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# taz.de -- Amoklauf im englischen Plymouth: Polizei schließt Terror aus
> Ein 22-Jähriger erschießt fünf Menschen, bevor er sich selbst tötet. Er
> bewegte sich offenbar in der Incel-Szene.
Bild: Der Täter bewegte sich in der Incel-Szene. Die Polizei schließt ein pol…
London taz | In allen Pubs der Stadt brannten am Freitagabend fünf Kerzen.
Umarmungen, Kerzen und Blumen – so reagieren die erschütterten
Bewohner*innen der südwestenglischen Hafenstadt Plymouth auf den kurz
zuvor erfolgten Amoklauf. Es ist der schlimmste in Großbritannien seit über
einem Jahrzehnt.
Ein 22-Jähriger, der inzwischen von der Polizei als Jake Davison
identifiziert wurde, erschoss am Donnerstagabend fünf Menschen, darunter
seine 51-jährige Mutter. Unter den Getöteten waren auch ein dreijähriges
Mädchen und ihr 43 Jahre alter Adoptivvater. Zwei weitere Menschen im Alter
von 59 und 66 Jahren überlebten den Angriff, laut Polizei mit
„lebensverändernden Verletzungen.“
Zwölf Minuten dauerte die Bluttat im Wohnviertel Keyham unweit des Hafens
von Plymouth, an deren Ende sich der Täter mit seiner Waffe das Leben nahm.
Offenbar waren die Menschen Zufallsopfer. Die Polizei hat inzwischen ihre
Namen bekanntgegeben.
## Waffenschein trotz Probleme
Der Täter Davison besaß einen Waffenschein, der ihm im Dezember 2020
aufgrund des Verdachts auf Körperverletzung zweier Jugendlicher kurzfristig
entzogen wurde. Im Juli diesen Jahres erhielt er den Schein zurück. Laut
der britischen Zeitung The Guardian hatte Davison zuvor einen Kurs zur
Aggressionsbewältigung absolviert. Ihm war der Besitz einer Waffe erlaubt,
obwohl er allem Anschein nach schon länger an psychischen Problemen litt
und frauenfeindliche Medien im Internet aufsuchte.
Dabei gelten in Großbritannien seit dem Dunblane-Massaker von 1996, bei dem
16 Grundschüler*innen und eine Lehrerin getötet wurden, besonders
strenge polizeiliche Prüfungen für einen Waffenschein. Aus diesem Grund
ermittelt inzwischen die unabhängige britische Polizeiprüfstelle IOPC, ob
im Fall Davisons Fehler gemacht wurden. Die britische Zeitung Daily
Telegraph zitiert eine Quelle innerhalb der Polizei, die behauptet, dass
die polizeilichen Behörden zur Waffenzulassung völlig überfordert und
unterbesetzt seien.
Davisons Mutter soll sich in letzter Zeit verstärkt für eine Behandlung der
von ihr beobachteten psychischen Störungen ihres Sohnes eingesetzt haben.
Laut dem Guardian hätten Nachbarn angegeben, dass Davison wegen
Personalmangels keine Behandlung erhalten habe, was für ein Versagen der
zuständigen Stellen sprechen würde. Allerdings ist in anderen Medien zu
lesen, der Täter hätte als Teenager durchaus Hilfe erhalten.
## Hass gegen seine Mutter
Davison, der als Azubi in einer Verteidigungs- und Sicherheitsfirma in
Plymouth arbeitete, sprach in öffentlichen Videos auf seinem eigenen
YouTube-Kanal, der inzwischen entfernt wurde, über seine sexuellen
Frustrationen und [1][über Incels]. (Anm.d. Redaktion.: involuntary
celibate, auf deutsch:ungewolltes Zölibat, ist eine Selbstbezeichnung
von heterosexuellen Männern, die laut Eigenangabe unfreiwillig keinen
Geschlechtsverkehr oder romantische Beziehungen haben). Außerdem folgte er
einem Youtube-Kanal mit dem Namen „Incel-TV“, der frauenfeindlich ist,
sowie Youtube-Kanälen zum Thema Schusswaffen. Über Foren auf Reddit teilte
er hasserfüllte Posts, die sich insbesondere gegen seine Mutter richteten.
In seinem allerletzten Videoblog Wochen vor dem Attentat sprach er
ausgiebig über den Film „Terminator“ und bezeichnete sich selbst als
„Terminator“, nachdem er „niedergeschlagen und vom Leben auf die Knie
gezwungen worden sei.“ In sozialen Medien gab Davison unter anderem seine
Unterstützung für Donald Trump und die britische Libertarian Party an, eine
Splitterpartei am rechten Rand.
Beobachter*innen berichten, dass Davison sechs Tage vor seinem
Amoklauf von einer 16-jährigen Reddit-Benutzerin an Moderator*innen
gemeldet worden war, mit der Begründung, sie sei von ihm mit obszönen und
wiederholten Einladungen zum Sex belästigt worden. Am Tag vor dem Amoklauf
soll Davisons Konto auf Reddit aufgrund von Verstößen gegen die
Benutzer*innenregeln gelöscht worden sein. Ein Sprecher bestätigte
das gegenüber der taz. Twitter bestätigte gegenüber Medien, Tweets
bezüglich des Amoklaufs, die gegen seine Richtlinien verstießen, gelöscht
zu haben. Auch sein Facebook-Profil ist inzwischen gelöscht.
## Motiv ist umstritten
Die Polizei schloss in einer Pressekonferenz ein terroristisches Motiv oder
Rechtsextremismus aus. Dabei hat das britische Innenministerium 2019 einen
Bericht herausgebracht, in dem die „Incel-Kultur“ als Quelle politischer
Gewalt und von politischem Terrorismus eingestuft wurde. Inzwischen läuft
eine Kampagne mit der Forderung an die Polizei, ihre Entscheidung, den Fall
nicht als Terrorismus einzustufen, zu widerrufen.
Mathew Feldman, ein britischer Rechtsextremismus-Experte, twitterte, dass
die Tat seiner Meinung nach wie ein terroristischer Akt aussehe. Florence
Keen hingegen will nicht pauschal über die Gewaltbereitschaft von
Incel-Anhängern urteilen. Die Akademikerin forscht am Internationalen
Zentrum für Radikalisierungsstudien am Kings College London über die
Incel-Kultur und sagte in einem BBC-Interview, dass einzelne Foren bis zu
13.000 User haben.
Inzwischen haben die Schulen in Plymouth trotz Sommerferien geöffnet. Dort
bieten Kirchen und andere Organisationen Seelsorge für die betroffenen
Anwohner*innen.
14 Aug 2021
## LINKS
[1] /Autorin-ueber-Mobilmachung-im-Patriarchat/!5737243
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
## TAGS
Amoklauf
Incels
GNS
Niedersachsen
Kolumne Unisex
Incels
Interview
Schlagloch
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