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# taz.de -- Wirtschaftskrise in Kalifornien: Winterschlaf unter Palmen
> In Kalifornien hat die Pandemie besonders harte Folgen für Latinos und
> Afroamerikaner. Gouverneur Gavin Newsom steht unter Druck.
Bild: Swimming Pools ohne Gäste: Die kalifornische Wüstenstadt Palm Springs
Palm Springs taz | Es ist Anfang März in Kalifornien, und die Sonne
scheint. Nach zwei Lockdowns erwacht der einwohnerreichste Bundesstaat der
USA nur langsam aus seinem Winterschlaf. Von Normalität kann auch knapp ein
Jahr nach dem Ausbruch der Coronaviruspandemie keine Rede sein. In Palm
Springs wird dies vor allem an einem ganz deutlich: Es fehlen die
Touristen.
Für die Kleinstadt in der südkalifornischen Wüste ist der durch die
Coronakrise entstandene wirtschaftliche Schaden enorm. In der von Palmen
gesäumten Innenstadt sind angenehme 23 Grad, und am strahlend blauen Himmel
ist nicht eine einzige Wolke zu erkennen. Auf dem Palm Canyon Drive, der
angesagten Ausgeh- und Einkaufsmeile in der Stadt, herrscht an diesem
Freitagnachmittag dennoch gähnende Leere.
Dabei haben alle Restaurants und Geschäfte geöffnet – unter Beachtung
bestimmter Auflagen natürlich. So dürfen Shoppingmalls in Palm Spings
maximal 25 Prozent der Personenanzahl hereinlassen, für die sie eigentlich
Platz hätten. Essen und Trinken darf nur in den Außenbereichen konsumiert
werden.
„Es ist so, als würde man das Licht ausschalten und dann wieder
einschalten und als würde man davon ausgehen, dass dann alle Birnen noch
leuchten. Doch das tun sie nicht“, beschreibt Wirtschaftsprofessor Manfred
Keil die Situation.
Viele Geschäfte und Restaurants in Palm Springs, dem gesamten Coachella
Valley und in ganz Kalifornien haben das Hin und Her zwischen Öffnung und
Schließung während der vergangenen zwölf Monate nicht überlebt. Für den
kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom könnte dies nun auch ein
politisches Nachspiel haben. Eine Petition für seine Abwahl hat in den
vergangenen Monaten an Popularität gewonnen. Gavin musste jüngst zugeben,
dass es bei der Auslieferung und Verabreichung des Impfstoffs in sozial
schwachen Gegenden zu Problemen und Verzögerungen gekommen ist.
„Wir tun nicht genug“, erklärte Newsom während einer Pressekonferenz im
Februar. In der letzten Woche verkündete der demokratische Gouverneur, dass
40 Prozent aller Impfstoffe im Bundesstaat an Bezirke und Gemeinden mit dem
größten Infektionsrisiko gehen werden. Laut Mark Ghaly, dem kalifornischen
Gesundheitsminister, werde diese neue Verordnung 8 Millionen Menschen
zugutekommen.
„Es ist ein Rennen gegen die Coronavirusvarianten. Es ist ein Rennen gegen
die Erschöpfung. Es ist ein Rennen, um unsere Wirtschaft sicher und bedacht
wiederzueröffnen, jedoch auch mit dem Gedanken, dass es eine Wirtschaft
sein soll, die keinen zurücklässt und wirklich inklusiv ist“, sagte Newsom
am Donnerstag.
Für seine Gegner ist die Neujustierung des Impfplans jedoch nur ein
weiterer Beleg dafür, dass der Gouverneur mit der Krise überfordert sei.
Elf republikanische Abgeordnete, die Kalifornien im US-Repräsentantenhaus
vertreten, verlangten in einem Schreiben eine Erklärung dafür, warum die
Impfstoffverteilung trotz einer monatelangen Vorlaufzeit solch ein
Misserfolg ist.
Auch viele Kleinunternehmer haben sich im Verlauf der Pandemie immer
wieder kritisch über Newsoms Krisenmanagement geäußert. Eine Untersuchung
deckte zudem kürzlich auf, dass die kalifornische Arbeitsagentur mehr als
10 Milliarden Dollar an Arbeitslosenhilfe an Betrüger ausgezahlt haben
soll. Trotz Warnungen und entsprechender Hinweise. Das fällt auch auf
Newsoms politische Führung zurück.
Newsoms politische Probleme begannen allerdings bereits im November, als er
in einem noblen französischen Restaurant beim Abendessen abgelichtet wurde.
Es handelte sich dabei um die Geburtstagsfeier eines einflussreichen
Lobbyisten. Zur gleichen Zeit wies er die Bevölkerung jedoch an, größere
Menschenansammlungen zu vermeiden. Er entschuldigte sich später für sein
Verhalten, doch für einige bewies der Vorfall, dass der Gouverneur den
Bezug zu den normalen Bürgern verloren hatte.
