# taz.de -- Japanische Pionierin in Leichtathletik: Beargwöhnte Frau | |
> Die Leichtathletin Hitomi Kinue holte als erste Japanerin eine olympische | |
> Medaille. In ihrer Heimat stieß sie dennoch teils auf Ablehnung. | |
Bild: Leichtathletik-Wettbewerb für Frauen im Jahr 1926 in England | |
In einer Liste der langwierigsten Anreisen, die Sportler:innen großer | |
Turniere auf sich nehmen mussten, wäre Hitomi Kinue gewiss weit vorn. Im | |
August 1926 wollte die japanische Leichtathletin an ihrem ersten | |
internationalen Wettkampf teilnehmen, den Frauen-Weltspielen des Verbandes | |
FSFI in Göteborg. Eine etablierte Passagierluftfahrt gab es noch nicht. So | |
entschied sich die japanische Athletin eben mit der Eisenbahn zu fahren. | |
Das dauerte. | |
Hitomi Kinue reiste mit der Transsibirischen Eisenbahn bis Moskau, wo ein | |
Reporter ihrer Zeitung (sie war auch Journalistin) sie abholte und nach | |
Göteborg eskortierte. Hitomi Kinue holte Gold im Weitsprung mit Weltrekord, | |
zudem Gold im Standweitsprung, Silber im Diskuswurf und Bronze im | |
100-Meter-Sprint. Die erste japanische Medaillengewinnerin wurde für ihren | |
disziplinübergreifenden Erfolg von FSFI-Präsidentin Alice Milliat mit einem | |
Sonderpreis ausgezeichnet. | |
Alice Milliat, die Präsidentin, genießt durchaus bis heute gewisse | |
Bekanntheit. Weil die Herren vom Olympischen Komitee sich weigerten, Frauen | |
die Teilnahme am olympischen Leichtathletik-Wettbewerb zu erlauben, | |
gründete die französische Sportlerin Milliat 1921 den widerständigen | |
Frauenverband FSFI, der eben seine eigenen Spiele veranstaltete. Diese | |
sogenannten [1][Frauen-Weltspiele] waren enorm populär und trugen viel dazu | |
bei, dass das IOC unter immer höherem Druck 1928 in Amsterdam auch Frauen | |
zur Leichtathletik zuließ. Darunter Kinue. Aber im Gegensatz zu Milliat ist | |
der Name Hitomi Kinue heute fast vergessen. | |
Hitomi Kinue wurde 1907 als Tochter wohlhabender Bauern geboren, am | |
Neujahrstag, was man als Omen für Aufbruch lesen kann. In einer Zeit, in | |
der allmählich japanische Frauen stärker am öffentlichen Leben teilnahmen, | |
durfte Kinue eine der besten Schulen der Region besuchen. Schon dort | |
betrieb sie Sport und fiel schnell auf. Mit 16 Jahren, bei ihrem ersten | |
Wettbewerb, stellte sie offenbar gleich einen inoffiziellen Landesrekord im | |
Weitsprung auf. Viele Rekorde später wurde sie zu den erwähnten | |
Frauen-Weltspielen nach Göteborg eingeladen. | |
## Spontaner Medaillengewinn auf neuer Strecke | |
Die Protestspiele waren eine Errungenschaft eben nicht nur europäischer | |
Frauen. Und für Kinue wurde Göteborg ein Höhepunkt an Medaillen. Doch der | |
Sport hat es an sich, dass die von Männern organisierten Turniere in der | |
Geschichte am meisten zählen. Und so wird als ihre größte Pionierleistung | |
stets Olympia in Amsterdam 1928 genannt, wo Hitomi Kinue als erste | |
Japanerin überhaupt eine olympische Medaille holte, Silber im | |
800-Meter-Lauf. Sie tat das auf ihre eigene Art: Kinue war vorher nie über | |
800 Meter gelaufen. Sie meldete sich spontan an. | |
Zufällig war sie da wieder bei einem Rennen dabei, das Geschichte schrieb. | |
Nach dem Lauf waren die männlichen Journalisten entsetzt über die | |
unschicklich erschöpften Frauen. Es war das vorläufige Ende des | |
800-Meter-Laufs für Frauen bei Olympia – erst 1960 wurde er wieder | |
eingeführt. Auch Kinue selbst wurde keineswegs nur als nationale Heldin, | |
sondern mit teils heftiger Ablehnung in Japan empfangen. | |
Sie galt [2][als Mannsweib] oder gar als heimlicher Mann, musste sich von | |
Journalisten Fragen über die Form ihrer Brüste gefallen lassen, wurde als | |
zu westlich diffamiert. Was das mit ihr machte, weiß man nicht. Hitomi | |
Kinue, so viel ist bekannt, brachte das nicht vom Sport ab. Weiter stellte | |
sie nationale Rekorde auf und holte 1930 erneut mehrere Medaillen bei den | |
Frauen-Weltspielen. Und sie arbeitete an einer kleinen Revolution: daran, | |
auch in Japan einen Frauenverband aufzubauen. Sie hielt Vorträge an | |
Mädchenschulen, kümmerte sich um Nachwuchs, lobbyierte für ihren Verband. | |
Es kam nicht mehr dazu. Gern heißt es, die Tatsache, dass die junge Frau so | |
viele Projekte verfolgte und so wenig Pausen machte, habe ihre Gesundheit | |
ruiniert. Vielleicht hatte sie aber auch einfach Pech. 1931 jedenfalls | |
starb Hitomi Kinue in einem Krankenhaus in Osaka an einer Lungenentzündung. | |
Sie wurde nur 24 Jahre alt. | |
23 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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