# taz.de -- Psychologin zur Coronakrise: „Weihnachten ist die Heilige Kuh“ | |
> Die Akzeptanz der Coronamaßnahmen hat viel mit Vertrauen zu tun, so die | |
> Gesundheitspsychologin Cornelia Betsch. Die Krise erfordere Anpassung. | |
Bild: Corona im Weihnachtsambiente | |
taz: Frau Betsch, die Weltgesundheitsorganisation konstatiert | |
länderübergreifend eine pandemic fatigue, eine Pandemiemüdigkeit. Seit | |
Ausbruch im Frühjahr befragen Sie und Ihr Team alle ein bis zwei Wochen | |
Menschen in Deutschland zur Coronapandemie. Rückt das Virus auch bei den | |
Leuten hierzulande in den Hintergrund − trotz zweiter Welle? | |
Cornelia Betsch: Wir haben über den Sommer hinweg tatsächlich eine | |
gestiegene Pandemiemüdigkeit festgestellt. Also der Anteil der Leute, die | |
wenig Risiko wahrnehmen und wenig Schutzverhalten zeigen, war gestiegen. | |
Durch die erhöhten Fallzahlen im Spätherbst ist die pandemic fatigue aber | |
wieder zurückgegangen. | |
Das Virus wird wieder ernster genommen? | |
Die Risikowahrnehmung ist jetzt ungefähr so hoch wie Mitte April − bei | |
heute [1][deutlich mehr Fallzahlen]. Insofern ist die Risikowahrnehmung | |
jetzt im Verhältnis niedriger als zu Beginn der Pandemie. Man gewöhnt sich | |
doch wieder sehr schnell an die hohen Zahlen. | |
Der seit Anfang November geltende Teillockdown stößt also auf weniger | |
Akzeptanz als die viel weiter gehenden Einschränkungen im Frühjahr? | |
Also im Frühling hatten wir alle einfach mehr Angst. Da wusste man | |
insgesamt sehr wenig über das Virus. Stark einschränkende Maßnahmen wie | |
Schulschließungen waren da relativ gut akzeptiert. Aber ab April ging das | |
wieder deutlich runter. Ab Mitte Oktober ist die ganze Akzeptanz von | |
solchen Maßnahmen wieder deutlich gestiegen. Mit Ausnahme der Schulen, da | |
sagen die meisten Leute schon: [2][Die wollen wir nicht alle vorsorglich | |
schließen]. | |
Am Mittwoch werden Bund und Länder erneut beraten. Bei dauerhaften | |
Maßnahmen wie den AHA-Regeln ist die Akzeptanz ja durchgehend hoch. Was | |
muss gewährleistet sein, damit auch zeitlich begrenzte | |
Freiheitseinschränkungen oder die Schließung von Kneipen akzeptiert werden? | |
Der Faktor, der überall mitspielt, ist Vertrauen in die Institutionen. Wer | |
mehr Vertrauen hat, stimmt dem Ganzen auch eher zu oder macht freiwillig | |
mit. Auch die Einheitlichkeit von Regeln ist wichtig, und je besser die | |
Leute darüber Bescheid wissen, desto eher halten sie sich daran. Was auch | |
relevant ist: Die Leute, die mehr Sorgen haben oder sich mehr fürchten, | |
machen häufiger mit. Insgesamt sind das eher Frauen, ältere Leute und | |
Menschen in kleineren Städten. | |
Was bedeutet es für die Akzeptanz, wenn − wie bislang − trotz strenger | |
Maßnahmen die Zahl der Neuinfektionen kaum zurückgeht? Der Erfolg also auf | |
sich warten lässt? | |
Dass Zahlen nicht runtergehen, obwohl man sich einschränkt, kann zu | |
gefühlter Hilflosigkeit führen. Und die ist schlecht für die Akzeptanz und | |
die Bereitschaft mitzumachen. Schneller Erfolg ist leider etwas, das es | |
kaum gibt in dieser Pandemie. Aber auch das Wissen um langfristige | |
Konsequenzen ist wichtig. | |
Haben Sie ein Beispiel? | |
Nur 50, 60 Prozent der Leute wissen, dass je früher die Maßnahmen beginnen, | |
desto schneller können sie aufgehoben werden und desto weniger Schaden | |
richten sie an. Wer das aber weiß, akzeptiert auch eher die Maßnahmen. Und: | |
Überall, wo es nur Gebote und keine Verpflichtungen gibt, brauchen wir | |
massig Verhaltensbeispiele, das schafft auch Sicherheit. Ich weiß aber | |
nicht, woher die kommen sollen … | |
… Medien wie die taz kennen ja seit Beginn der Pandemie kaum ein anderes | |
Thema. Auch die Regierung fährt breite Aufklärungskampagnen, Kanzlerin und | |
RKI-Präsident melden sich häufig zu Wort. Das Vertrauen in diese | |
Institutionen ist Ihren Befragungen zufolge ja auch sehr hoch. | |
Aber die Informationen können nicht nur von denen kommen. Es gibt immer 25 | |
Prozent, die sagen: Ich lehne die Maßnahmen ab, und vertraue diesen | |
Institutionen nicht. Die aber trotzdem wissen wollen, was sie machen | |
sollen. Deswegen braucht es viel mehr Beteiligung anderer | |
zivilgesellschaftlicher Organisationen. Kirchen, Vereine, Arbeitgeber. | |
Vielleicht müssen Bäcker Informationen auf ihre Tüten drucken. Im besten | |
Fall kommen die Informationen von alleine ins Haus auch zu denen, die nicht | |
selbst danach suchen. | |
Bemerkenswert: Eine große Mehrheit gibt an, gegenwärtig auf private Feiern | |
zu verzichten. Bei Weihnachten sieht das völlig anders aus. | |
Also Weihnachten ist so ein bisschen die [3][Heilige Kuh]. Das hatte ich | |
selbst etwas unterschätzt. Wir haben die Leute nach Ideen gefragt, wie sie | |
Weihnachten sicher feiern wollen. Und ohne dass sie danach gefragt wurden, | |
haben 10 Prozent gesagt: Wehe, es gibt Verbote! Bei Partys war das total | |
anders, da sagten viele: Ja, muss man halt verbieten. Weihnachten aber | |
nicht. | |
Was schließen Sie daraus? | |
Man sollte Weihnachten nicht als Karotte vor unsere Nase hängen, und sagen: | |
Wenn ihr alle schön brav seid, dann gibt es Weihnachten − um dann ein oder | |
zwei Wochen vorher zu sagen: Wird leider doch nichts. Dann lieber jetzt | |
nicht in Aussicht stellen und damit sehr sensibel umgehen – momentan | |
passiert das auch weitgehend so. | |
Zum Schluss: Was haben Sie in den Befragungen am meisten über die Menschen | |
gelernt? | |
Vor allem ihre große Anpassungsfähigkeit. Dass die Leute nicht aufgeben und | |
nicht verzweifeln, ist ja erst mal etwas Hoffnungsvolles. Wir sehen in den | |
Daten aber auch: Die Leute reagieren erst, wenn etwas passiert. Das sagt | |
wiederum über andere Krisen viel aus, die Klimakrise etwa. Solange es bei | |
uns nicht ins Haus reinregnet oder stürmt, ist es uns egal. Unser Land wird | |
kaum unter dem Meeresspiegel verschwinden. Die Klimakrise hat da kaum eine | |
Chance. Dass Lernen durch schmerzhafte Erfahrung so relevant ist, ist | |
eigentlich ein bisschen traurig. | |
24 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Godeck | |
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