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# taz.de -- Lockdown im Berliner Kulturbetrieb: „Das Vertrauen ist verloren“
> Berlins Kultureinrichtungen bleiben weiter geschlossen. Daniel Wesener
> (Grüne) spricht über das, was jetzt am meisten drängt.
Bild: Alles zu, auch hier in der Columbiahalle
taz: Herr Wesener, wird die Verlängerung des Shutdowns in den Berliner
Kultureinrichtungen am Montag Thema im Kulturausschuss sein?
Daniel Wesener: Mit Sicherheit werden wir die Beschlüsse der
Länderregierungen rekapitulieren. Aber wir werden auch den Blick nach vorn
richten und der Frage nachgehen, was jetzt geschehen muss, damit die
Kultureinrichtungen nicht wie im Sommer die Letzten sind, die infolge
allgemeiner Lockerungen wieder aufmachen können.
Sie sollen die Ersten sein?
Nein. Es geht darum, Vertrauen in die Politik wiederherzustellen, das
vielen Kulturschaffenden anlässlich des zweiten Shutdowns verloren gegangen
ist.
Verstehen Sie diesen Vertrauensverlust?
Ich habe den Eindruck, dass viele im Kulturbereich nachvollziehen können,
dass man auf ein allgemeines Infektionsgeschehen mit einer allgemeinen
Reduzierung von Kontakten reagieren muss. Was viele zu Recht nicht
verstehen, ist, wenn mit zweierlei Maß gemessen und der Stellenwert von
Kultur für eine Gesellschaft ignoriert wird. Es geht ja nicht nur um das
wirtschaftliche Überleben von Künstlerinnen und Künstlern, sondern auch um
kulturelle Teilhabe und die Relevanz von Kultur für den sozialen
Zusammenhalt.
Viele Kulturschaffende sind frustriert, weil sie viel investiert haben, um
nach dem ersten Shutdown wieder aufzumachen zu können.
Ja, viele haben sich unglaublich angestrengt, um das zu gewährleisten, was
ihnen von der Politik abgefordert wurde, nämlich Kulturveranstaltungen
[1][Pandemie-resilienter] zu machen. Die Suggestion war: Wenn ihr euch
genügend ins Zeug legt, wird das schon irgendwie. Und dann kam der zweite
Shutdown. Daraus müssen wir lernen. Kulturveranstaltungen brauchen
naturgemäß ein gewisses Maß an Planungssicherheit. Wir Grüne fordern
deshalb einen Stufenplan, aus dem klar hervorgeht, unter welchen
Bedingungen was und wann in geschlossenen Räumen wieder möglich sein wird.
Hier müssen belastbare Kriterien und Standards definiert werden, etwa durch
Benchmarks bei der Raumluftqualität oder eine Zertifizierung von
Lüftungstechnik.
Wie lief es finanziell für die Kulturschaffenden?
Bund, Länder und Kommunen haben geholfen, aber ein Großteil dieser Hilfen
war viel zu bürokratisch aufgesetzt und diverse Kulturschaffende und
Betriebe fallen bis heute durchs Raster. Gleichzeitig steht natürlich die
große Frage im Raum: Wie hält es diese Gesellschaft eigentlich
grundsätzlich mit der Kultur? Ist die nur ein Teil unserer
Freizeitgestaltung? Haben wir es womöglich mit einem Sterben auf Raten zu
tun, weil die öffentlichen Kulturhaushalte die Kosten der Coronakrise
bezahlen müssen? Die bayerische Landeshauptstadt hat gerade angekündigt,
ihren Kulturetat zu kürzen.
Ist es noch vermittelbar, dass ich mir nach wie vor in einer kommerziellen
Galerie ein Bild kaufen, aber keins in einem öffentlichen Ausstellungshaus
ansehen darf?
Auf den ersten Blick gibt es viele reale und vermeintliche Absurditäten.
Das von Ihnen genannte Beispiel folgt zumindest einer allgemeinen
Systematik: Galerien sind formal Gewerbebetriebe mit einem Geschäftszweck;
die allermeisten Museen und Kunsthallen nicht. Aber natürlich ist das
schwer vermittelbar. Zumal es den Kulturschaffenden ja nicht um eine
Privilegierung, sondern um Gleichbehandlung geht. Verheerend ist aber vor
allem, wenn der Eindruck entsteht, dass es die Politik an Wertschätzung
vermissen lässt und Kulturschaffende im Ungewissen darüber gelassen werden,
wie es für sie überhaupt weitergeht.
Wie finden Sie die Idee, dass es Kurzarbeit für alle geben müsste?
Wir hatten und haben in vielen öffentlichen Kultureinrichtungen Kurzarbeit.
In der Coronakrise ist aber die Gerechtigkeitslücke zwischen der
institutionell geförderten Kultur und dem, was man gemeinhin [2][Freie
Szene] nennt, besonders grell zutage getreten. Für freischaffende Künstler
und Kreative gibt es keine Kurzarbeit. Genau das steckt aber hinter der
Idee des fiktiven Unternehmerlohns, mit der Einnahmeverluste im
Vorjahresvergleich zu einem relevanten Anteil kompensiert werden. Viel von
dem verständlichen Zorn und Misstrauen, die es in Teilen der Kulturszene
heute gegenüber der Politik gibt, wäre allen Beteiligten erspart geblieben,
wenn es diesen Unternehmerlohn von Anfang an gegeben hätte.
Früh gab es aber den erleichterten Zugang zu Grundsicherung. Was halten Sie
davon?
Die Grundsicherung ist keine adäquate Hilfe für eine Berufsgruppe, die ja
nicht arbeitslos ist. Künstlerinnen und Künstler können ihrer Arbeit
nachgehen und tun das so weit wie möglich auch, dürfen ihre Kunst aber
aufgrund der Einschränkungen nicht präsentieren. Dem muss die Politik
Rechnung tragen.
29 Nov 2020
## LINKS
[1] /KinderKulturMonat-zum-neunten-Mal/!5715499
[2] /Freiberufler-in-der-Coronakrise/!5727702
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Lockdown
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