| # taz.de -- Frauenfußball und Feminismus: Die sollen doch nur spielen | |
| > Passen Fußball und Feminismus zusammen? Viele Kickerinnen haben mit der | |
| > Frauenbewegung nichts am Hut. Aber sie leben feministischer, als sie | |
| > selbst glauben. | |
| Bild: Nationalspielerin Celia Okoyino da Mbabi beim Fotoshootings für den Kosm… | |
| BERLIN taz | Lira Bajramaj ist schon sehr sexy, Linda Bresonik sieht ganz | |
| okay aus. Aber Lena Goessling muss unbedingt was mit ihrer Frisur machen. | |
| Sagt Udo Walz. Das ZDF hat den Berliner Starcoiffeur (frisiert unter | |
| anderen Désirée Nick, Sarah Connor, Heidi Klum) vor Beginn der | |
| Frauenfußball-WM in Deutschland um ein paar Tipps für „unsere Mädels“ | |
| gebeten. | |
| Wann immer in diesen Wochen über Fußball, Frauen und diese WM geredet wird, | |
| geht es vor allem um die sexuelle Inszenierung mancher Spielerinnen, um die | |
| Frage, welche der Nationalkickerinnen lesbisch ist und wie viel | |
| Männlichkeit im Frauenfußball steckt. Geht es am Rande doch mal um den | |
| Sport, fällt rasch der Satz: „Das ist eine andere Sportart.“ | |
| Was ist hier eigentlich los? Das Land debattiert über Frauenquoten für | |
| Führungspositionen und Teilzeit für ManagerInnen, es übt sich in egalitärer | |
| Aufteilung der Familienpflichten und probiert es mit Vätermonaten, | |
| Gewerkschaften fordern gleiches Geld für gleiche Arbeit und | |
| familienfreundliche Arbeitszeiten. | |
| Das wäre nicht möglich ohne Frauenbewegung und Feminismus. Wenn Frauen aber | |
| Fußball spielen, tut sich ein tiefer Graben auf, scheinen die | |
| feministischen Errungenschaften zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung | |
| nicht mehr zu gelten. Hat Deutschland ein Problem, weil Frauen in die | |
| allerletzte Männerbastion vordringen? Oder hat der Frauenfußball ein | |
| Problem, weil der Feminismus diesen Sport verschlafen hat? | |
| ## Erst seit 1970 erlaubt | |
| „Frauenfußball kann man nur mit dem Blick auf seine Historie bewerten“, | |
| sagt Susanne Diehr, Referentin im Gunda-Werner-Institut für Feminismus und | |
| Geschlechterdemokratie (GWI) der Heinrich-Böll-Stiftung. Das GWI hat mit | |
| „Gender Kicks 2011“ die bundesweit größte Kampagne und Veranstaltungsreihe | |
| zur WM initiiert. „Dieser Sport ist gerade mal ein paar Jahrzehnte alt“, | |
| sagt Susanne Diehr: „Männerfußball ein Jahrhundert.“ | |
| Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ließ in Westdeutschland | |
| „Damenfußballspielen“ erst 1970 zu, vier Jahre später wurde die erste | |
| Deutsche Meisterschaft gespielt, 1982 die erste Nationalelf | |
| zusammengestellt. In der DDR gründete sich 1968 die erste | |
| Frauenfußballmannschaft – per Annonce. | |
| Die Frauenbewegung in den siebziger und achtziger Jahren sah im Fußball in | |
| der Tat nicht ihr Hauptbetätigungsfeld. Damals ging es vor allem um andere, | |
| für Frauen existenzielle Probleme: Abtreibung, Selbstbestimmung über den | |
| Körper, eigenständige Existenzsicherung, sexuellen Kindesmissbrauch. Zur | |
| Erinnerung: Bis 1977 mussten in Westdeutschland Frauen ihre Ehemänner um | |
| Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten wollten. Auch die gesetzlich | |
| vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe und im Haushalt wurde erst in | |
| diesem Jahr aufgehoben. | |
| „Für Frauen war damals die bekochende, bewaschende und bemutternde Rolle | |
