Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Paralympische, britische Pionierin: Befreiung und Unterdrückung
> Margaret Harriman trat 1964 bei den Paralympics an. Sie engagiert sich
> für Paralympische Athleten und gegen rassistische Staaten wie Rhodesien.
Bild: Margaret Harriman (l.) bei den Paralympischen Spielen 1964 in Tokio
Margaret Harriman war da, wo Zeitenwenden passierten. So oft, dass sich
dieses turbulente 20. Jahrhundert in ihrer schillernden und
widersprüchlichen Biografie zu verdichten scheint. Dass kein Mensch
Margaret Harriman kennt, liegt natürlich, wie sie selbst wusste, daran,
dass sie im Rollstuhl saß. Ihren Aufbruch zu den zweiten Paralympischen
Spielen 1964 schildert Harriman so: „Sie haben über uns auf den Newsseiten
berichtet, nicht als Sportthema. Wir hatten eine Behinderung. Wir waren
eine Art Gimmick. Wir waren nicht geeignet für die Sportseiten … aber
zumindest hat uns die Zeitung nicht mit dem ekelhaften Unterton ‚mutige
Leute, lächelnde Krüppel‘ dargestellt.“
[1][Harriman wollte als die Leistungssportlerin gesehen werden, die sie
war.] Die überragende Laufbahn der 1928 geborenen Britin erstreckte sich
von den ersten Paralympics der Geschichte 1960 bis zu den Spielen von 1996,
da war sie fast 70 Jahre alt. Sie holte elf Goldmedaillen, die meisten
davon in ihrer Paradedisziplin, dem Bogenschießen. Sie war Sinnbild von
Befreiung – und Unterdrückung.
Die ewige Margaret Harriman ist schon dabei, als der Parasport entsteht:
bei den Stoke Mandeville Games in England, wo der Arzt Ludwig Guttman
wohlmeinend eine Bewegungskultur für Menschen mit Behinderung begründet. An
deren zweiter Auflage 1949 nimmt die junge Margaret unter ihrem
Geburtsnamen Webb teil, im Basketball-ähnlichen Netball. Sie ist die
einzige Frau, es kümmert sie nicht. Sport von Menschen mit Behinderung ist
damals vor allem als Gesundheitssport gedacht. Innerhalb weniger Jahrzehnte
wird er sich rasant wandeln, zum optimierenden Hochleistungssport.
Eine, die das sehr früh propagiert: Margaret Webb, dann Harriman. Schon
nach den ersten Paralympics fordert sie, stärker nach Leistung zu
segregieren und Mindeststandards für die Teilnahme einzuführen. Sie ist
Spitzensportlerin, tritt im Wettbewerb auch erfolgreich gegen Menschen ohne
Einschränkungen an – und will einen Sport, der sie als Sportlerin sieht,
nicht als Sozialprojekt. Ihre Fraktion wird sich durchsetzen und den
Wettbewerb zutiefst wandeln.
## Boykott gilt nicht für Paralympics
Harriman tritt zu diesen historischen ersten Spielen aber nicht für
Großbritannien an, sondern für Rhodesien. Wie es sie dorthin verschlagen
hat, davon wissen die spärlichen Quellen nichts. Rhodesien ist damals
britische Kolonie, ein durch und durch rassistischer, segregierter Staat.
Als Weiße vertritt Harriman die Kolonie, die sich auch über den Sport
Prestige holt.
Und zu einem hochinteressanten Fall im Parasport wird, wie Charles Little
in einer wissenschaftlichen Arbeit analysiert. Denn als Rhodesien sich 1965
unter dem weißen Rassisten Ian Smith für unabhängig erklärt, wird es sowohl
von den beleidigten Briten als auch von etlichen empörten afrikanischen
Nationen boykottiert. [2][Von den Olympischen Spielen ist Rhodesien von da
an ausgeschlossen], nicht aber von den Paralympics. Die britischen
PolitikerInnen fürchten sich vor einem Shitstorm, wenn sie Menschen mit
Behinderung das Sporttreiben verwehren. „Es wäre falsch, Krüppel in die
politische Arena zu zerren“, wird einer zitiert. Little kritisiert, der
Fall zeige, wie herabwürdigend, paternalistisch, mitleidig die Paralympics
betrachtet wurden. Als sakrosankt und irrelevant zugleich.