„Es ist nicht nur ein Sachverhalt. Es sind nicht zehn. Es ist Gavin Newsom
selbst“, sagt Randy Economy gegenüber der taz. Economy hatte vormals in der
Wahlkampagne für Trump gearbeitet und gilt als konservativ. Er ist Sprecher
einer Initiative zur Abwahl des Gouverneurs Newsom. Die Initiative „Recall
Newsom 2020“ startete bereits vor der Pandemie, doch einige von Newsoms
Entscheidungen während der Krise, wie die Freilassung von Kleinkriminellen
sowie zwei Lockdowns, haben der Petition noch weiten Zulauf gebracht.
Für die Virologin Paula Cannon ist die Kritik an dem Gouverneur nichts
weiter als politisches Theater. „Ich habe große Sympathie für alle
Unternehmer, die von der Pandemie hart getroffen wurden. Aber der Grund
dafür liegt nicht bei unseren Politikern, sondern einem weltweiten
Virusausbruch“, sagt sie der taz. „Und ich hoffe, die Menschen können sich
damit trösten, dass diese wirtschaftlichen Opfer das Leben von Tausenden
von Menschen gerettet haben“, sagte sie.
In Kalifornien stieg infolge der Coronaviruspandemie die Zahl der
Arbeitslosen, und die sozioökonomische Ungleichheit wurde immer größer.
Auch wenn das gesamte wirtschaftliche Ausmaß der Pandemiefolgen erst in ein
paar Jahren, vielleicht sogar erst Jahrzehnten genau zu beziffern sein
wird: Tausende von Einzelschicksalen sind bereits jetzt zu finden.
„Wir haben 50 Prozent unserer Gewerbemieter verloren, weil sie in Konkurs
gegangen sind“, sagt Michael Braun vom Immobilienunternehmen GRIT
Development der taz. Die Firma besitzt mehrere Gewerbe- und Apartmenthäuser
im Herzen von Palm Springs. Auch ein Hotel gehört zum Portfolio des
Unternehmens.
Die Arbeitslosenquote in der Region Coachella Valley stieg in der Hochphase
der Pandemie von 7,2 Prozent auf ganze 34 Prozent an. Der Grund für die
prekäre wirtschaftliche Lage in der Region ist die starke Abhängigkeit von
Tourismus und Gastronomie.
Palm Springs ist für viele Bewohner der Millionenmetropole Los Angeles ein
Zufluchtsort, um der Großstadthektik zu entkommen. Nur knapp zwei
Autostunden östlich von Los Angeles entfernt, ist der Ort auch ein
beliebtes Winterquartier für sogenannte Snowbirds: Personen im
Rentenalter, die den Großteil des Jahres in einem der nördlichen
US-Bundesstaaten oder Kanada leben und den Winter in der Sonne
Südkaliforniens verbringen.
Bekannt geworden ist die Kleinstadt in den frühen 1950ern, als
Hollywoodgrößen wie Frank Sinatra, Bob Hope und Bing Crosby die Wüstenoase
für sich entdeckten. Heute ist die Region vor allem durch das jährliche
Coachella Valley Musik- und Kunstfestival und das Profitennisturnier der
Frauen und Männer in Indian Wells bekannt.
Laut Manfred Keil, der als Professor am kalifornischen Claremont McKenna
College lehrt, sind es gerade diese vom Tourismus lebenden Regionen, die
es während der Pandemie am schlimmsten erwischt hat. „Tourismus und
Gastronomie gehören zu den am stärksten betroffenen Wirtschaftssektoren. Da
beide Industriezweige in weiten Teilen Kaliforniens eine wichtige Rolle
spielen, sind die wirtschaftlichen Auswirkungen hier deutlich größer als in
anderen US-Bundesstaaten“, sagt Keil geder taz. „Allein zwischen Februar
und April vergangenen Jahres verbuchten die Geschäfte in Palm Springs einen
Umsatzrückgang von bis zu 82 Prozent“, so Keil.
Lokale Medien berichten, dass 2020 mindestens 40 Geschäfte in Palm Spings
ihre Türen für immer schließen mussten. In ganz Kalifornien dürften es
mehrere Zehntausend sein. Eine Analyse der Onlineplattform Yelp bezifferte
die Geschäftsschließungen im September bereits auf mehr als 19.000.
„Ich habe noch nie zuvor mit so vielen Unternehmern gesprochen und so viel
Verzweiflung gehört“, sagte Katie Price, Präsidentin der Handelskammer von
Rancho Mirage, das ebenfalls im Coachella Valley liegt, gegenüber dem
lokalen Fernsehsender NBC Palm Springs.
Manfred Keil ist trotz der dramatischen Lage zuversichtlich, dass sich die
wirtschaftliche Situation in Kalifornien noch in diesem Jahr verbessern
wird. Er hofft auf das [1][1,9-Billionen-Dollar-Rettungspaket] der
US-Regierung. Und darauf, dass die Menschen umso mehr konsumieren werden,
weil sie nach einer langen Zeit der Entbehrungen das Leben endlich wieder
genießen wollen.
