| # taz.de -- Autorin über Mobilmachung im Patriarchat: „So wird Männlichkeit… | |
| > Incels, Rechte, Islamisten: Susanne Kaiser über den Männlichkeitsdiskurs, | |
| > sein Erstarken und seine Schnittstellen zur islamistischen Ideologie. | |
| Bild: Atl-Right-Aktivisten bei einem Fackelzug in Charlottesville | |
| taz: Frau Kaiser, in Ihrem Buch „Politische Männlichkeit. Wie Incels, | |
| Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen“ | |
| beschäftigen Sie sich mit dem autoritären Backlash der vergangenen Jahre | |
| und spannen einen weiten Bogen von Incels über religiöse Hardliner, | |
| Maskulinisten, Alt-Right-Aktivisten hin zu Rechtspopulisten – welche | |
| Verstrickungen gibt es zwischen den verschiedenen Gruppen? | |
| Susanne Kaiser: Auf den ersten Blick sind diese Akteure sehr disparat. Was | |
| sie jedoch eint, ist: Sie alle propagieren reaktionäre Männerbilder und | |
| streben eine Rückkehr zur „natürlichen“ patriarchalen Ordnung an. Diese | |
| Anti-Gender-Ideologie ist wahnsinnig anschlussfähig – hin zu Incels (Anm. | |
| d. Red.: Involuntary Celibate, unfreiwilliges Zölibat) auf der einen und | |
| fundamentalen Christen auf der anderen Seite. Andrea Pető spricht von | |
| „Kitt“. Vor der Trump-Wahl 2016 zum Beispiel haben Alt-Right-Akteure ganz | |
| massiv in Incel-Foren nach Wählerstimmen gefischt. | |
| Was ist Ihre Erklärung für das Erstarken des Antifeminismus? | |
| Männliche Herrschaft wird heute mehr denn je in Frage gestellt. Männer | |
| verlieren ihre dominante Rolle in Familie und Gesellschaft, die zunehmend | |
| gleichberechtigt wird. Das empfinden viele als Kontrollverlust und es | |
| entsteht, was der Männerforscher Michael Kimmel „aggrieved entitlement“ | |
| nennt: Die Ansprüche, die Männer gewohnt sind, einfach weil sie Männer sind | |
| – auf gesellschaftlichen Status, gut bezahlte Arbeit, Frauenkörper –, | |
| werden gekränkt. So wird Männlichkeit politisch, denn diese in ihrer | |
| Männlichkeit Verunsicherten sind leicht mobilisierbar für autoritäre | |
| Bewegungen und offen für antifeministische Männerbünde. | |
| Warum löst Gleichberechtigung so starke Widerstände aus? | |
| Diese Dynamiken finden ja nicht im luftleeren Raum statt, sondern im | |
| Patriarchat. Männer müssen Privilegien abgeben und dazu sind viele nicht | |
| bereit. Dass es mittlerweile diese massive reaktionäre Bewegung gibt, ist | |
| allerdings das deutlichste Zeichen für die Erosion des Patriarchats: Früher | |
| waren weiße Männer die Norm, da musste man gar nicht drüber sprechen. Wenn | |
| Maskulinisten nun das Bild vom soldatischen und natürlicherweise starken | |
| Mann heranziehen müssen, um ihre überlegene Stellung noch rechtfertigen zu | |
| können, dann stellen sie sich als Norm in Frage und positionieren sich als | |
| Minderheit. | |
| Ein letztes Aufbegehren? Das ist doch eigentlich eine gute Nachricht. | |
| Auf jeden Fall. Gleichzeitig ist diese Bewegung aber auch sehr stark. Wir | |
| wissen noch nicht, wohin das führt. Gerade gab es wieder islamistische | |
| Anschläge, von so etwas zehrt die AfD, wie auch der Skandal um den | |
| AfD-Pressesprecher Christian Lüth gezeigt hat (Anm. d. Red.: der gesagt | |
| hat, „je schlechter es Deutschland geht, desto besser geht es der AfD“). | |
| Auf die Beziehung von Islamisten und Rechtsextremen beziehungsweise auch | |
| Rechtspopulisten gehen Sie in Ihrem Buch ein. Einerseits sind sie | |
| Feindbild, andererseits werden sie für ihr vermeintlich funktionierendes | |
