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# taz.de -- Betrug beim Boston Marathon 1980: Die Siegerin, die keine war
> 1980 lässt sich zur Verwunderung aller eine gewisse Rosie Ruiz als
> Marathonsiegerin feiern. Sie war erst kurz vor dem Ziel eingestiegen.
Bild: Rummel um eine Betrügerin: Rosie Ruiz bei einer Pressekonferenz 1980
Als Rosie Ruiz 1980 über die Ziellinie des Boston Marathon lief, war
schnell offensichtlich, dass irgendetwas nicht stimmte. Ruiz hatte einen
Rekord beim Boston Marathon aufgestellt, war die drittschnellste je
gemessene Zeit der Welt bei den Frauen gelaufen. Doch die gebürtige
Kubanerin lief nicht wie jemand, der regelmäßig Sport treibt. Sie bewegte
sich eher stolpernd, ihr Körper war schlaff und untrainiert. Und die
Konkurrentinnen hatten sie auf der Strecke nicht gesehen.
Auf die Interviewfragen der einstigen [1][Marathon-Läuferin Katherine
Switzer] wirkte sie kurz verwirrt. „Haben Sie viel Intervalltraining
gemacht?“ „Ich bin mir nicht ganz sicher, was Intervalle sind. Was ist
das?“ Die 26-Jährige trug ein schweres T-Shirt, hatte aber kaum geschwitzt.
Auf Nachfrage erklärte Ruiz: „Ich bin heute Morgen mit viel Energie
aufgewacht.“ Und sie wurde als Siegerin geehrt. Doch Ruiz war eine
Betrügerin.
Rosie Ruiz ist ganz sicher nicht die erste weibliche Betrügerin im Sport
gewesen, wer verzeichnet so was auch schon, doch eine der schillerndsten.
Auch unter den Schurken des Sports interessiert man sich leider vor allem
für Männer. Geschichten von deren listigen Manövern und aufgeflogenen Lügen
gibt es in lustigen Zusammenstellungen, dabei sind Frauen wohl nicht
netter.
Es ist bis heute nicht klar, warum Rosie Ruiz so tat, als habe sie den
Boston Marathon absolviert. Zeit ihres Lebens hat sie das vehement
behauptet, obwohl Medien und Untersuchungen ihre Lüge relativ schnell
nachwiesen: Ruiz war zwar regulär gestartet, aber kein Foto und Video
zeigte sie auf der Strecke. Augenzeugen sahen, wie sie etwa eine halbe
Meile vor dem Ziel zwischen den ZuschauerInnen hindurch wieder auf die
Strecke gelaufen war.
## Es lebe der ÖPNV!
Und eine Fotografin brachte die vermutliche Erklärung: Während eines
Marathons in New York City hatte sie Ruiz in der U-Bahn angetroffen. Auch
dort kam Ruiz mit herausragender Zeit ins Ziel. Es lebe der ÖPNV.
Die Geschichte hinter Rosie Ruiz ist tragischer, als diese Räuberpistole
vermuten lässt. In Kuba während der Revolution geboren, floh sie im
Kindesalter in die USA. Dort wuchs sie offenbar in großer Armut auf,
getrennt von der Mutter, von einer Verwandten zur anderen geschoben. Und
entdeckte vielleicht die Lüge als Weg zu Anerkennung und Luxus. Als junge
Sekretärin [2][in New York] erreichte sie ihre Teilnahme am (bereits für
BewerberInnen geschlossenen) Marathon mit der Story, sie habe einen
tödlichen Hirntumor. Und nach dem Ende ihrer spontanen sportlichen Laufbahn
erregte sie noch einmal Aufmerksamkeit, als sie in einem Unternehmen 60.000
Dollar veruntreute und damit ihre Ski-Urlaube finanzierte.
Aus bürgerlichen Konventionen machte sie sich auch später nicht viel,
zwischenzeitlich war sie Kokain-Dealerin. Immer mal wieder versprach Rosie
Ruiz in Interviews, noch einen Marathon zu laufen und ihr Können unter
Beweis zu stellen. Sie tat es nie und starb 2019 an Krebs.
Die Details ihres kurzen Ruhms hatte die junge Frau wohl selbst nicht
geplant. Ein Bekannter bestätigte später, dass Ruiz nicht wusste, dass sie
noch vor der Ersten auf die Strecke gelaufen war. „Sie war so geschockt wie
alle anderen über den Sieg.“ In Interviews dagegen strickte sie ihre
Geschichte weiter, vergoss Tränen darüber, wie ungerecht man sie behandle.
Irgendwann glaubte sie es vielleicht selbst.
„Ich finde, es wird nicht genug über laufende Frauen berichtet“, sagte sie
mal. Zumindest für einige Wochen änderte Ruiz das unfreiwillig. Und ihre
Strategie findet bis in die Gegenwart Freundinnen: Noch 2015 flog die
Triathlon-Weltmeisterin Julie Miller wegen Abkürzens beim Ironman Canada
auf. Mittlerweile gibt es, nebenbei, auch einen Rosie-Ruiz-Laufclub mit
einem hübschen Slogan: because riding is better than running – weil Fahren
besser ist als Laufen. Ruiz würde gewiss zustimmen.
27 Jan 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Alina Schwermer
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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