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# taz.de -- Engagement für Arme in Hamburg: Stillsitzen kommt nicht infrage
> Andrea de Luna hilft in Altona mit ihrem Verein „Dein Topf“ bedürftigen
> Menschen. Kürzlich hat die Heavy-Metal-Band Metallica 40.000 Euro
> gespendet.
Bild: Viel zu tun für Ehrenamtliche: Essensausgabe bei Dein Topf
An einem kalten Samstagmorgen peitscht der Regen auf die Holstenstraße in
Hamburg-Altona. Hinter den Fenstern der Nummer 20 ist für ein paar Sekunden
ein Schatten zu sehen. Er verschwindet und die Tür öffnet sich: Eine
kleine, zierliche Frau mit schulterlangen blonden Haaren kneift ihre Augen
zusammen und lächelt.
Im Haus ist es noch leise. Nur die Kühlschränke brummen und de Lunas
Sneaker quietschen über den Boden. Eine enge Treppe führt in den Keller.
Mit ihren Fingern streicht sie über bunte, dicke Jacken. „Hier können die
Gäste shoppen. Wir haben sogar eine Umkleide!“, sagt sie.
Sie eilt weiter in den angrenzenden Raum und muss warten, bis das Licht
angeht. In den Regalen liegen Konserven, Nudeln und Schlafsäcke. Aus einem
Karton nimmt sie Einwegverpackungen für Mahlzeiten und entschuldigt sich
dafür, dass sie nicht nachhaltig sind.
Alles, was hier lagert, wurde gespendet. „Schwarmintelligenz!“, sagt sie.
„Dein Topf“ finanziert sich allein über Spenden. Erst kürzlich [1][hat die
Heavy-Metal-Band Metallica 40.000 Euro überwiesen]. De Luna kommt ihr
großes Netzwerk zugute. „Als mir 2015 während der Flüchtlingskrise vor dem
Fernseher die Tränen herunterliefen, wusste ich: Ich muss helfen. Vom
Weinen ändert sich nichts“, sagt de Luna.
## Acht Ehrenämter
Seitdem haben acht Ehrenämter ihre Ansprüche verändert. [2][2015 hat sie
Hanseatic Help mitgegründet], die zunächst Spenden für Geflüchtete und
später auch für Obdachlose sammelte. Außerdem hat sie beim Hamburger
Hilfskonvoi mitgemacht, der Sachspenden in den Nahen Osten und nach
Griechenland brachte. Geflüchteten hat sie bei Start with a friend und dem
Teemobil das Ankommen erleichtert. Im Sonnenschein Café, der Alimaus, dem
Cafée mit Herz und dem Kältebus hat sie für Obdachlose gesorgt.
Es gibt eine Sache, die Andrea de Luna nicht kann: stillsitzen. „Früher
habe ich mir in meiner Freizeit die dritte unnötige Jacke gekauft“, sagt
sie. „Helfen gibt mir heute viel mehr, auch wenn das vielleicht egoistisch
ist.“
Der erste Lockdown in der Coronapandemie war gerade drei Tage in Kraft, im
März 2020, da hat sie „Dein Topf“ gegründet. Sie hat Essen auf der Straße
verteilt und später in den Räumen des Vereins „Kids Welcome“ im
Karolinenviertel. Kids Welcome bietet Hausaufgabenhilfe für geflüchtete
Kinder an. Die Büroräume wurden in der Pandemie nicht benötigt, da alle
Mitarbeiter*innen im Homeoffice waren.
„Sollte ich die Menschen verhungern lassen? Alle Lebensmittelausgaben
hatten von einem auf den anderen Tag zu!“, sprudelt es aus de Luna heraus.
„Das ganze Hilfesystem war zusammengebrochen.“ Heute haben
Lebensmittelausgaben wie Herz As, [3][Alimaus] oder Cafée mit Herz aber
wieder geöffnet. Ans Aufhören denkt Andrea de Luna dennoch nicht. An den
Wochenenden gibt es deutlich weniger Angebote als alltags. Bei „Dein Topf“
gibt es von freitags bis sonntags von 14 bis 17 Uhr etwas zu essen.
Stimmen übertönen de Lunas Schritte, als sie die Treppe wieder
hinaufsteigt. Sieben Helfer*innen laufen in der Küche und im Ausgaberaum
durcheinander. Der Eintopf wird aufgewärmt und ein großer Tisch mit Donuts,
Lahmacun, Bananen und Konserven vorbereitet.