| Patriarchat bewundert. Wie erklären Sie sich dieses Paradox? | |
| Innerhalb rechter Theorien ist das überhaupt kein Widerspruch, sondern | |
| sogar sehr kohärent: Im Sinne des biologistischen Arguments herrschen | |
| Männer über Frauen, aber müssen auch Hierarchien ausfechten, mit Männern | |
| aus anderen Gruppen kämpfen. Dass dieser Kampf auf Augenhöhe unter | |
| „Alphamännern“ stattfindet, ist sogar das Ideal, das heißt, sie müssen g… | |
| keinen Hehl aus ihrer Bewunderung machen. Diese Theorie ist wiederum | |
| anschlussfähig [1][mit der Idee des Ethnopluralismus,] der von sich | |
| behauptet, kein Rassismus zu sein, sondern neue Kulturen zu schätzen, | |
| solange jeder auf seinem Territorium bleibt – und anschlussfähig auch zur | |
| rechtsextremen Idee der weißen Scharia, die den Rassenkrieg zwischen | |
| Rechtsextremen und Dschihadisten herbeiführen will, um die Welt neu | |
| aufzuteilen. | |
| Welche Funktion erfüllt die patriarchale Ideologie bei radikalen | |
| Gruppierungen wie Dschihadisten und Rechtsterroristen? | |
| Tunesien hat gemessen an seiner Bevölkerung die meisten Dschihadisten | |
| exportiert – vor allem aus dem wirtschaftlich schwachen Süden des Landes. | |
| Die wenigen Jobs in Tourismus und Bildung, die es dort gibt, übernehmen | |
| häufig Frauen. Die salafistische Ideologie kann da ein praktisches Mittel | |
| sein, um sich Privilegien zurückzuholen. Menschen mit rechtsextremen | |
| Einstellungen kommen nicht unbedingt aus prekären Verhältnissen, wie es das | |
| Klischee will. Sondern eher aus der Mittelschicht, haben aber starke | |
| Abstiegsängste. | |
| Auch daraus kann eine Spannung entstehen zwischen ihrem Anspruch auf | |
| Privilegien und der Realität, in der sie um eben jenen bangen müssen. Am | |
| [2][Beispiel des Attentäters von Halle, Stephan Balliet], sehen wir das | |
| ganz deutlich: Als jemand, der die Incel-Ideologie teilt, hat er eine | |
| Vorstellung vom Alphamann, der er aber – er ist recht klein und schmächtig | |
| – überhaupt nicht entspricht. Seine eigenen zutiefst patriarchalen | |
| Ansprüche – auf Frauenkörper und gesellschaftliche Dominanz – stehen im | |
| Widerspruch zum eigenen Auftreten. Dieses Spannungsverhältnis kompensiert | |
| er mit seinem Hass. | |
| Sie beschreiben, wie dieser „gekränkte Anspruch“ auf verschiedenen Ebenen | |
| funktioniert: Bei häuslicher Gewalt spielt er ebenso eine Rolle wie – in | |
| abgeschwächter Form – auch in der Wirtschaft, wenn ein Mann denkt, eine | |
| (Quoten-)Frau nähme ihm den Job weg. Wie kommen Männer aus dieser | |
| Anspruchshaltung heraus? Brauchen wir ein neues Männerbild? | |
| Ich fürchte, das alleine reicht noch nicht aus. Mir fällt dazu [3][der | |
| Autor JJ Bola ein, der sich mit dem Thema Männlichkeitsbilder | |
| auseinandersetzt.] Bola hat kongolesische Wurzeln und lebt in London. Im | |
| Kongo ist es normal, dass Männer sich an den Händen halten, in London wird | |
| er dafür als Schwuchtel beschimpft. Patriarchale Strukturen gibt es im | |
| Kongo aber trotzdem. Letztendlich ist nicht das Bild vom „starken Mann“ das | |
| Problem, sondern der damit verbundene Anspruch. Trotzdem ist es ein | |
| wichtiger erster Schritt, die Norm in Frage zu stellen, denn an die ist der | |
| Anspruch letztendlich gekoppelt. | |
| 9 Dec 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nina Rossmann | |
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