| vorgesehen“, sagt Hannelore Ratzeburg, Vizepräsidentin des DFB: „Frauen | |
| hatten immer zu Diensten zu sein.“ Als die westdeutschen Spielerinnen 1989 | |
| Europameisterinnen wurden, bedankte sich der DFB mit einem Geschenk: Jede | |
| Kickerin bekam ein Kaffee- und ein Tafelgeschirr. | |
| ## „Die Mannsweiber waren nicht gut“ | |
| So wenig aber wie sich die Frauenbewegung damals für den Frauenfußball | |
| interessierte, so beiläufig streifen die Spielerinnen heute den Feminismus. | |
| Lira Bajramaj antwortet im Magazin der Süddeutschen Zeitung auf die Frage | |
| „Schon mal ein Buch von Alice Schwarzer gelesen?“ mit einer eindeutigen | |
| Geste: Sie hält sich die Augen zu. Auch andere Kickerinnen grenzen sich | |
| bewusst vom Feminismus ab, sie sagen: Ich spiele aus eigenem Antrieb, für | |
| mich zählen ausschließlich meine eigene Leistung und mein individueller | |
| Lebensentwurf. „Wir spielen Fußball, dafür stehen wir in der | |
| Öffentlichkeit“, sagte Nationaltorhüterin Nadine Angerer in der aktuellen | |
| Ausgabe des L.Mag. | |
| Debatten über geschlechterbestimmende Strukturen im Sportbetrieb weisen die | |
| Frauen von sich, dem Ruf nach lesbischen Outings begegnen sie mit | |
| Schweigen. „Aber die Frauen lassen sich nicht davon abhalten, zu spielen | |
| und sich zu behaupten. Insofern ist Frauenfußball emanzipatorisch“, sagt | |
| Gabriele Wrede, Vizechefin des Deutschen Frauenrats. | |
| Das war auch vor vierzig Jahren nicht anders. „Die Fußballerinnen sind | |
| damals aus ihrer Rolle gefallen, das trauten sich nicht viele“, sagt | |
| Hannelore Ratzeburg. Monika Staab, FIFA-Beauftragte für Frauenfußball, | |
| erinnert sich daran, wie die Frauen damals aufgetreten sind: hohe Frisuren, | |
| üppige Brüste, kräftige Körper. Das nährte ein Klischee, das sich | |
| hartnäckig hält: „dicke, lesbische Weiber“, wie es Bundestrainerin Silvia | |
| Neid ausdrückt. | |
| Die heutige sportliche Performance setzte sich erst später durch. Auch | |
| Doreen Meier, Trainerin bei Bayer Leverkusen und einzige Trainerin in der | |
| Frauen-Bundesliga, sieht das kritisch: „Die Mannsweiber früher haben dem | |
| Frauenfußball nicht gutgetan.“ | |
| Frauenfußball ist auch heute nicht denkbar ohne das Spiel mit | |
| Geschlechterklischees. Bis heute wird Frauenfußball vielfach reduziert auf | |
| den weiblichen Körper. Hierbei spielen die Medien keine geringe Rolle. Der | |
| aktuelle Playboy inszeniert fünf nackte Juniorenspielerinnen wie in einem | |
| Softporno, das SZ-Magazin ließ sich die Beine von Lira Bajramaj zeigen, ein | |
| Elektronikfachmarkt wirbt mit dem Slogan: „Die schönste WM aller Zeiten“. | |
| In dem Spot kicken drei Nationalspielerinnen erst, um sich dann auf dem | |
| Platz zu schminken. | |
| ## Bewusst weibliche Inszenierung | |
| Viele Spielerinnen machen solche Kampagnen mit. An den Satz, den Stürmerin | |
| Birgit Prinz vor sieben Jahren sagte, denkt offensichtlich kaum eine mehr: | |
| „Wir möchten unseren Sport vermarkten, nicht unseren Hintern.“ Doing sports | |
| heißt auch immer doing gender, sagt Susanne Diehr: „Wenn gespielt wird, | |
| werden jedes Mal Geschlechterverhältnisse inszeniert.“ | |
| Die Zeit, in der Mädchen bei den Jungen mitspielten, wie Jungs sein wollten | |
| und „Kumpel“ eine Lobhudelei war, sind längst passé. Heute inszenieren si… | |