In dem Gezerre um Rhodesien trifft Margaret Harriman eine persönliche
Entscheidung: sie migriert nach Südafrika. Ein Zusammenhang mit der
Unabhängigkeit ist zeitlich plausibel. Für den Apartheidstaat reist
Harriman wieder zu den Paralympics. Ab 1976 wird auch Südafrika wegen
seiner rassistischen Politik die Teilhabe verwehrt. Und, das kann man als
eine Emanzipation lesen, auch der Para-Athletin Harriman. Vom rassistischen
Weltbild bleibt sie dennoch anscheinend überzeugt. Obwohl es zwanzig Jahre
ihrer Karriere zerstört, startet Harriman nie für eine andere Nation. Und
tritt erst 1996 mit 70 Jahren ein letztes Mal auf die internationale Bühne,
als der Bann aufgehoben wird. Noch einmal holt sie Bronze. Ein letztes
Comeback für die Frau, die manche Grenzen einriss und manche verteidigte.
26 Aug 2021
## LINKS
[1] /Kolumne-Rollt-bei-mir/!5332882
[2] /Olympia-Historie/!5759239
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Kolumne Erste Frauen
Kolumne Erste Frauen
Kolumne Erste Frauen
Kolumne Erste Frauen
Lesestück Recherche und Reportage
Kolumne Erste Frauen
Schwerpunkt Paralympics 2024
Kolumne Erste Frauen
Kolumne Erste Frauen
Kolumne Erste Frauen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Diskriminierung im Para-Sport: Die ist nicht genug behindert
Die zehnfache Weltmeisterin Tully Kearney beklagt sich über den Verband. Es
geht um demütigende Überprüfungen und eine falsche Einstufung.
Frauenfußball in Nigeria: Importierter Sexismus
In Nigeria wurde schon Frauenfußball gespielt, als es in Europa vielerorts
noch tabu war. Soziale Rollen wurden nicht auf Geschlechtsbasis festgelegt.
Japanische Pionierin in Leichtathletik: Beargwöhnte Frau
Die Leichtathletin Hitomi Kinue holte als erste Japanerin eine olympische
Medaille. In ihrer Heimat stieß sie dennoch teils auf Ablehnung.
Indigene Pionierin im US-Basketball: Vorbild für Widerständigkeit
Die indigene US-Sportlerin Ryneldi Becenti ist trotz aller Widrigkeiten in
die höchste US-Basketballliga gelangt und wurde zur Ikone ihrer Community.
Wählen mit geistiger Behinderung: Herr Winkel hat die Wahl
Viele Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung durften bisher nicht
wählen. Klaus Winkel hat zehn Jahre dafür gekämpft – nun ist es so weit.
Die erste Schachweltmeisterin: Meisterin im stillen Spiel
Die siebenmalige russische Schachweltmeisterin Vera Menchik siegte auch
gegen den Spott der Männer. Talent hatte sie noch für vieles andere.
Afghanen bei den Paralympics in Tokio: Für den Sport evakuiert
Afghanistan fehlt bei den Paralympics – als Team. Aber ein Sportler und
eine Sportlerin sind doch da. Den Organisatoren passen sie ins Konzept.
Frauenboxen im 18. Jahrhundert: Die verschwundene Boxpionierin
Elizabeth Wilkinson bestieg 1722 zum ersten Mal einen Ring. Zu ihrer Zeit
war sie eine bekannte Kämpferin. Dann wurde Boxen zur Männersache erklärt.
Eishockey-Pionierin aus Kanada: Wohlgefühl im Unbequemen
Die Kanadierin Hayley Wickenheiser unterzeichnete einst als erste Frau
einen Vertrag als Feldspielerin bei einem Männerprofiteam in Finnland.
Betrug beim Boston Marathon 1980: Die Siegerin, die keine war
1980 lässt sich zur Verwunderung aller eine gewisse Rosie Ruiz als
Marathonsiegerin feiern. Sie war erst kurz vor dem Ziel eingestiegen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.