# taz.de -- Afghanen bei den Paralympics in Tokio: Für den Sport evakuiert | |
> Afghanistan fehlt bei den Paralympics – als Team. Aber ein Sportler und | |
> eine Sportlerin sind doch da. Den Organisatoren passen sie ins Konzept. | |
Bild: Im letzten Moment aus Kabul via Paris nach Tokio: Zakia Khudadadi (l.) un… | |
TOKIO taz | „Wie Sie sich vorstellen können, war das Zusammentreffen extrem | |
emotional. Es flossen viele Tränen, von jedem im Raum“, sagt Craig Spence | |
und beginnt selbst zu schluchzen. „Es war wirklich, wirklich ein | |
bemerkenswertes Treffen. Wenn man Bilder gesehen hat, wie die Athleten am | |
Flughafen evakuiert wurden, und man sie dann persönlich trifft … wenn sie | |
dann ins Paralympische Dorf ziehen … das ist so groß. Ich glaube, das werde | |
ich nie vergessen. Es unterstreicht die Fähigkeit des Sports, die | |
Menschheit zusammenzubringen.“ | |
Der Vortrag von Spence, Sprecher des Internationalen Paralympischen | |
Komitees (IPC), war an Emotionalität kaum zu übertreffen. Samstagnacht war | |
die zweiköpfige Delegation aus Afghanistan, die wegen der täglich | |
weitereskalierenden Konfliktsituation im eigenen Land eigentlich schon ihre | |
Teilnahme abgesagt hatte, doch noch in Tokio eingetroffen. Zuvor waren | |
[1][die zwei Sportler über Kabul nach Paris evakuiert] worden, von wo sie | |
dann mit einer Maschine von Air France an den Austragungsort der | |
Paralympics geflogen waren. | |
Am Sonntag, wenige Stunden nach der Ankunft, berichtete Spence von diesen | |
Details minutiös auf einer Pressekonferenz, behauptete dann aber: „Hier | |
geht es nicht um Medienberichterstattung.“ Die Taekwondo-Kämpferin Zakia | |
Khudadadi und der Leichtathlet Hossain Rasouli seien in Tokio, um sich | |
ihren Traum von den Paralympics zu erfüllen. „Das IPC ist eine | |
Organisation, die sich auf Athleten konzentriert“, sagte Spence und betonte | |
dann gegenüber der anwesenden Presse: „Wir werden uns nicht von Ihrem Durst | |
nach Storys treiben lassen. Nach ihren Wettkämpfen werden die beiden | |
Athleten auch keine Interviews geben.“ | |
Dass [2][Zakia Khudadadi] und [3][Hossain Rasouli] mit der Hilfe mehrere | |
Regierungen und Organisationen aus einem kollabierenden Staat in letzter | |
Minute noch zu den Paralympics geflogen worden sind, ist ein Coup, auf den | |
die IPC stolz sein kann. Die Freude hierüber war am Sonntag kaum zu | |
übersehen. Umso absurder wirkte die Behauptung des IPC-Sprechers, es gehe | |
hier nicht um Medienberichterstattung. | |
## Das Komitee bemüht sich gern um Narrative | |
Zumal das IPC nicht nur im Fall der afghanischen Athletin und dem Athleten | |
deren persönliche Geschichten in den Mittelpunkt stellt. Einige Tage zuvor | |
stellte Teddy Katz, Presseattaché des IPC-Flüchtlingsteams, die sechs | |
Athleten aus Burundi, Iran, Syrien und Afghanistan folgendermaßen vor: | |
„Gewaltige Athleten, gewaltige Geschichten. Ein Team wie kein anderes.“ | |
Auch bei anderen Sportlern und Sportlerinnen bemüht das IPC gern Narrative, | |
die mit großen Rückschlägen beginnen, aber wegen des starken Willens der | |
Athleten in Unbesiegbarkeit münden – denn sie sind ja hier, bei den | |
Paralympics. Das Motto der Tokioter Spiele lautet: „We Have Wings“ – wir | |
haben Flügel. Gern betont das IPC auch, man inspiriere mit diesen | |
Geschichten die ganze Welt. Was zutreffen mag, zeigt zugleich, wie sehr die | |
Organisatoren versuchen, den Sport mit packend erzählten Geschichten zu | |
kuratieren – eine Inszenierung, die ohne Berichterstattung nicht | |
funktioniert. | |
Das Konzept der Paralympics zeigt Erfolge. Bei den Spielen von London 2012 | |
begann sich die größte Behindertensportveranstaltung der Welt unabhängig | |
von den Olympischen Spielen zu vermarkten. Damals erarbeitete der britische | |
TV-Kanal Channel 4 eine höchst populäre Kampagne mit dem Titel | |
„Superhumans“. Seit London sind die Paralympics deutlich gewachsen. Heute | |
werden die Spiele in rund 150 Länder übertragen, in Japan strahlt der | |
öffentliche Rundfunksender NHK mit rund 600 Stunden mehr aus als je ein | |
Kanal in einem Gastgeberland zuvor. „Wir haben kaum einen Grund, nicht | |
optimistisch zu sein“, sagte Craig Spence vor dem Start der Paralympics. | |
Dabei bleibt bei dem Versuch, ein besonders gelungenes Drehbuch zu | |
schreiben, etwas auf der Strecke: die Stimmen aller Athleten und | |
Athletinnen, ohne deren Diversität die Sportveranstaltung so nicht denkbar | |
wäre. Doch sobald es kontrovers zu werden droht, drängelt sich das IPC vor. | |
Als vor einigen Tagen Athleten des Flüchtlingsteams auf die notorisch | |
flüchtlingsfeindliche Asylpolitik des Gastgeberlands Japan angesprochen | |
wurden, blockte Presseattaché Teddy Katz die Frage ab, ehe die Sportler | |
etwas dazu sagen konnten. | |
Die nun anwesenden Afghanin und der Afghane, die allerhand Politisches zu | |
erzählen haben dürften, sollen in Tokio keinen Satz mit der Presse wechseln | |
– im Widerspruch zur sonstigen Pflicht der Athleten, nach einem Wettkampf | |
immer durch die Mixed Zone zu gehen, wo Journalisten Fragen stellen können. | |
Offiziell gibt es diese Ausnahme auf Wunsch der Athleten selbst, wie Craig | |
Spence erklärte. Er sagte aber auch: „Ich glaube nicht, dass Sport und | |
Politik eine besonders gute Mischung ergeben. Wir sind eine | |
Sportorganisation und wir bemühen uns, dass die Paralympics das Beste der | |
Menschheit zeigen.“ | |
31 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.japantimes.co.jp/sports/2021/08/25/paralympics/summer-paralympi… | |
[2] https://www.dw.com/de/verzweifelter-hilferuf-der-afghanischen-para-sportler… | |
[3] https://www.paralympic.org/hossain-rasouli | |
## AUTOREN | |
Felix Lill | |
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