# taz.de -- Ein Prozess, der Geschichte schreibt: Darauf haben sie gewartet | |
> Zwei mutmaßliche Folterschergen des Assad-Regimes müssen sich vor einem | |
> deutschen Gericht verantworten. Ein Verfahren, auf das die Welt blickt. | |
Bild: „The Muted Demonstration“, Installation des syrischen Künstlers Khal… | |
KOBLENZ taz | Für Hussein Ghree ist die Sache eindeutig: Endlich werde vor | |
Gericht die Wahrheit aufgedeckt über die systematische Folter in Syrien, | |
die auch heute weitergehe. Der Prozess sei sehr wichtig, nicht nur für ihn, | |
sondern für alle Opfer, betont auch Firas Fayyad. „Es ist ein Pilotprozess, | |
ein erster Schritt auf einem langen Weg für Gerechtigkeit“, sagt Wassim | |
Mukdad. | |
Die drei Männer haben die Folter im berüchtigten Gefängnis al Khatib des | |
syrischen Geheimdiensts in Damaskus überlebt und konnten aus Syrien | |
fliehen. Jetzt sind sie Nebenkläger in einem weltweit bislang einzigartigen | |
Prozess: Seit Ende April müssen sich zwei ehemalige Mitarbeiter des | |
syrischen Geheimdienstes vor dem Oberlandesgericht in Koblenz wegen | |
Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Es ist ein historisches | |
Verfahren, was da vor einem deutschen Gericht geführt wird. Ein Verfahren, | |
auf das Opfer und Menschenrechtsorganisationen weltweit seit Langem warten. | |
Und das Auswirkungen auf weitere Ermittlungen und weitere Gerichtsverfahren | |
gegen Mitarbeiter des Regimes von Syriens Machthaber Baschar al-Assad auch | |
in anderen Ländern haben wird. | |
Die beiden Koblenzer Angeklagten kamen als Flüchtlinge nach Deutschland. | |
Der Hauptangeklagte, Anwar R., war in Syrien ein ranghoher Mitarbeiter des | |
Allgemeinen Geheimdienstes und verantwortlich für das Gefängnis al-Khatib. | |
Dort sollen allein von April 2011 bis September 2012, um diesen Zeitraum | |
geht es im Prozess, systematisch Tausende Menschen gefoltert worden sein, | |
manche seien an den Folgen gestorben. Deshalb hat die Bundesanwaltschaft | |
Anwar R. wegen 58-fachen Mordes und Folter in mindestens 4.000 Fällen, | |
wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung angeklagt. | |
Schon bald könnte in Deutschland ein zweites Verfahren beginnen, vermutlich | |
vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt. Derzeit ermittelt die | |
Bundesanwaltschaft gegen einen syrischen Arzt, der in einem Gefängnis des | |
syrischen militärischen Geheimdienstes tätig gewesen sein und dort unter | |
anderem einen Menschen getötet und 18 Inhaftierte gefoltert haben soll. Der | |
Mann lebt seit 2015 in Deutschland – und hat hier als Arzt praktiziert. | |
Jetzt sitzt er in Untersuchungshaft. | |
Eigentlich ist der Internationale Strafgerichtshof für Verbrechen wie die | |
des Assad-Regimes zuständig. Weil Syrien sich dem Internationalen | |
Strafgerichtshof aber nicht unterstellt hat, hätte der UN-Sicherheitsrat | |
zustimmen müssen, damit das Gericht die Arbeit aufnehmen kann. Das | |
verhinderten Russland und China durch ein Veto. Deshalb gibt es keine | |
juristische Aufarbeitung durch den Internationalen Strafgerichtshof und das | |
wird sich wohl in naher Zukunft auch nicht ändern. | |
Was bleibt, ist die Aufarbeitung auf nationaler Ebene – und da hat | |
Deutschland mit dem Koblenzer Prozess eine Vorreiterrolle übernommen. | |
Bereits seit 2011 ermittelt das Bundeskriminalamt im Auftrag der | |
Bundesanwaltschaft in einem sogenannten Strukturverfahren zu Syrien, eine | |
Art Vorermittlung gegen unbekannt – und hat dabei wie bei einem Puzzlespiel | |
stückchenweise Wissen über Verbrechen, die in Syrien begangen wurden, | |
zusammengetragen. Inzwischen gibt es auch personenbezogene Untersuchungen, | |
seit 2014 sind rund 20 Ermittlungsverfahren gegen ehemalige syrische | |
Regimefunktionäre eingeleitet worden. Der bekannteste Fall: [1][Jamil | |
Hassan], der ehemalige Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdienstes, gegen | |
den der Bundesgerichtshof 2018 einen internationalen Haftbefehl erlassen | |
hat. Hassan hält sich weiterhin in Syrien auf. | |
Der Prozess in Koblenz ist möglich, weil seit 2002 im deutschen | |
Völkerstrafgesetzbuch das Weltrechtsprinzip verankert ist. Seitdem kann die | |
hiesige Justiz Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann verfolgen, | |
wenn weder Täter noch Opfer Deutsche sind. Der Prozess soll den Opfern | |
Gerechtigkeit bringen. Er ist aber auch als Zeichen an Diktatoren wie Assad | |
gedacht: dass der deutsche Rechtsstaat handelt und die begangenen | |
Verbrechen geahndet werden. Das Credo der zuständigen Ermittler: „Kein | |
sicherer Hafen für Kriegsverbrecher und Völkermörder, keine Straffreiheit“. | |
## 20 Opferzeugen | |
„Wir sind es den Opfern, die ja auch teilweise hier bei uns im Lande leben, | |
aber auch unserer historischen Verantwortung schuldig, dass die | |
Verantwortlichen für solche Taten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn | |
dies denn in unseren Möglichkeiten steht“, sagte [2][Oberstaatsanwalt | |
Jasper Klinge] von der Bundesanwaltschaft am Rande des Prozesses bei dessen | |
Auftakt im April. | |
Inzwischen haben etwa 20 Opferzeugen, dazu Sachverständige und auch Zeugen | |
aus dem System selbst in Saal 128 im Oberlandesgericht Koblenz ausgesagt. | |
Die sogenannten Caesar-Fotos, die ein ehemaliger syrischer Militärfotograf | |
von gestorbenen Gefangenen gemacht hatte und dann aus dem Land schmuggeln | |
ließ, sind als Beweismittel eingebracht worden. Auch das eine Premiere. Der | |
Prozess ist bislang bis zum 20. Mai 2021 terminiert. Die Prozessbeteiligten | |
gehen aber davon aus, dass er auch noch deutlich länger dauern könnte. Mehr | |
als ein erster Schritt kann er nicht sein. Aber das ist er. | |
31 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ecchr.eu/fall/deutsche-justiz-erlaesst-haftbefehl-gegen-syrisch… | |
[2] /Spektakulaerer-Syrien-Prozess-in-Koblenz/!5714262 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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