„Die Finanzkrise 2008 und 2009 setzte vor allem der Fertigungsindustrie und
dem Baugewerbe hart zu. Beides sind Branchen, die von Männern dominiert
werden“, so Keil. „Diesmal ist es anders. Es betrifft vor allem Frauen und
Minderheiten, da diese überproportional in der Tourismus- und
Gastronomiebranche arbeiten“, sagt er.
Die Zahlen belegen das. Eine Analyse der University of California Los
Angeles (UCLA) zeigt, dass 26 Prozent der Menschen mit lateinamerikanischem
Migrationshintergrund und 22 Prozent der Afroamerikaner in Kalifornien
während des ersten Lockdowns vergangenes Frühjahr ihre Arbeit verloren
hatten. Die damalige Arbeitslosenquote in der weißen Bevölkerung betrug 17
Prozent.
In den ersten Monaten der Pandemie hatten in Kalifornien mehr als 3
Millionen Menschen ihre Arbeit verloren. Heute liegt die Arbeitslosenquote
im Bundesstaat an der Pazifikküste mit 9 Prozent über dem nationalen Wert
von 6,2 Prozent.
Doch nicht nur unter den wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise haben
Minderheiten überproportional viel zu leiden. Sie sind auch von den
gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie besonders betroffen. In
Kalifornien ist die Zahl der Corona-Infektionen und der Todesfälle nach
einem steilen Anstieg im Dezember seit mehreren Wochen rückläufig. Trotzdem
zählt der sogenannte Golden State mit seinen mehr als 54.000 Covid-19-Toten
die meisten [2][Todesfälle im ganzen Land], noch vor New York, Texas und
Florida. Für viele Lockdowngegner ist dies ein Beweis dafür, dass ein
temporäres Eindämmen der gesellschaftlichen Aktivitäten keine Wirkung habe.
Sieht man sich allerdings die Sterberate pro 100.000 Einwohner an, dann
steht Kalifornien besser da als andere Bundesstaaten mit deutlich
schlafferen Beschränkungen. Mit 136 pro 100.000 Einwohner ist die
Sterberate in Kalifornien laut der US-Gesundheitsbehörde CDC geringer als
in anderen bevölkerungsreichen Staaten wie Texas (153 pro 100.000) oder
Florida (147 pro 100.000).
Insgesamt haben sich bislang 3,5 Millionen Menschen in Kalifornien mit dem
Coronavirus infiziert. Das entspricht knapp 9 Prozent der
Gesamtbevölkerung. Fast die Hälfte – 46 Prozent – aller Todesopfer in
Kalifornien sind Latinos. Und das, obwohl sie weniger als 39 Prozent der
Gesamtbevölkerung ausmachen. Auch die Infektionsrate der Latinos ist mit 55
Prozent höher als die jeder anderen ethnischen Gruppe.
„Ein sehr großer Teil von Latinos arbeitet in Sektoren, die während der
Pandemie als unerlässlich gelten. Dazu zählen die Landwirtschaft,
Lebensmittelproduktion und auch die Krankenpflege. Für viele dieser
Arbeitsplätze gilt ein erhöhtes Infektionsrisiko“, sagte der Arzt Dr. Gill
Chavez bereits im vergangenen Jahr. Chavez ist Teil der kalifornischen
Coronavirus Testing Task Force. Risikofaktoren wie Übergewicht, Diabetes,
Rauchen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in der Latino-Community zudem
weit verbreitet.
„Hinzu kommen auch historische Aspekte, die dazu führen, dass Minderheiten
oft misstrauisch gegenüber staatlicher Gesundheitsvorsorge sind“, gibt
Virologin Paula Cannon im Gespräch mit der taz zu bedenken. „Dieses
Misstrauen kann jedoch nicht über Nacht behoben werden. Es braucht Zeit und
soziales Engagement, um dagegen anzukämpfen.“
Cannon, die an der renommierten University of Southern California (USC) als
Professorin tätig ist, glaubt jedoch, dass Kalifornien das Schlimmste der
Pandemie bereits überstanden habe. Schätzungen zufolge könnten knapp 40
Prozent aller Einwohner über 18 eine gewisse Immunität gegen das Virus
entwickelt haben, entweder durch Impfung oder durch Ansteckung. So hält sie
es für unwahrscheinlich, dass sich die Infektionszahlen des vergangenen
Frühjahrs oder der letzten Monate replizieren.
Auch die neuen Coronavirusvarianten, die in Kalifornien und auch anderen
Teilen der USA bereits diagnostiziert wurden, dürften laut Cannon daran
nichts ändern. „Der Schlüssel ist eine flächendeckende Impfung der
Bevölkerung. Und ich glaube, dies können wir hier schon sehr bald erreichen
und dann gibt es für diese Varianten schlichtweg nicht mehr genug
schutzlose Menschen, um auch nur für einen kleinen Anstieg zu sorgen“, so
die Virologin.
Bisher wurden in den USA schon mehr als 30 Millionen Menschen vollständig
geimpft. Das sind etwa 9 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Kalifornien
liegt man bislang knapp hinter dem US-Durchschnitt mit 3,3 Millionen
Impfungen und somit 8,5 Prozent der Bevölkerung.
12 Mar 2021
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## AUTOREN
Hansjürgen Mai
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