# taz.de -- Direktorin über Hamburger Filmgeschichte: „St. Pauli ist ein wic… | |
> Das Altonaer Museum beschäftigt sich in der Ausstellung „Close-up“ mit | |
> Hamburger Kino- und Filmgeschichte. Anja Dauschek über den Charme der | |
> Straße. | |
Bild: Drehort-Besuch in Hamburg: Das Foto zeigt eine Szene aus Fatih Akins „K… | |
taz: Frau Dauschek, was ist die Philosophie dieser Ausstellung? | |
Anja Dauschek: In Film- und Kinogeschichte spiegelt sich auch immer die | |
Stadtgeschichte, und als Altonaer Museum kamen wir auf die Idee, diese | |
Ausstellung zu machen, weil in Altona ein kleines Zentrum des Hamburger | |
Filmschaffens ist. Die Filmförderung ist hier um die Ecke, es gibt viele | |
Filmproduktionsfirmen, Fatih Akin hat hier seine Firma und so weiter. In | |
Altona passiert viel Film. | |
Was sieht man als Erstes? | |
Der Einstieg zur Ausstellung ist eine Filmkulisse, die Kneipe aus dem | |
[1][Film „Der Goldene Handschuh“] von Fatih Akin. St. Pauli ist ja ein | |
wichtiges Thema für den Hamburger Film und wir hatten die Chance, sie zu | |
bekommen, weil sie noch komplett eingelagert war. | |
Und wie geht es dann weiter? | |
Das erste Kapitel der Ausstellung ist „Hamburg als Kulisse und Drehort“, | |
weil Hamburg ja auch deshalb als Filmstadt etwas Besonderes ist, weil hier | |
wenig im Studio gedreht wurde und wird, sondern stattdessen sehr viel auf | |
der Straße. Und dieser raue Charme zieht sich durch die Filme. Dabei sind | |
St. Pauli und die Reeperbahn ganz wichtig, aber im „Hauptmann von Köpenick“ | |
ist Hamburg Berlin, in den Edgar-Wallace-Filmen ist Hamburg London und in | |
den Jerry-Cotton-Filmen ist Hamburg New York. | |
Springen Sie also zwischen den Zeiten hin und her? | |
Nein, danach ist die Ausstellung dann chronologisch organisiert und jedes | |
Zeitalter wird jeweils durch ein zeittypisches Hamburger Kino dargestellt. | |
So haben wir relativ große Leinwände, auf denen Hamburger Filme aus der | |
jeweiligen Zeit gezeigt werden. Hinter der Leinwand ist dann immer ein | |
zweiter Raum, in dem wir die Interpretation zu dieser Zeit präsentieren. | |
Man kann dann immer noch den Film sehen, aber von hinten, also | |
seitenverkehrt. Wir fangen an mit dem „Knopf Lichtspielhaus“, das 1901 | |
vermutlich das erste ortsansässige Kino Deutschlands war. | |
Was für Filme zeigen sie denn in diesem ersten Kino? | |
Zum Beispiel „Harakiri“ und „Die Spinnen“ von Fritz Lang. Ein großes T… | |
waren damals solche exotischen Filme, die zum großen Teil auf dem Gelände | |
von Hagenbeck gedreht wurden … | |
… der Zoo im Stadtteil Stellingen. | |
Da gab es die exotische Kulisse und die Statist*innen wurden gleich | |
mitgeliefert, denn das waren – eher unfreiwillig– die Bewohner*innen | |
der Völkerschauen. | |
Das thematisieren Sie sicher? | |
Natürlich, wir sprechen zum Beispiel nie von „Tierpark Hagenbeck“, eben | |
weil da nicht nur Tiere ausgestellt wurden. Das Thema Kolonialismus zieht | |
sich dann in den Filmen ganz eklatant bis in die 1950er-Jahre. | |
In welches Kino geht es danach? | |
Für das zweite Kapitel über die 1920er- bis 1940er-Jahre haben wir den | |
Ufa-Palast im Deutschlandhaus ausgesucht. Damals gab es ja in der | |
Kinolandschaft eine Zweiteilung mit den Schauburgen, in denen linke, | |
proletarische Filme gezeigt wurden; und der Ufa, bei der die Kassenschlager | |
