# taz.de -- Podcast-Reihe zu Mutterschaft: Wer ist jetzt die Supermutter? | |
> Eine unterhaltsame Podcast-Reihe von Felizitas Stilleke diskutiert | |
> Mutterschaft. Auch Nichtmutterschaft und mögliche dritte Wege sind Thema. | |
Bild: Zwei Nichtmütter im Gespräch: Thais di Marco und Felizitas Stilleke | |
Es gibt selten Themen, die sich einfach nicht erschöpfen, ganz egal, wie | |
sehr sie diskutiert werden. Ganz sicher liegt es in diesem Fall daran, dass | |
Mutterschaft einer dieser seltsamen Reste ist, die sich zäh gegen das | |
Versprechen der Gegenwart stemmt, dass einfach jede*r alles sein kann. | |
Mutterschaft: Das ist ein faszinierendes Relikt aus grauer Vorzeit, das | |
sich schlicht nicht kleinreden lässt – [1][gerade jetzt in diesen | |
krisengeschüttelten Zeiten], wo wieder überall Geschlechterrollen aufgehen, | |
erscheint sie wieder einmal superinteressant. Zum Beispiel diese Frage: | |
Gibt es eigentlich noch immer keinen dritten Weg zwischen Mutterschaft und | |
Nichtmutterschaft? | |
Mit dieser Fragestellung beginnt denn auch [2][ein performativer Podcast | |
namens „The Mother in Me is the Mother in You“] von Dramaturgin und | |
Kuratorin Felizitas Stilleke in Kooperation mit dem Ballhaus Ost – die | |
zweite Folge war am Sonntag anzuhören, alle der insgesamt fünf Folgen mit | |
jeweils anderen Gesprächspartner*innen, die sonntags live kommen, werden | |
bis Mai über die Website des Ballhauses Ost nachhörbar sein. | |
„Nicht-/Noch-nicht-/Nicht-mehr-/Vielleicht-/Mutterschaft“, so heißt es | |
vielversprechend im Trailer – und schon erlebt die Zuhörerschaft zum | |
Einstieg ein so amüsantes wie irritierendes Gespräch zwischen Felizitas | |
Stilleke, die übrigens offen zugibt, es bislang lediglich zur Tante | |
gebracht zu haben – und Thais Di Marco, eine brasilianische Choreografin, | |
Theaterregisseurin und Aktivistin, die derzeit in Amsterdam lebt, sich | |
ebenfalls sofort als Nichtmutter outet. | |
Erst nach und nach stellt sich heraus, dass Di Marco in einer | |
afrobrasilianischen Community aufgewachsen ist, in der soziale Mutterschaft | |
nicht weniger wert ist als biologische. „Im Brasilianischen bedeutet das | |
Wort Mutter nicht viel“, sagt sie. „Wenn man von seiner Mutter spricht, | |
dann muss man auch den spezifischen Typ von Mutter benennen“, fügt sie an. | |
Und präsentiert dann eine Reihe von Interviews mit Frauen, die sie alle | |
Mutter nennt. | |
Wer ist wer und wie verwandt? | |
Immer wieder und unter reichlich Gelächter muss Stilleke trotz der Woche, | |
die sie zur Vorbereitung des Podcasts mit ihren Gesprächspartner*innen | |
verbringt, nachfragen, ob die Supermutter auch wirklich der biologischen | |
Mutter entspricht, also der Großmutter, wie man sie hier kennt – oder ob es | |
sich bei einer anderen Interviewpartnerin um die Schwester oder um die | |
Nichte der Künstlerin handelt. | |
Die Verwirrung ist perfekt, als Di Marco von Teenagerinnen berichtet, mit | |
denen sie in Brasilien gearbeitet hat. Viele dieser jungen Mädchen, erzählt | |
sie, schlafen auf Partys mit mehreren Männern auf einmal, um qua | |
Schwangerschaft aus den alten Familienverhältnissen ausbrechen zu können, | |
die häufig von häuslicher Gewalt geprägt sind – und sei es als | |
alleinerziehende Mutter. Zwischendurch gibt es beeindruckende musikalische | |
Einlagen mit Trommeln und Gesang – unter anderem ein Schlaflied einer | |
Sklavin für ihr ungewolltes Kind, das nicht wie die Mutter in | |
Gefangenschaft aufwachsen soll. | |
In ihrer Community, erklärt Di Marco, wird der Candomblé praktiziert, eine | |
Religion, die mit den Sklav*innen aus Westafrika nach Brasilien kam. Ihre | |
Kulte erscheinen aus europäischer Perspektive fremd. Andererseits zeigt | |
sich die deutsche Dramaturgin Stilleke nicht nur über die Kinderlosigkeit, | |
sondern auch über den Kampf für politische Ziele wie Gleichberechtigung | |
sehr mit Di Marco verbunden. | |
Die Spannung zwischen Vertrautheit und Verwunderung ist es, die auch den | |
zweiten Podcast von Felizitas Stilleke über mehr als anderthalb Stunden | |
trägt. Die neue Gesprächspartnerin, Theater- und Hörspielregisseurin | |
Philine Velhagen, ist biografisch näher dran: Sie ist die Einzige des | |
Podcasts, die tatsächlich biologische Mutter ist. So gestaltet sich die | |
Annäherung zwischen den Frauen anders, das wird gleich am Anfang klar, denn | |
Velhagen habe als Beweis ihren Mutterpass dabei, behauptet sie. Kein | |
schlechter Anfang für ein Gespräch, in dem es weniger um die Frage geht, | |
was Mutterschaft in verschiedenen Kulturen heißt, sondern darum, wie wir | |
hierzulande über Mutterschaft sprechen – und was wir in diesem Zusammenhang | |
gern auslassen. | |
Eines der interessantesten Projekte von Philippe Velhagen, so erfährt man | |
auch im Podcast, war ein soziales Experiment, für das sie einen Monat lang | |
das Einkommen mit ihren Freund*innen teilte, jede*r legte Rechenschaft | |
ab über Einnahmen und Ausgaben. Bei Felizitas Stilleke spricht Velhagen | |
nicht nur ungewohnt offen über ihre Fehlgeburten und ihre Abtreibung, | |
sondern auch über Menstruation und Menopause. In vertauschten Rollen lesen | |
sich die Frauen Neidlisten vor – es geht also auch hier um Zuschreibungen | |
und Redeverbote. Auch vor Blödeleien und Stehgreifwitzen scheuen die Frauen | |
nicht zurück, schließlich sollen hier Sprach- und Schambarrieren | |
eingerissen werden, die den klaren Blick auf Mutterschaft verstellen. Das | |
ist so unterhaltsam, dass man sich wünscht, dieser Podcast würde nicht | |
schon in wenigen Wochen enden. | |
31 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Corona-und-Geschlechterrollen/!5757326 | |
[2] https://www.ballhausost.de/produktionen/the-mother-in-me-is-the-mother-in-y… | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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