Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Obdachlosigkeit in der Pandemie: Straße statt Schlafsaal
> Viele Obdachlose meiden Notunterkünfte. Doch die Stadt Hamburg will sie
> nicht in Hotels unterbringen. Dabei zeigen private Initiativen, dass das
> geht.
Bild: Winter in Hamburg: Dreizehn Menschen sind in ein paar Wochen auf den Stra…
Hamburg taz | Der Hamburger Schanzenpark ist weiß verschneit, der Himmel
strahlt blau, johlende Kinder rodeln den Hang am Fuße des Wasserturms
hinunter. Die Kälte scheinen sie gar nicht wahrzunehmen.
Ein paar hundert Meter weiter steht Andi vorm Supermarkt und wartet, dass
der Winter vorbeigeht. Er sei im Winterschlaf, sagt er, und überlebe
einfach.
Andi ist gerade 60 geworden und lebt mit seinem Hund Juli auf der Straße –
so ziemlich seit immer, sagt er. Auch jetzt, wenn es kalt ist, möchte er
nicht in eine Sammelunterkunft. Er glaubt nicht daran, dass man ihm dort
wirklich helfen will. „Ich bin zäh“, sagt er. „Es wär’ natürlich tro…
schön, wenn ich morgen nicht festgefroren in der Ecke liege, da kenne ich
auch ein paar.“ Er lacht.
Tatsächlich sind seit Dezember schon bis zu dreizehn Obdachlose in Hamburg
gestorben. Die Angaben dazu gehen auseinander. Gerade wurde ein Mann tot an
den Landungsbrücken gefunden. Er sei wiederholt auf das Winternotprogramm
der Stadt aufmerksam gemacht worden, berichtet der Verein „Leben im
Abseits“ auf Facebook, habe aber auf keinen Fall in eine Massenunterkunft
gehen wollen.
Mehrere Bürgerinitiativen hatten in den vergangenen Wochen immer wieder
eine angemessene Unterbringung für obdachlose Menschen gefordert. „Es ist
eine riesige Katastrophe, die Menschen verelenden vor unser aller Augen“,
warnt Christiane Hartkopf, die mit dem privat organisierten „Kältebus“
Schlafsäcke verteilt und Obdachlosen anbietet, sie ins Winternotprogramm zu
bringen. Die Wetter- und Coronalage verschärften die Situation obdachloser
Menschen drastisch.
Seit März seien die meisten Tageseinrichtungen geschlossen und
Aufenthaltsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Sozialarbeiter:innen
und Tageseinrichtungen berichteten, viele der Obdachlosen hätten in dieser
Zeit drastisch abgenommen. Ihnen fehle es an Orten der Ruhe und an sozialem
Austausch. Hygienekonzepte würden in einigen Einrichtungen nicht
durchgesetzt, so Hartkopf.
Das Festhalten der Stadt an der Unterbringung Obdachloser in
Sammelunterkünften kritisiert sie scharf. Viele Initiativen und auch die
Fraktionen von CDU und der Linken fordern wegen des Infektionsrisikos eine
Einzelunterbringung.
Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) hatte die Gemeinschaftsunterbringung
am Dienstag im Sozialausschuss noch gerechtfertigt: „Wir als Stadt könnten
diese hohe Zahl an Menschen nicht so ohne Weiteres dezentral versorgen.“
Das sei keine Frage des Geldes, sondern eine Frage von „Schwerpunktsetzung
und Fachlichkeit“. Aus Sicht der Behörde sei es nicht möglich, eine
angemessene fachliche Betreuung im Rahmen der Einzelunterbringung zu
gewährleisten.
Dabei hat auch ihre Behörde längst angefangen umzusteuern: Zusätzlich zu
den über 1.000 Schlafplätzen in Massenunterkünften hat die Stadt Anfang
Februar 35 Einzelzimmer zur Verfügung gestellt. Nach Angaben der
Sozialbehörde bleiben regelmäßig viele Plätze frei. Bei ihren Touren mit
dem Kältebus seien sie trotzdem mehrfach wegen Überfüllung abgewiesen
worden, berichtet Hartkopf.
Die Stadt mache zweifelsfrei Hilfsangebote, die Konzepte seien aber
überholt, sagt Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter beim Straßenmagazin
Hinz&Kunzt. Neben der Angst vor Diebstahl und Gewalt sei auch die
psychische Belastung in großen Unterkünften nicht zu unterschätzen. Es
könne erdrückend sein, sich jeden Abend mit der Situation der Verelendung
und der großen Anzahl an anderen Betroffenen konfrontieren zu müssen.
„Gerade jetzt, während Corona, brauchen Obdachlose bestmöglichen Schutz –
eigentlich nach jenen Standards, die aktuell in Altenheimen herrschen“, so
Karrenbauer. Ein Großteil von ihnen sei vom Leben auf der Straße körperlich
angeschlagen und gehöre zur Hochrisikogruppe.
