# taz.de -- CDU-Politiker über Klimaziele: „Fleisch müsste teurer sein“ | |
> Martin Michalik (CDU) ist Vorsitzender von Bremens Klima-Enquete. Mit der | |
> taz spricht er über Kritik am Gremium, Verbotspolitik und den | |
> Fleischpreis. | |
Bild: Martin Michalik (CDU) bei der ersten Sitzung von Bremens Klima-Enquete im… | |
taz: Herr Michalik, woran liegt es, dass Bremen seine Klimaziele so krass | |
verfehlt? | |
Martin Michalik: Zum Beispiel am Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. In | |
den letzten zwölf Jahren wurde kein Meter Schiene gebaut! Wichtige | |
Stadtteile wurden nicht erschlossen und die Attraktivität hat abgenommen. | |
Das Problem ist nicht nur der Fahrpreis, sondern auch Taktung, | |
Verbindungen, nicht funktionierendes WLAN oder schmutzige Busse. Ein | |
schlafender Riese ist auch die energetische Sanierung von Gebäuden. Gerade | |
öffentliche Gebäude haben eine Vorbildfunktion, hier hat man die Sanierung | |
an vielen Stellen verschlafen. | |
Glauben Sie, dass Anreize [1][beim ÖPNV] reichen, oder muss Autofahren auch | |
unattraktiver werden? | |
Beides – denn das eine bedingt das andere. Mit mehr Park and Ride wäre | |
vieles gewonnen. Und mit dem Ausbau der Radwege. Es ist zwar schön und gut, | |
dass wir tolle Radwege rund um Viertel, Findorff und Neustadt haben – aber | |
wir werden niemanden aus Osterholz dazu bewegen, mit dem Rad zu kommen, | |
wenn die Infrastruktur dafür nicht gegeben ist. Wir müssen die Randgebiete | |
mitdenken. Ich wohne in der Vahr, und im Stadtteil selbst ist die | |
Infrastruktur gut. | |
Aber der Weg in die Stadt nervt? | |
Genau. Ich arbeite in Huckelriede. Da fahre ich mit dem Rad hin, kein | |
Problem. Aber die Strecke ist für ungeübte Radfahrer völlig unattraktiv! Es | |
gibt vielfach keine Radwege, oder nur desolate oder schmale. | |
Die Klimapolitik des Senats ist Ihnen zu langsam. Deswegen haben Sie auch | |
die Enquete initiiert. Wie kam es dazu? | |
Dass die Klimaziele scheitern, wusste ich, als ich das Thema 2019 in der | |
Fraktion übernahm. Wir haben uns gefragt, was uns als Opposition überhaupt | |
übrig bleibt. Eine Enquetekommission als überparteiliches Gremium, in dem | |
wir mit Experten auf Augenhöhe und frei von tiefer Ideologie reden, schien | |
uns sinnvoller, als Anträge zu schreiben, die aus Prinzip abgelehnt werden. | |
Einer der vielfach geäußerten [2][Kritikpunkte an der Kommission] ist, dass | |
sie eine weitere Verzögerung sei. Glauben Sie, dass sie den Klimaschutz im | |
Land beschleunigen kann? | |
Ja, tatsächlich. Ein Beispiel: In einer der ersten Sitzungen ging es um die | |
Abstandspflichten für Solaranlagen auf Dächern. Kurz nach der Sitzung gab | |
es plötzlich einen Erlass, dass dieser nicht mehr eingehalten werden muss – | |
ein Erfolg der Enquete. Ich sehe Synergien – auch wenn viele nicht offen | |
äußern, dass die Enquetekommission der Impulsgeber war. Letztens hat die | |
Linksfraktion ein Papier zur Wärmeversorgung rausgebracht. Die Ideen sind | |
komplett aus der Enquete abgeleitet. Ich habe auch das Gefühl, dass die | |
Verzahnung der Akteure deutlich besser geworden ist. | |
Vor wenigen Wochen haben Sie sich bei einem Online-Meeting, organisiert vom | |
Denkhaus, den Fragen von Umweltaktivist*innen gestellt. Sie haben Ihnen und | |
der gesamten Politik unter anderem Versagen vorgeworfen und dieses mit den | |
Konsequenzen, die das in der freien Wirtschaft hätte, verglichen. | |
Der Vergleich hinkt. Wir müssen viele Interessen vertreten. Vernünftige | |
Entscheidungen lassen sich eben nicht übers Knie brechen. Mit der Zeit | |
lernt man, einen vernünftigen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, ohne | |
alles kaputt zu machen. Man muss in der Politik wie beim Schach denken, | |
also zwei Schritte voraus. | |
Haben Sie überhaupt Verständnis für die geäußerte Ungeduld? | |
Ja. Aber ich hoffe, dass die Aktivist*innen erkennen, dass wir wirklich mit | |
