| # taz.de -- Kultur soll ins Grundgesetz: „Es geht um den Schutz von Kunst“ | |
| > Die Schauspielerin Katharina Kwaschik findet, dass die Kultur ins | |
| > Grundgesetz gehört. Darum hat sie eine Petition ins Leben gerufen. | |
| Bild: „Grundsicherung ist systematische Menschenverachtung“: Katharina Kwas… | |
| taz: Frau Kwaschik, Sie fordern, dass die Kultur per Grundgesetz geschützt | |
| werden muss. Dazu haben Sie mit MitstreiterInnen eine [1][Petition] ins | |
| Leben gerufen. Warum ist das so dringend? | |
| Katharina Kwaschik: Wir Kulturschaffende rund ums Theater Adlershof haben | |
| im November 2020 diese Initiative ins Leben gerufen, als gerade der | |
| Lockdown light für vier Wochen beschlossen worden war. | |
| Seit 2015 bespielen Sie alle in Adlershof das dortige ehemalige | |
| Fernsehtheater der DDR. | |
| Ja. Auf den ersten Treffen wurde klar, dass es für dieses Bündnis sehr | |
| verschiedene Gründe gibt, die die Frage nach der Bedeutung von Kunst und | |
| Kultur in unserer Gesellschaft berühren. Und das ja am Beispiel akut | |
| bedrohter künstlerischer Existenzen. Also haben wir uns in einem Team von | |
| neun Leuten aus Musik, Theater und Tanz zusammengetan. Wir wollten die | |
| Interessen aller Beteiligten formulieren, sie vereinen und so Kunst und | |
| Kultur wieder Gehör verschaffen. | |
| Sie wollten da auch ein Wort mitreden. | |
| Es erschien uns damals schon unverständlich, dass die kleinen und großen | |
| Kulturbetriebe der Stadt, die ziemlich guten Infektionsschutz sicherstellen | |
| können, geschlossen bleiben mussten, aber Einkaufszentren zunächst noch | |
| offen blieben. | |
| Derzeit beklagen ja viele Kulturschaffende, es sei im Vergleich zum ersten | |
| Lockdown komplizierter geworden, finanzielle Unterstützung zu beantragen. | |
| Beantragte Hilfen werden erst mit langen Verzögerungen ausgezahlt. Und ich | |
| höre sehr verschiedene Dinge über Absurditäten in der Antragsstellung. Es | |
| gibt auch einige, die durchs Raster fallen. Zum Beispiel Kollegen, die | |
| abwechselnd angestellt und freischaffend arbeiten und weder als komplett | |
| selbstständig noch als angestellt gelten. | |
| Was sagen Sie einem Politiker, der meint, die Kulturschaffenden könnten | |
| doch Grundsicherung beantragen? | |
| Tja, dass die Grundsicherung weit an der derzeitigen kulturpolitischen | |
| Krise vorbeigeht und keinesfalls Probleme löst. Zudem bringt sie | |
| Kulturschaffende in Situationen, mit denen sie der Staat nicht | |
| konfrontieren sollte. | |
| Was ist so schlimm an der Grundsicherung? | |
| Die Grundsicherung ist systematische Menschenverachtung: das Gegenteil von | |
| Wertschätzung und Schutz. Das Antragsverfahren ist kryptisch, das System | |
| kommuniziert immer in der Drohgebärde, kündigt Sanktionen an. | |
| Kulturschaffende werden in absurde Umschulungsmaßnahmen und Jobs gezwungen, | |
| während sie einen Beruf haben, mit dem sie gerade kein Geld verdienen | |
| dürfen. Manche haben Glück, weil sie an fähige Sachbearbeiter geraten. | |
| Andere müssen ernsthaft rechtfertigen, dass sie irgendwo wohnen und Miete | |
| zahlen. | |
| Ja? | |
| Einem befreundeten Puppenspieler ist das so gegangen. Man hat wohl nicht | |
| verstanden, dass dieser Mensch lebt. Also: dass er wohnt und nicht in einer | |
| Puppenkiste verschwindet, wenn er gerade nicht arbeitet. Auch scheint es | |
| viele Probleme mit der Künstlersozialversicherung zu geben, die | |
| Mitgliedschaften aufwendig prüfen lässt, wenn man sich in die | |
| Grundsicherung begibt. Das sorgt zusätzlich für Angst und Sorge bei den | |
| Kollegen. | |
| Außerdem arbeiten die Kulturschaffenden ja weiter. Sie proben zu Hause, sie | |
| machen Videokonferenzen, Pläne für die Zeit nach Corona. Sie haben eben nur | |
| Auftrittsverbot. | |
| Ja, letztlich ja. Sie sind nicht arbeitslos, und es ist immer eine | |
| Zumutung, die berufliche und existenzielle Legitimation zu verlieren, weil | |
| die Ausübung des Berufs nur stark eingeschränkt möglich ist. | |