| die Spielerinnen ganz bewusst weiblich, sagt Christa Cachay, Professorin | |
| für Sportwissenschaft an der Universität Bielefeld. Kumpel sei heute ein | |
| schreckliches Verdikt für eine junge Frau, die gern einen Partner haben | |
| möchte, meint Christa Cachay. Die Historikerin und Ethnologin Tatjana | |
| Eggeling fügt hinzu: „Eine sportlich und kommerziell erfolgreiche | |
| Fußballerin muss glaubhaft als ‚echte‘ Frau auftreten.“ | |
| Die medialen Inszenierungen und Feminisierungen vor und zur Frauen-WM sind | |
| kein Zufall. Männerfußball stößt an seine Grenzen, Frauenfußball wächst. | |
| Immer mehr Mädchen spielen, die Vereine schießen wie Pilze aus dem Boden, | |
| das Fernsehen überträgt die wichtigsten Spiele, und immer mehr Frauen und | |
| Männer schauen sie sich an. Für Doris Fitchen, Managerin der | |
| Nationalmannschaft, hat das einen positiven Effekt: Es wird darüber | |
| gesprochen, und das bringt den Frauenfußball voran. | |
| Spielerinnen wie Birgit Prinz und Nadine Angerer wirken längst als Role | |
| Models, viele Mädchen wollen heute sein wie sie, es zählen Leistung und | |
| Erfolg. „Ich finde die Frauenmannschaft viel besser als die Männer“, sagt | |
| Paula Ricke. Die Zehnjährige kickt mit Mädchen und mit Jungs, in ihrem | |
| Zimmer hängt ein Poster vom Frauennationalteam. Sie sagt: „Die Frauen | |
| spielen gut. Das ist für mich wichtig.“ | |
| 24 Jun 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
| ## TAGS | |
| Fußball | |
| Frauenfußball | |
| Fußballweltmeisterschaft | |
| Frauen-WM 2019 | |
| Frauen-Bundesliga | |
| WM 2011 – Mixed Zone | |
| Fußball | |
| Fußball | |
| Fußball | |
| Fußball | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Andrei S. Markovits über Fußball: „In 50 Jahren Mixed-Gender“ | |
| Sozialwissenschaftler Andrei S. Markovits kritisiert die | |
| Geschlechtertrennung im Jugendfußball. Carli Lloyd habe die Schusskraft | |
| männlicher Profis. | |
| Ex-Profi über Homophobie im Fußball: „Das kann krank machen“ | |
| Die Ex-Bundesligaspielerin Friederike Wenner hatte ihr Coming-Out mit 20. | |
| Später hörte sie mit dem Fußball auf – das Umfeld war zu lesbenfeindlich. | |
| US-Botschafter über Frauenfußball: „We were the Meisters“ | |
| Philip D. Murphy ist US-Botschafter in Berlin. Im Interview erklärt er | |
| seine Liebe zum Frauenfußball, spricht über die WM in Deutschland und seine | |
| Investitionen in einen Klub in New Jersey. | |
| Kommentar Eröffnungsspiel: Formkrisen und Ganzkörperblockaden | |
| Tor für Kanada!!! 2:1 steht's im Olympiastadion in Berlin. Eigentlich sehen | |
| die Kanadierinnen ziemlich alt aus, aber einen Freistoß haben sie gut | |
| genutzt. Lira ist da, aber auch nicht da. | |
| WM-Eröffnungsspiel Deutschland-Kanada: Allora Schadensbegrenzung | |
| Carolina Morace trainiert die Kanadierinnen seit zwei Jahren und hat aus | |
| ihnen ein Topteam gemacht. Obwohl sie es mit ihrem Verband alles andere als | |
| leicht hat. | |
| Die Songs zur WM: Am Willen mangelt es nicht | |
| Eine WM kommt nicht ohne ihre eigenen Songs aus, so ist es auch dieses Mal. | |
| Vom offiziellen Fifa-Song zum heimgemachten Youtube-Clip – eine Kritik. | |
| Haare ziehen beim Fußball: Das Freundin-Feindin-Schema | |
| Haare ziehen, nachtreten, blutgrätschen – Frauen können hart | |
| Fußballspielen, das zeigt ein YouTube-Video. Darf man da jetzt lachen, oder | |
| nicht? |