Hochdruck daran arbeiten, die Pariser Klimaziele zu erreichen. | |
Viele Abgeordnete in der Enquete, auch Sie selbst, sprechen oft von der | |
notwendigen gesellschaftlichen Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen. Ist das | |
angesichts der Dringlichkeit nicht zweitrangig? | |
Jein. Wir müssen aus unserer Blase rauskommen: Wir machen Politik für das | |
Bundesland Bremen, das zu großen Teilen aus Stadtteilen wie Gröpelingen, | |
Osterholz, Oslebshausen, Bremen-Nord besteht. Wenn ich jetzt Menschen sage, | |
ihr dürft nicht mehr mit dem Auto in die Stadt, aber jemand ist vollkommen | |
drauf angewiesen, weil kein Bus fährt, wird es keine Akzeptanz geben. Man | |
kann von den Menschen auch nicht verlangen, dass sie plötzlich Veganer | |
werden. Ich finde, Verbote müssen wirklich das letzte Mittel sein. | |
Die Sozialverträglichkeit der Maßnahmen spielt für die Akzeptanz eine große | |
Rolle. Ist diese Sorge sachgerecht, wenn man davon ausgeht, dass ein | |
ökologisch verträgliches System sozial gerechter ist als das jetzige? | |
Ein ökologisch verträgliches System ist eben leider nicht automatisch | |
sozial gerecht, genau darum geht es ja gerade in allen Fragen, für die wir | |
Antworten suchen. Typisches Beispiel: Biofleisch ist deutlich teurer als | |
anderes. Aber wer es sich nicht anders leisten kann, greift dazu, um | |
Fleisch essen zu können. Das ist ein Dilemma. Wir wissen alle, dass Fleisch | |
teurer sein müsste. | |
Was wollen Sie damit sagen? | |
Ich will damit den Ist-Zustand beschreiben und sagen, dass ich auf der | |
einen Seite die Sorge vieler teile, dass das Leben teurer wird. | |
Andererseits halte ich Fleisch, das einfach viel zu billig verkauft wird, | |
für schwer vertretbar. Es ist aber immer noch die Sache der Einzelnen, die | |
es kaufen. Landwirte wären sicher auch dazu bereit, die Umstände für die | |
Tiere besser zu gestalten, wenn die Leute bereit wären, mehr Geld zu | |
zahlen. Da, wo die ökologischere Variante gleichzeitig ökonomischer ist, | |
beim Radfahren oder beim Nutzen von Mehrwegflaschen oder LEDs, funktioniert | |
das auch. | |
Da schon, aber das stößt – bleiben wir ruhig einmal beim Fleisch – auf | |
Grenzen. Denn da fehlt dann die Alternative, beziehungsweise die | |
Alternative ist kein Fleisch. Ist das nicht auch mal okay? | |
Für mich ja, aber nicht für alle anderen. Es gibt ja Sachen, die | |
nachweislich schlecht sind und dann auch sinnvollerweise verboten oder | |
durch gesündere Varianten ersetzt werden wie Atomkraftwerke oder FCKW. Das | |
ist bei Fleisch nicht so. Da ist das Problem eher das fehlende Gefühl für | |
den Wert eines Lebewesens. | |
Wie sind Sie eigentlich bei der CDU gelandet, wenn Ihnen Klimaschutz so | |
wichtig ist? | |
Mit dem Thema Klima setze ich mich erst seit neun Jahren auseinander, seit | |
ich Kinder habe. Zur CDU kam ich allerdings schon vor 20 Jahren. Ich bin in | |
die Junge Union eingetreten. Auch weil ich nicht verstand, wie es eine | |
Agenda 2010 geben konnte. Und gerade in Bremen war ich mit der SPD nicht | |
zufrieden. Ich komme aus Polen, mit fünf Jahren bin ich nach Deutschland | |
gekommen. Ich kreide der SPD sehr ihre Bildungspolitik an, unter der ich | |
selbst gelitten habe. Ich habe nichts von Chancengleichheit gespürt. | |
Schauen wir kurz in die Zukunft: Stellen Sie sich vor, Sie geben Ende | |
November den Abschlussbericht ab. Was hoffen Sie, wird zwei Monate später | |
damit passiert sein? | |
Ich hoffe, dass die ständigen Gäste der Enquete den Bericht mit in ihre | |
Institutionen nehmen. Dass der DGB, die Handelskammer, die Handwerkskammer | |
das mit in die Unternehmen nehmen; dass die Metropolregion dafür sorgt, | |
dass Weyhe das auch mitbekommt. Das große Ziel ist, dass wir auch nach | |
außen Wirkung entfalten und andere sagen: Guck mal, von Bremen können wir | |
alle lernen. | |
8 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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