| Daher die Forderung, dass die Kultur ins Grundgesetz muss? | |
| Auch daher, ja. Uns geht es um den Schutz von Kunst und Kultur, den wir im | |
| Grundgesetz verankert wissen wollen. Die Freiheit der Kunst ist ja im | |
| Grundgesetz formuliert und stellt damit ein Grundrecht dar. Die Kunst kann | |
| aber nur frei sein, wenn ihrer Entfaltung nichts im Wege steht, ihr Achtung | |
| und Akzeptanz entgegengebracht werden und sie durch die Kulturpolitik | |
| geschützt wird. Bislang ist etwa die Kulturförderung eine freiwillige | |
| Aufgabe der Länder und Kommunen. Hinzu kommt, dass das Recht auf kulturelle | |
| Teilhabe und der uneingeschränkte Zugang zu kultureller Bildung, in der | |
| UN-Charta definiert als Menschenrecht, seit Jahren schon durch | |
| Etatkürzungen extrem bedroht und nicht mehr gewährleistet ist. | |
| Was ist das Ziel? Dass es Sicherungsinstrumente auf Bundesebene gibt? | |
| Es gibt verschiedene Ziele, die zum Schutz der Kultur umgesetzt werden | |
| müssen. Neue und ergänzende Konzepte zur Sicherung für Kulturarbeit und | |
| Kulturschaffende auf Bundesebene gehören definitiv dazu. Aber viele unserer | |
| Ideen sind nicht neu. Da wurde schon einiges versucht, wie etwa von einer | |
| Enquetekommission vor vierzehn Jahren, die wichtige Empfehlungen und | |
| Konzepte erarbeitet hat, die wir heute aufgreifen und weiter ausbauen | |
| können. Die Verankerung im Grundgesetz wäre ein riesiger und | |
| verpflichtender Schritt, um hier wirklich nachhaltig etwas zu bewegen. | |
| Man muss da wahrscheinlich viele Hürden nehmen, oder? | |
| Ja, die Hürden sind interessanterweise schon im Thema angelegt. Es gibt | |
| wahnsinnig viele kontrovers zu diskutierende Fragen über die Definition von | |
| Kultur, deren Bedeutung und Relevanz für unsere Bevölkerung. Da scheiden | |
| sich die Geister, je nachdem, woher man kommt, ob aus dem früheren Westen | |
| oder Osten zum Beispiel. Festgeldempfänger eines voll subventionierten | |
| Kulturbetriebs halten Sicherungsinstrumente für Soloselbstständige | |
| erfahrungsgemäß für weniger relevant. Und natürlich gibt es viele Ängste in | |
| Hinblick auf die Zeit nach der Pandemie. Ich denke, dass der Kulturbetrieb | |
| sich durch die Krise komplett verändern wird und wir nicht zu einer zuvor | |
| gekannten Normalität zurückkehren werden. Inzwischen beginnt jedoch | |
| glücklicherweise eine Debatte über all diese Dinge, die wir mit der | |
| Unterstützung unserer ErstunterzeichnerInnen, unter denen sich erfahrene | |
| PolitikerInnen und Kunstschaffende befinden, führen werden. | |
| Wie ist denn so das Feedback auf die Petition? | |
| Seit Anfang Januar fängt die Sache so richtig an zu rollen. Wir sind | |
| aktuell bei knapp 26.000 Unterschriften. Langsam wird es wichtig, und wir | |
| bekommen viel Zuspruch von vielen Menschen sehr unterschiedlicher Art. Und | |
| wir bekommen auch kontroverses Feedback. Es entspinnt sich eine spannende | |
| Diskussion, die wir gut bündeln und der wir uns natürlich stellen müssen. | |
| Ihr Ziel sind 50.000 Unterschriften. | |
| Ja, das werden wir natürlich auch erreichen. Wobei man die Petition auch | |
| unabhängig vom Zeichnungsziel beim Petitionsausschuss eingeben kann. | |
| Vermutlich dürfen wir in jedem Fall vor dem Ausschuss sprechen. Allerdings | |
| glauben wir, dass die Wahrscheinlichkeit, gehört zu werden, steigt, wenn | |
| wir unser Ziel erreichen oder überschreiten. | |
| Erst vor Kurzem haben Sie die Zeichnungsfrist verlängert. | |
| Wir haben auf Mitte Juni verlängert. Wegen des Lockdowns können wir gerade | |
| nicht so aktiv und direkt werben, wie es nötig wäre. Auch nimmt die | |
| inhaltliche Debatte jetzt so viel Raum ein, sie muss unbedingt in dieses | |
| Projekt einfließen und so öffentlich wie möglich geführt werden. | |
| 26 Mar 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.kulturinsgrundgesetz.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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