# taz.de -- Fatih Akin über seinen taz-Spot: „Eine Brille für die Realität… | |
> Der Filmregisseur spricht über die Lage der Kinos, seine Enttäuschung | |
> über Disney, medialen Rassismus – und was das mit seinem taz-Spot zu tun | |
> hat. | |
Bild: Szene von den Dreharbeiten des taz-Spots mit Fatih Akin | |
taz: Fatih, du hast deinen ersten Werbefilm überhaupt [1][für die taz] | |
gemacht. Aus welcher Überzeugung heraus? | |
Fatih Akin: Ich lese mich gerade durch [2][das Werk von Jaron Lanier] und | |
war erschrocken, wie wenig Leute ihre Informationen noch aus den | |
klassischen Medien, also geprüften Organen wie Zeitungen, beziehen. Immer | |
mehr Leute nutzen soziale Medien, in denen die Algorithmen getrimmt sind. | |
So entstehen Blasen. Wenn du googelst, die Erde ist flach und dir das ein | |
paar Mal reinziehst, gibt dein Computer dir mehr davon. So wird Wahrheit | |
etwas Individuelles. Das widerspricht meiner Überzeugung und ich wollte | |
aktiv etwas gegen diese Entwicklung tun. So kam mir die Idee zu dem | |
Werbespot. | |
Und wie kommt da die taz ins Spiel? | |
Jeder hat seinen Lieblingsverein. Aufgrund meiner Sozialisation liegt mir | |
die taz näher als andere Zeitungen. Damit will ich nicht sagen, dass sie | |
besser ist. Ich hätte diesen Spot aber nicht für eine andere Zeitung | |
gemacht, nur für die taz, weil ich sie selber lese. Auch wenn ich nicht mit | |
allen Artikeln, Kommentaren oder Interviewpartnern einverstanden bin, ist | |
sie unter dem Strich die Zeitung, deren Positionierung mir persönlich am | |
meisten entspricht. | |
Der taz-Spot ist eine Hommage an [3][John Carpenters „They live“]. In dem | |
Film geht der Protagonist John Nada auf der Suche nach Arbeit nach L.A. und | |
stößt dort auf eine Brille, mit der er eine Welt voller unterschwelliger | |
Botschaften erblickt. Dich hat diese Brille an die taz erinnert, warum? | |
Ich zeige meinem Sohn Klassiker des Kinos und dachte mir, er muss auch | |
Carpenter kennen. Er steht auf Sci-Fi und ich dachte, das könnte ihn | |
interessieren. Als die Szene kam, auf die der taz-Spot basiert, da fiel es | |
mir wie Schuppen von den Augen. Das war eine intuitive Nummer. | |
Der slovenische Philosoph Slavoj Žižek betrachtet „They live“ als | |
vergessenes Meisterwerk Hollywoods. Er sagt, durch die Brille, sehe man | |
„die Diktatur innerhalb der Demokratie“, sie sei Ideologie-Kritik. Demnach | |
ist die Verblendung nichts, das unserer Wahrnehmung hinzugefügt wird, sie | |
ist in uns. Bist du auch so pessimistisch? | |
Ich bin überzeugt, dass wir verblendet sind, auch, dass ich verblendet bin | |
und dass es so eine Brille braucht, um die Realität zu begreifen. Die | |
Wahrheit ist eine seltsame Sache geworden. Zeitungen entscheiden, was | |
relevant ist. Im Unterschied zu Social Media ist das aber nicht ein | |
Influencer, oder ein Blogger, sondern eine Redaktion, die diskutiert, es | |
findet also ein demokratischer Konsens über Inhalte statt. Können wir das | |
bringen, können wir das nicht bringen, wenn wir das bringen, gibt es Ärger, | |
wir bringen es aber trotzdem, wie [4][bei Hengameh Yaghoobifarah und den | |
Cops]. Das, finde ich, sind richtige Tools. | |
Die taz dreht die Kontraste hoch. | |
In einer Richtung, die ihrem Standing nahekommt. Es gibt ja auch | |
konservative, neoliberale oder rassistische Standings von anderen | |
Redaktionen. | |
Inwiefern hat sich die Macht der Bilder und die Mittel der Manipulation bis | |
heute weiterentwickelt? | |
Die Macht der Bilder war immer groß. Was sich verändert hat, ist, dass man | |
alle Bilder sofort mit der ganzen Welt teilen. [5][Im Fall von Georg Floyd] | |
ist das natürlich positiv – eine Straftat wird augenblicklich bezeugt und | |
[6][dient der ganzen Welt als Beweis]. Es kann aber genauso gut in einem | |