Ein Projekt im vergangenen Frühjahr hatte gezeigt, wie erfolgreich die
Einzelunterbringung Obdachloser ist: Hinz&Kunzt, die Diakonie und das Cafée
mit Herz hatten spendenfinanziert etwa 170 Menschen in leer stehenden
Hotels untergebracht. Zwar sei der Personalaufwand dort hoch gewesen, weil
die Hotelgäste sich aber stabilisierten und besser erreichbar waren, habe
man den Einsatz in der Straßensozialarbeit herunterfahren können, heißt es
in einer Bilanz.
Derzeit sind wieder 120 Menschen in Hotels und Hostels untergebracht. Eine
Spende des Unternehmens Reemtsma und der Nordkirche hatte Anfang Dezember
die Wiederaufnahme des Projekts mit 120 Plätzen bis Ende April möglich
gemacht.
Der Verein „Straßenblues“ hat zusätzlich 40 Obdachlose in der
Jugendherberge am Stintfang untergebracht, ebenfalls durch Spenden
finanziert.
Die Stadt lehnt eine Beteiligung an der Hotelunterbringung weiterhin strikt
ab. „Kostengründe kann das nicht haben“, beschwert sich Christiane
Hartkopf. Ein Hotelzimmer koste für eine Nacht pro Person rund 30 Euro.
Rechne man das hoch, so sei damit maximal die Hälfte des städtischen
Budgets von rund zehn Millionen Euro gebunden, mit dem Rest ließen sich
problemlos Versorgung und sozialarbeiterische Begleitung finanzieren, so
Hartkopf.
## Zeltlager mit beheizten Schlafmöglichkeiten
„Ich habe das Gefühl, die machen das für sich selbst und nicht für uns“,
sagt Andi über das Notprogramm. „Was machen die mit der Kohle, wenn er da
unter der Brücke pennen muss?“, sagt er und zeigt auf ein Matratzenlager
auf dem Schulterblatt.
Für Menschen wie Andi ist es schwierig, eine städtische Unterkunft zu
finden – Hunde sind dort meistens unerwünscht. Doch im Schanzenpark hat nun
das Café und Kulturzentrum Schroedingers im alten Norwegerheim ein
Zeltlager mit beheizten Schlafmöglichkeiten für Obdachlose mit Tieren
aufgebaut. Mit einem Aufruf am Wochenende seien schnell die nötigen
Sachspenden zusammengekommen und freiwillige Helfer:innen hätten sich
gefunden, um auch nachts für Sicherheit zu sorgen, sagen die
Initiator:innen.
Man müsse aufpassen, beim derzeitigen Credo „Abstand halten!“ nicht auch
Abstand von der Not der Obdachlosen zu nehmen, sagt Hartkopf. Viele
Obdachlose berichteten, sie würden sich weniger wahrgenommen fühlen. Dabei
sei es aktuell wichtiger denn je, dass die Stadt sich den Bedürfnissen der
Obdachlosen annehme und ihre Mitmenschen aufmerksam seien. „Der Winter ist
kalt und der Winter ist jetzt!“, so Hartkopf.
12 Feb 2021
## AUTOREN
Johanna Sethe
## TAGS
Obdachlosigkeit in Hamburg
Wohnungslose
Hamburg
Obdachlosigkeit
Wohnungslosigkeit
Schwerpunkt Armut
Housing First
IG
Obdachlosigkeit
taz.gazete
Kirche
Obdachlosigkeit in Hamburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Engagement für Arme in Hamburg: Stillsitzen kommt nicht infrage
Andrea de Luna hilft in Altona mit ihrem Verein „Dein Topf“ bedürftigen
Menschen. Kürzlich hat die Heavy-Metal-Band Metallica 40.000 Euro
gespendet.
Unterbringung von Obdachlosen in Hamburg: Vom Hotel auf die Platte
Dank Spenden konnten 130 Obdachlose im zweiten Lockdown in eigenen Zimmern
wohnen. 15 fanden eine Wohnung, viele müssen aber zurück auf die Straße.
Kleiderkammern in Hamburg: Volle Lager, keine Weitergabe
Hamburgs Kleiderkammern quellen über, zugleich steigt die Zahl der
Bedürftigen. Aber die Kleiderkammern können pandemiebedingt nicht öffnen.
Kältehilfe für Obdachlose in Berlin: Aufwärmen unter der Diskokugel
Im Festsaal Kreuzberg in Berlin können sich Obdachlose bei Minusgraden
tagsüber aufhalten. Doch das Angebot nehmen nur wenige wahr.
Umgang mit Obachlosigkeit: Der akzeptierte Missstand
Obdachlose brauchen keine Almosen. Sie bräuchten eine warme Wohnung, ein
Bett, einen gefüllten Kühlschrank und jemanden, der sich um sie kümmert.
Marktkirche beherbergt Obdachlose: Isomatten auf heiligem Boden
Auf Bitten der Stadtverwaltung hat Hannovers Marktkirche zehn Schlafplätze
eingerichtet, die Obdachlose vor dem Winterwetter schützen sollen.
Expertin über Obdachlose und die Kälte: „Es ist eine üble Situation“
Monika Kelting hilft Obdachlosen in Hamburg. Sie erklärt, wie Corona die
Lage der Menschen verschlimmert und warum klassische Notunterkünfte oft
gemieden werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.