Die warmen Speisen bereiten die Köch*innen vom Kiez-Theater Schmidt’s
Tivoli und dem Hotel Hafen Hamburg zu. Auch in der „Volxküche“ in den
ehemals besetzten Häusern in der Hafenstraße [4][wird Essen für „Dein Topf…
gekocht.] Ab und zu bringen Privatleute oder die Jüdische Gemeinde etwas
vorbei.
Wencke Wehmeier ist Logopädin und gibt heute das Essen aus dem Fenster an
die Menschen heraus. Seit 2020 hilft sie. In de Lunas Team sind über
siebzig Ehrenamtliche tätig. Vor der Essensausgabe stehen Männer, Frauen
und Kinder. De Luna zieht ihre Jacke an und setzt ihre Beanie-Mütze auf.
Draußen hält ihr ein Mann sein Handy hin und wedelt mit den Armen in der
Luft. Die Übersetzungsapp hilft: Seine Schuhe sind kaputt, die er vor einer
Woche erst abgeholt habe. Sofort läuft sie in den Keller und holt ihm neue
Stiefel. „Thank you, I love you!“, ruft er und lacht über das ganze
Gesicht.
Rainer ist jede Woche da und bedankt sich dreimal hintereinander bei den
Helfer*innen, die in pinken Westen am Rand der Schlange stehen. „Dass ihr
euer Wochenende hier verbringt, ist toll!“, sagt er und rückt lächelnd
seine Brille zurecht.
Mütter mit ihren Kindern nimmt de Luna an die Hand und begleitet sie an den
Anfang der Schlange. „Die müssen hier nicht zwischen Betrunkenen stehen.“
In den letzten Jahren kommen immer mehr Mütter mit Kindern und Obdachlose,
erzählt sie.
2021 lag die Armutsgefährdungsquote für Alleinerziehende in Hamburg bei
fast 42 Prozent. Untergebracht wohnungslos sind in der Stadt mehr als 1.020
Menschen pro 100.000 Einwohner*innen – fünfmal so viele wie im
Bundesdurchschnitt. Und das sind nur die, die eine Unterkunft gefunden
haben. Wie viele Menschen auf der Straße leben, wird nur geschätzt. Die
Zahl ist in den vergangenen Jahren ständig gestiegen.
## Schwer, Vermieter zu finden
Um 17 Uhr ist Schluss. De Luna verteilt die letzten Donuts. Am liebsten
würde sie noch viel mehr tun. Sie träumt davon, ihr Angebot auszuweiten und
einen Tagesaufenthalt im Warmen anbieten zu können. Es macht sie traurig,
dass sie diesen Traum gerade nicht in die Tat umsetzen kann.
Dafür finde sie schlicht keine Räume. In der Holstenstraße arbeitet sie
erst seit November. „Es war unglaublich schwer, Vermieter zu finden“,
erzählt sie. „Alle sagen immer: 'Wirklich ein tolles Projekt’ – und dann
kommt das große Aber“, seufzt de Luna leise. Vor allem Obdachlose wollen
die meisten nicht in der Nähe haben.
Außerdem wisse sie nicht, wie sie das Ganze finanzieren sollte –
schließlich muss sie gerade keine Miete zahlen. Das Bezirksamt Altona trägt
sie derzeit aus EU-Mitteln – allerdings nur noch bis August. Wie es dann
weitergeht, ist unklar. Die Bürokratie ist für de Luna ein großes
Hindernis. Auf ihre Betriebserlaubnis habe sie fast ein halbes Jahr warten
müssen. Trotzdem: Der Tagesaufenthalt ist ihr nächstes Ziel. „Klar, das
Essen ist wichtig“, sagt sie. „Aber vielmehr geht es darum, dass wir alle
miteinander Zeit verbringen können.“
De Luna und ihre Helfer*innen sammeln Müll vom Boden auf, wischen und
verteilen das übriggebliebene Brot untereinander. Das Feierabendbier
zischt. Wehmeier streckt sich und gähnt: „Puh, die Doppelschicht war
anstrengend.“ De Luna lacht, schiebt ihren Stuhl in die Ecke und sagt: „Die
mache ich jedes Wochenende dreimal.“
30 May 2023
## LINKS
[1] /Doku-ueber-Bandleben-auf-der-Autobahn/!5766406
[2] /Kleiderkammern-in-Hamburg/!5756292
[3] /Unterbringung-von-Obdachlosen-in-Hamburg/!5772020
[4] https://www.deintopf-hamburg.de/
## AUTOREN
Nina Spannuth
## TAGS
Schwerpunkt Armut
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