anderen Fall negativ sein. Außerdem lassen sich Bilder heute sehr viel | |
einfacher manipulieren. [7][Mit einer Morphing-App] kann man Gesichter auf | |
Bildern tauschen und das wird technisch immer besser, so dass man es nicht | |
mehr erkennen kann. Das überfordert uns auf jeden Fall. | |
Hast du den taz-Film deshalb nicht für die sozialen Medien, sondern für das | |
Kino gemacht? | |
Natürlich wird der Film auch in den sozialen Medien laufen, aber in einer | |
Fassung, die nicht ich geschnitten habe. Im Augenblick gibt es keine Kinos, | |
die aufhaben. Irgendwo soll man ihn ja sehen. Ich komme vom Kino. Da wollte | |
ich immer hin. Ich denke in einer Kino-Rhetorik. Es gibt auch andere: eine | |
Instagram-Story-Rhetorik, eine Serien-Rhetorik, YouTube und so weiter. Was | |
mich interessiert ist die Leinwand, wo wir als Macher die Illusion | |
schaffen, dass sie drei, vier, fünf, sechs Dimensionen hat. Am Ende arbeite | |
ich aber für eine zweidimensionale Leinwand in einem Raum, in dem möglichst | |
viele Leute gemeinsam etwas erleben. Das ist das Ding, wofür ich mich | |
entschieden habe. Das hat andere Regeln, Tempi und einen anderen Rhythmus. | |
Du weigerst dich auch, das für Social Media zu schneiden. Ist das ein | |
Widerstand? | |
Ich habe auch schon Kampagnen in den Sozialen Medien initiiert, wie | |
[8][#whatdidosmankavalado]. Ich fürchte aber, dass es nicht viel bringt, | |
wenn politischer Widerstand aus roten Herzchen besteht. Beim taz-Spot | |
weigere ich mich aus einem pragmatischen Grund: Wenn ich einen Spot mache | |
und der soll für die sozialen Medien adaptiert werden, finde ich es | |
richtiger, wenn das jemand anderes macht. Das ist vergleichbar mit | |
Theaterstücken oder Romanen die für Filme adaptiert werden. Sonst hätte ich | |
ihn von vornherein nur für die sozialen Medien machen müssen und dabei | |
hätte ich mich schwer getan. Nicht aus einem ideologischen Grund, sondern | |
weil mir die Erfahrung fehlt – aber auch die Neugierde, das lernen zu | |
wollen. Ich möchte andere Sachen lernen. | |
Wie kommt es, dass sich Leute den sozialen Medien so bereitwillig hingeben? | |
Ich glaube, dass die Leute im Silicon Valley, die das ins Leben gerufen | |
haben, schon sehr bewusst darauf geguckt haben, wie man das Produkt, also | |
den User so lange wie möglich an den Geräten hält. Sie haben erforscht, | |
dass wenn etwas geliked wird, man einen Dopaminschuss bekommt, das macht | |
dich süchtig und du willst mehr. Bis hin zum Haptischen stecken dahinter | |
ausgeklügelte Mechanismen. Der Mensch ist auch ein Suchttier – und was sind | |
die größten menschlichen Sehnsüchte: Essen – Foodporn wird wahnsinnig viel | |
gepostet, Sex, Geld und Fame, die Jagd nach Bestätigung. | |
Kann das Kino dagegen ankommen? | |
Nein, ich glaube nicht. Das Kino ist auf dem besten Weg, so was zu werden | |
wie die Oper. Ich weiß gar nicht, ob das gut oder schlecht ist. | |
Wahrscheinlich werden weniger Menschen sich das noch geben, das Geld zu | |
zahlen, das Aufraffen in der Kälte, um dort hinzugehen. Es werden in | |
Zukunft weniger Leute das Kino schätzen, aber es wird bestehen, das glaube | |
ich schon. Auch vor Corona war das Kino auf dem Weg in die Rezession. | |
Corona hat das nur beschleunigt. | |
In dieser angespannten Lage [9][hat Walt Disney gerade erklärt, sich | |
stärker aus dem Kino-Geschäft zurückzuziehen]. | |
Das ist ein heftiger Einschnitt. Ich finde das wirklich erschreckend, weil | |
Disney mit die erfolgreichsten Kinofilme gemacht hat. Denken wir an das, | |
was die gekauft haben, [10][Pixar], [11][Star Wars], [12][Marvel] oder auch | |
an das eigene Programm. Das soll es künftig vor allem für zuhause geben? | |
Wofür steht die Konzentration auf Streaming Dienste? | |
Ein Bekenntnis zum gnadenlosen Rechnen, ohne Rücksicht auf Verluste. Das | |
