# taz.de -- Geschlechtergerechtigkeit in der Schule: Update der Lehrpläne erw�… | |
> Die Initiative „Keine Schule ohne Feminismus“ fordert Änderungen am | |
> Schulsystem. Die Kritik: fehlende Geschlechtergerechtigkeit im | |
> Unterricht. | |
Bild: „Wall of Shame“ als Kritik an Sexismus im Schulalltag | |
Berlin taz | „Es gibt Sexismus, auch an dieser Schule“, steht in | |
Großbuchstaben auf einem Zettel an der Tafel. Daneben verteilt sind | |
sexistische Entgleisungen zu lesen, von denen Schüler:innen einer | |
Berliner Schule berichten. Dazu gehören Kommentare und Aktionen sowohl von | |
Lehrern als auch von Schülern. Mit dieser Aktion protestierte die Gruppe | |
„Keine Schule ohne Feminismus“ (KSOF) schon im vergangenen November gegen | |
Sexismus im Schulalltag. | |
„Seit der Wall of Shame hat sich aber nicht viel verändert“, erklärt Greta | |
von KSOF. Unter anderem mit ihren Mitschülerinnen Jara und Laura hat die | |
Elftklässlerin daher einen offenen Brief verfasst. Ihre vollen Namen | |
möchten sie aber nicht in der Zeitung lesen. Pünktlich zum | |
[1][Frauenkampftag am 8. März] sollen die Forderungen veröffentlicht | |
werden. Adressiert ist der Brief an Bundesbildungsministerin Karliczek | |
(CDU) und die Berliner Bildungssenatorin Scheeres (SPD). Bisher haben | |
Vertreter:innen von fünf Berliner Schulen unterschrieben. | |
FLINTA*, also Frauen, Lesben, Intersexuelle-Nonbinary-Trans- und | |
Agender-Personen, seien im deutschen Schulsystem unterrepräsentiert, heißt | |
es darin. Das Schulsystem müsse für mehr Geschlechtergerechtigkeit | |
überarbeitet werden, heißt es. Gefordert wird eine Anpassung der Lehrpläne | |
auf Bundesebene. Geschlechtergerechter Unterricht könne nicht länger von | |
guten Lehrkräften abhängig sein, sondern müsse institutionell verankert | |
werden, heißt es im offenen Brief. | |
Die Initiative konzentriert sich vor allem auf die Fächer Biologie, | |
Geschichte, Politik, Philosophie und Deutsch. Ein Problem sehen die | |
Aktivist:innen besonders in der sexuellen Aufklärung. Der | |
Biologieunterricht etwa sei zu heteronormativ orientiert. Liebe und Sex | |
werde zu häufig auf Beziehungen zwischen Männern und Frauen reduziert. Für | |
ein realistischeres Bild der Gesellschaft sei es notwendig, vielfältige | |
Formen von Sexualität und Liebe zu vermitteln. | |
## Kritik am Sexualkundeunterricht | |
Gleichgeschlechtliche Sexualität im Unterricht zu behandeln, ist im | |
Berliner Rahmenlehrplan eigentlich schon verankert. Eine Information über | |
sexuelle Identitäten wünscht die Gruppe sich aber auch von externen | |
Stellen. So könne man vermeiden, dass dieselben Lehrer:innen, die sie | |
benoten, Einblicke in die Intimsphäre der Schüler:innen bekommen, | |
erklärt Aktivistin Laura. | |
Diese Art von Aufklärungsarbeit leisten diverse Mitglieder des Berliner | |
„Bündnis Aufgeklärt“ allerdings schon seit Jahren. Der [2][Lesben- und | |
Schwulenverband (LSVB)] bietet beispielsweise kostenfreie Workshops in | |
Schulen an, um für Sexuelle Identitäten und Vielfalt zu sensibilisieren. | |
Für Schüler:innen ab der sechsten Klasse veranstaltet die | |
Beratungsstelle von pro familia sexualpädagogische Seminare. | |
Im Unterricht mangele es an Aufklärung über die „Anatomie von Menschen mit | |
Uterus“, heißt es im Brief der Initiative weiter. Es fange dabei an, dass | |
Kindern keine akkuraten Begriffe für das weibliche Geschlechtsorgan | |
vermittelt würden. Insgesamt fehle es an Informationen über die „Lust von | |
Menschen mit Vulvina“. Greta von KSOF kritisiert: „Der männliche Orgasmus | |
wird im Unterricht thematisiert, der weibliche allerdings nicht.“ Zudem | |
fehle es an Informationen zu klitoraler Stimulation, denn Sex bestehe nicht | |
nur aus vaginaler Penetration. | |
Der Berliner Lehrplan sieht vor, „auch sexuelles Erleben und sexuelle | |
Verhaltensweisen“ zu reflektieren. Konkret wird aber nicht benannt, ob das | |
verschiedene Arten der Stimulation mit einschließt, wie es die Initiative | |
fordert. | |
Die Gruppe kritisiert zudem eine eurozentristische Perspektive im | |
Unterricht. Im Fach Geschichte würde etwa der Kolonialismus und der | |
Völkermord an Herero und Nama zu wenig behandelt. Viele Schüler:innen | |
würden sich den Stoff zwar selbst aneignen, aber in ihrem Unterricht sei | |
das Thema noch nicht vorgekommen, erklärt Jara. | |
## Forderungen teils schon in Lehrplänen | |
Der Berliner Lehrplan sieht das Thema „Europäische Expansion und | |
Kolonialismus“ bisher als Wahlmodul für die Jahrgangsstufen sieben bis acht | |
vor. Zudem ist auch der Völkermord an Herero und Nama im Lehrplan | |
verankert, erklärt ein Sprecher der Senatsbildungsverwaltung auf | |
taz-Anfrage. | |
Im Politik – und Philosophieunterricht liege der Fokus zu sehr auf einer | |
Ideengeschichte der großen Männer, kritisiert die Gruppe. Neben Rousseau | |
und Hobbes sollen demnach auch Theoretikerinnen wie Hannah Arendt behandelt | |
werden. Aus der eigenen Schulerfahrung berichtet Laura, dass eine Lehrerin, | |
mit der Forderung konfrontiert, keine relevante Autorin nennen konnte: | |
„Dabei hat sie das doch studiert. Ich finde bei einer Internetrecherche | |
gleich mehrere Autorinnen“, kritisiert sie. | |
Angelehnt hat die Initiative ihren Namen an „Schule ohne Rassismus – Schule | |
mit Courage“. Gefragt, ob sie sich bald auch bundesweit organisieren | |
wollen, erklärt Laura: „Die Organisation ist in der Pandemie gerade | |
besonders anstrengend.“ Während der Unterricht sich ohnehin online | |
abspielt, trifft sich die Gruppe vor allem über Videomeetings: „Wenn die | |
Pandemie dann hoffentlich irgendwann vorbei ist, werden wir uns auch in | |
Person mehr organisieren“, erklärt Greta. Angedacht ist dann möglicherweise | |
ein größeres Bündnis in Berlin zu bilden. | |
5 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Frauen-Kampftag-in-Berlin/!5751378 | |
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## AUTOREN | |
Oscar Fuchs | |
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