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# taz.de -- Kunsttipps für Berlin: Objekte erschüttern
> Setzen Zeichen mit Material: Ghada Amer bei Kewenig, Rosemary Mayer
> (1943-2014) bei ChertLüdde und Marte Eknaes in der Efremidis Galerie.
Bild: Ghada Amer, „The Women I Know“, Ausstellungsansicht
Vor zwanzig Jahren war Ghada Amer mit ihren Bildern lesbischer Sex-Szenen,
die sie mit vielen bunten Fäden auf die Leinwand nähte, wo sie sich im
Gewirr der unvernähten Enden auch mal aufzulösen schienen, noch Teil einer
Gruppenausstellung im Künstlerhaus Bethanien. Heute vertritt die
[1][Galerie Kewenig] die ägyptische Künstlerin. Das spricht für eine
beachtliche Karriere, die nun auch mit etwas anderen Motiven und neuen
Materialien überzeugt. Statt der Vorlagen aus Werbebroschüren und
Pornoheften, sind es jetzt enge Freundinnen und Weggefährtinnen, die Amers
Leinwände bevölkern, die erotischen Darstellungen brennt sie auf große
Keramikteller.
Das Anliegen freilich der Künstlerin, die Machtstrukturen im
Geschlechterverhältnis zu hinterfragen, es ist geblieben. Das weiblich
konnotierte Durchstechen der Leinwand mit Nadel und Faden als die –
gegenüber dem männlich assoziierten Farbauftrag – sehr viel grausamere und
aggressivere Methode der zeichnerischen, durch die Linie definierten
Bilderzeugung tritt heute eher in den Hintergrund. Doch der deutlich
malerischere Akzent, der ihre großen Leinwände nun auszeichnet, verdankt
sich weiterhin bunten Seidenfäden, jetzt in Form flächiger Stickerei.
Für Amers sehr spezifische Aneignung der Malerei als dem scheinbar
angestammten Hoheitsgebiet einer männlich beherrschten Kunstwelt, ist die
Figur charakteristisch, die aus dem flächig gesticktem Text des
Hintergrunds hervortritt. In der aktuellen Ausstellung [2][„The Women I
Know“] haben die Sätze, die sichtbar werden, einen direkten Bezug zur
dargestellten Frau und zitieren wichtige Leitsätze des Feminismus wie Audre
Lordes „Your silence will not protect you“.
Mit Textilien arbeitete schon Anfang der 1970er Jahre Rosemary Mayer
(1943-2014). Unter dem Titel „Rods Bent Into Bows – Fabric Sculptures and
Drawings 1972-1973“ zeigt Chert Lüdde nun die erste europäische
Einzelausstellung der Künstlerin. Was Textilien nach Aussagen der
Künstlerin besonders interessant macht für ihre skulpturale Verwendung, ist
ihre Beweglichkeit. Stoffskulpturen behalten, wie sie notiert, nur dann
ihre stabile Form, wenn sie zweidimensional reproduziert werden.
Im Raum weht der Stoff im Luftzug und fällt dann in eine neue Variante der
ursprünglichen Form. Die Formbarkeit und Beweglichkeit von Stoff vergleicht
Mayer mit Wasser. Gleichzeitig ist Stoff ein extrem belastbares, starkes
Material, mit dem sich andere Materialien verformen lassen, wie etwa
„Balancing“ exemplifiziert.
Die Arbeit besteht aus zwei an Seilen aufgehängten Acrylstangen über die
Mayer schwere, seidige Stoffe in verschieden Pinktönen fallen lässt, deren
Gewicht die Stangen leicht durchbiegen. Es entsteht der Eindruck, gleich
könnte Wind in die Stoffe fahren und sie wie Segel aufblähen, damit die
Wandarbeit Fahrt aufnimmt.
In den 70er Jahren waren solche schlichten, aus einfachen Materialien
bestehenden, skulpturalen Experimente wie sie Mayer betrieb, eine
Kampfansage an die Minimal Art ihrer männlichen Kollegen, deren
Lieblingsmaterialien Stahl und Beton hart und beständig – und ziemlich
farblos waren. Dem setzte die Mitbegründerin der 1972 ins Leben gerufenen
A.I.R. Gallery, der ersten von Künstlerinnen gemanagten Galerie für
Künstlerinnen, ganz bewusst ihre transparenten, leichten und bunten
Stoffkonstruktionen entgegen. Warum die Künstlerin, eine wichtige
Protagonistin der damaligen New Yorker Kunstszene, in Europa nie die ihr
gebührende Beachtung fand, bleibt die große Frage nach dem Besuch bei
[3][ChertLüdde].
Wir alle kennen diese lästigen Poller aus Eisen und Stein, die auf Straßen,
vor allem aber Gehwegen und Plätzen im Boden verankert sind, um das Parken
von Autos zu verunmöglichen oder sie an der Durchfahrt zu hindern, dazu
grenzen sie Grünflächen und andere Anlagen wie Brunnen oder Denkmäler ab.
Vorrangig scheinen sie jedoch als Hindernis für den gemeinen Fußgänger
gedacht, wenn er ab und ab schmerzhaft mit ihnen kollidiert.
Marte Eknæs, 1978 in Norwegen geboren, beraubt nun diese Markierungspfosten
ihres Kontextes und damit ihrer Funktion, und präsentiert sie im
Galerieraum von [4][Efremidis] als Skulptur und damit als ästhetisches
Ereignis. Und das sind sie tatsächlich. Wie der Stadt- und
Architekturhistoriker Vittorio Magnago Lampugnani in seinen Buch über die
„Kleinen Dinge im Stadtraum“ schreibt, wurden sie und werden sie
entsprechend dem jeweiligen stadträumlichen und architektonischen Umfeld
sorgsam gestaltet, freilich „ohne Gestaltung und Sorgfalt zu stark in den
Vordergrund zu rücken“.
Es wundert also nicht, dass die gusseisernen „Bollard (Berlin 1)“ und
„Bollard (Berlin 2)“ doch sehr nach 1900 ausschauen während der nordische
„Bollard (Oslo)“ eine coole hochglanzpolierte Stahlsäule ist. Interessante
Koinzidenz: Auch Marte Eknæs will wie Rosemary Mayer die konzeptionelle und
skulpturale Stabilität ihrer Objekte erschüttern, sie ins Fließen und
Driften bringen, nicht zuletzt indem sie sie disloziert. In ihrem 2008
entstandenen „Temporary Manifesto“, das sie bis heute fortschreibt, heißt
es „Flexible Ideen, wie flexibles Material, wird mit der Zeit brüchig“.
15 Dec 2020
## LINKS
[1] https://kewenig.com/
[2] https://kewenig.com/
[3] http://chertluedde.com/
[4] https://efremidisgallery.com/de/start/
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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