ist Kapitalismus in Höchstform: Wie maximieren wir unseren Gewinn? Indem | |
wir auf die Kinos verzichten, weil sie zu teuer sind. Damit sagen sie: Wir | |
produzieren nur noch für die Konsumenten zuhause. Das Kino als romantischer | |
Ort oder Ideal? Fuck it! Der erste Film, den ich im Kinos gesehen habe, war | |
ein Disney-Film! Und jetzt ziehen die sich zurück! Verstehst du, wenn ich | |
sage, ich fühle mich verraten? Andere Leute werden diese Nische füllen, | |
denn natürlich ist es für Kinder noch etwas Besonderes, ins Kino zu gehen – | |
solange sie es kennen. Denn dort ist es dunkel, es gibt andere Kinder und | |
Popcorn, es ist aufregend, es ist etwas anderes und eine Form von | |
Abenteuer, das würde ich nicht unterschätzen. | |
Auch die gedruckte Zeitungen sind in Bedrängnis geraten, weil es weniger | |
Leser*innen gibt und das Vertriebssystem in den nächsten Jahren an seine | |
Grenzen stößt. Siehst du da Parallelen zum Kino? | |
Der größte Unterschied ist, dass man eine Zeitung – sei´s auf Papier | |
[13][oder in der App] – alleine liest, im Kino bist du gemeinsam. Ich lese | |
immer noch Bücher und nicht auf dem Kindle. Das habe ich nicht gelernt und | |
muss es auch nicht, solange es noch Bücher gibt. | |
Hast du es probiert? | |
Ja, und es fühlte sich für mich sehr ungewohnt an und ich war zu faul, mich | |
auf diese neue Gewohnheit umzustellen. Ich mag Papier. Mit Zeitungen ist | |
das aber etwas anders. Ich fand Zeitungen immer sehr umständlich zu lesen. | |
Weil es so große Blätter sind und obwohl ich lange Arme habe, habe ich es | |
nie auf die Reihe gekriegt, sie ordentlich zu falten und umzublättern. Am | |
besten war es noch in Cafés, wenn Zeitungen diesen Holzstab hatten, aber | |
auch das fand ich unpraktisch, weil es so riesig klobig ist. Mit dem | |
Fortschritt einer digitalen Zeitung kann ich schon etwas anfangen. | |
Im Spot geht es um Rassismus. Ist Deutschland immer noch unterschwellig | |
rassistisch? | |
Ja, vor allem in der Zeitung. Wenn Blätter des Bildungsbürgertums wie die | |
FAZ titeln: „Corona mit Migrationshintergrund“ und darin Deutsche mit einem | |
bestimmten ethnischen Hintergrund, die zu ihren Familien gefahren sind, als | |
Verschlepper des Virus angreifen, aber nicht die Weißen, die am Ballermann | |
waren, sehe ich darin unterschwelligen Rassismus. Oder nehmen wir den | |
Begriff der Deutsch-Türken im Zusammenhang [14][mit den beiden | |
Biontech-Forscher], die den Impfstoff entwickelt haben: Wie sehr wurde in | |
den Medien [15][auf ihrem Migrationshintergrund rumgeritten]. Das fand ich | |
intuitiv sofort falsch, egal, wie gut gemeint das ist. Das sind einfach | |
Deutsche, aus, fertig, basta. | |
Was sagt das für dich aus? | |
Man separiert. Du und ich sind nicht dasselbe. Wir werden getrennt, durch | |
ein Narrativ. Egal, ob das rassistisch gemeint ist oder nicht. Ich | |
wünschte, wir würden da hin kommen, dass das gar nicht mehr zählt. | |
8 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://youtu.be/DX39s9ikEX8 | |
[2] /Jaron-Lanier-ueber-soziale-Spaltung/!5553893 | |
[3] /!1813505/ | |
[4] /Schwerpunkt-Debatte-ueber-Kolumne-in-der-taz/!t5696698 | |
[5] /Rassistische-Polizeigewalt-in-den-USA/!5692040 | |
[6] /Rassistische-Polizeigewalt-in-den-USA/!5688583 | |
[7] /Neue-Paesse-und-Personalausweise/!5713772 | |
[8] https://www.instagram.com/explore/tags/whatdidosmankavalado/ | |
[9] /Disney-in-der-Coronakrise/!5717887 | |
[10] /Pixarproduktion-bei-Berlinale-Special/!5663090 | |
[11] /Star-Wars-Der-Aufstieg-Skywalkers/!5641897 | |
[12] /Comichelden-Film-Avengers-Endgame/!5590519 | |
[13] https://youtu.be/PLcLvCGZqgU | |
[14] /Portraet-ueber-die-Biontech-Chefs/!5723970 | |
[15] /Reaktionen-auf-Biontech-Chefs/!5723811 | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
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