeit des Westens auf das | |
| vergessene Serbien lenkten. In diesem bunten Haufen gibt es auch rechte | |
| Extremisten, aber sie sind die absolute Minderheit. | |
| Seit dem Zerfall Jugoslawiens kommt Serbien nicht zur Ruhe. Nun haben auch | |
| die Teenager von heute erstmals Tränengas geschluckt, das Adrenalin bei | |
| einer Straßenschlacht gespürt. Was wird geschehen, wenn das Regime Vučić so | |
| weitermacht und es keine politische Opposition gibt, die den Unmut | |
| kanalisieren kann? | |
| Welche Richtung wird Serbien einschlagen, wenn es keine staatlichen | |
| Institutionen, keine Medien gibt, wo ein Dialog stattfinden kann? Da bleibt | |
| nur noch die Straße. Und die ist unberechenbar. | |
| 10 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andrej Ivanji | |
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