liefen – später auch die Propagandafilme der Nazis. | |
In Bremen gibt es immer noch ein Kino mit dem Namen „Schauburg“. | |
Das war eine Kette, die dem jüdischen Kaufmann Henschel aus Hamburg | |
gehörte. | |
Was für Filme zeigen sie dazu? | |
Für den proletarischen Film „Brüder“ von Werner Hochbaum. Und „Die Carm… | |
von St. Pauli“, in dem das Genre der St.-Pauli-Filme begründet wurde. Aber | |
auch den Kolonialfilm „Opfergang“. Wir wollten auch etwas von Veit Harlan | |
im Programm haben, weil der [2][Veit-Harlan-Prozess] ja dann 1949 in | |
Hamburg stattfand. | |
Der Regisseur wurde beschuldigt, mit „Jud Süss“ als Wegbereiter des | |
Holocaust gewirkt zu haben – und freigesprochen. Gibt es einen | |
Gravitationspunkt in Ihrer Ausstellung, so etwas wie „den“ Hamburgfilm? | |
Ja, das große Thema, das dann die 1940er- und 1950er-Jahre verbindet, ist | |
„Große Freiheit Nr. 7“, der 1944 zum Teil wegen der Bombardierungen in Prag | |
gedreht wurde – und dann hat Goebbels ihn verboten. | |
War das nicht sein Glück? Er durfte nach Kriegsende als erster deutscher | |
Film im Kino laufen. | |
Helmut Käutner hat es ja geschafft, kein einziges Hakenkreuz in diesem Film | |
zu zeigen, und die von [3][Hans Albers] gespielte Hauptfigur ist ein | |
gebrochener Mann. Für die Nazis war das Wehrkraftzersetzung. | |
Und für die Deutschen nach 1945 schön traurig. Welche Hamburger Kinos | |
repräsentieren dann die nächsten Jahrzehnte? | |
Für die 1950er-Jahre haben wir das [4][„Savoy“ am Steindamm] gefunden, das | |
damals eines der modernsten Kinos Europas war. Für die 1970er-Jahre nahmen | |
wir das „Abaton“ als Programmkino und für die 2000er die „Zeise“-Kinos. | |
Bei einer Ausstellung über Filme und Kinos ist ja vieles von dem gezeigten | |
Material sekundär, etwa Plakate oder Fotos. Deshalb sind Reliquien so | |
wichtig. Was haben Sie da zu bieten? | |
Wir haben das Kostüm von Romy Schneider aus „Die schöne Sünderin“ und wir | |
haben die Uniform aus „Der Hauptmann von Köpenick“, sogar mit dem original | |
Kleb-Schnauzbart von Heinz Rühmann. Und Fatih Akin hat zum Glück einen gut | |
sortierten Keller. Von da haben wir das Neonleuchtschild aus „[5][Soul | |
Kitchen]“ bekommen sowie die Kostüme des Hochzeitspaars aus „Gegen die | |
Wand“. Seinen Goldenen Bären hat er uns auch noch geliehen. | |
Bis vor Kurzem waren ja Filmausstellungen gern vollgestellt mit Monitoren. | |
Gibt es so welche bei Ihnen auch? | |
Ja, aber nur wenige und erst ab den 1960er-Jahren: bei den Fernseh- und | |
Videoproduktionen. | |
Also, wenn es passt? | |
Genau. Für uns sind die Filme historische Objekte und die zeigen wir auf | |
der Leinwand – allerdings nur in zwei oder drei Minuten langen | |
Ausschnitten. Die Gestaltungsidee ist, dass wir Kinos inszenieren. Film ist | |
Film und nicht nur das Bild auf einem Monitor in der Ecke. | |
Müssten Sie dann nicht eigentlich auch bei den Stummfilmen einen Projektor | |
rasseln lassen? | |
Nein, die Töne, die man hört, sind nur von den Filmen. Sonst wäre das | |
schnell zu einer Kakophonie geworden, und man muss da auch Rücksicht auf | |
das Aufsichtspersonal nehmen: Diese Menschen müssen sich schon innerhalb | |
eines halben Jahres viele Tausend Mal „Auf der Reeperbahn nachts um halb | |
eins“ anhören. | |
3 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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