# taz.de -- Pro und Contra Homeschooling in Berlin: Schickt die Kinder nach Hau… | |
> Angesichts infizierter Schüler:innen und ganzer Klassen in Quarantäne: | |
> Sollten nicht auch die Schulen wieder auf Abstand und Homeschooling | |
> setzen? | |
Bild: Nicht an jedem Esstisch ist genug Platz für Homeschooling und Hausaufgab… | |
## Ja, | |
es gibt viele Gründe, die dagegen sprechen, Klassen zu teilen. Viele | |
Schüler:innen, Lehrer:innen und Eltern machen sich Sorgen, wenn Schulen | |
flächendeckend auf das Wechselmodell umstellen. Und das zu Recht. Drei | |
Unterrichtsstunden pro Tag sieht der Stufenplan für den Ernstfall vor. | |
Deshalb stehen die meisten der 700 Berliner Schulen nach wie vor auf Gelb: | |
Regelunterricht mit verschärften Hygienevorschriften. | |
Die einzuhalten unter den gegebenen Bedingungen oft gar nicht möglich ist. | |
Wie sollen denn auch 30 Schüler:innen den Mindestabstand von 1,5 Metern in | |
30 qm großen Räumen einhalten? In Schulgebäuden aus der Kaiserzeit, die als | |
preußische Erziehungsanstalten gebaut und seitdem kaum modernisiert wurden? | |
Es geht einfach nicht. Die Klassen sind zu voll, die Räume zu eng, die | |
Schulhöfe und Turnhallen zu klein. Das war schon vor Corona klar, jetzt | |
wird es wirklich zum Problem. | |
Zum gesundheitlichen Problem und zum Legitimationsproblem: Denn der | |
Lehrplan ist nicht zu erfüllen, wenn die Lehrerin nur die Hälfte des Stoffs | |
vermitteln kann. Zeugnisnoten und Übergangsempfehlungen haben wenig | |
Aussagekraft, wenn statt vier nur eine Klassenarbeit im Schuljahr | |
geschrieben wird und der mündliche Teil auf eine Videokonferenz pro Woche | |
schrumpft. | |
Noch gilt der Lehrplan wie in Vor-Corona-Zeiten. Doch das System droht zu | |
kippen. Knapp 200 Schulen müssen nun auf Hybridunterricht umstellen, mit | |
geteilten Klassen und reduziertem Präsenzunterricht. Jede dritte Schule ist | |
davon betroffen. Vergleichbarkeit und Chancengleichheit sind unter diesen | |
Umständen nicht mehr gewährleistet. | |
Es wäre jetzt konsequent, die Notbremse zu ziehen und wie im Frühjahr den | |
engen Rahmen von Lehrplan und Zensuren zu verlassen. Und alle Oberschulen | |
sollten ein individuelles Wechselmodell einführen: Schüler:innen, die zu | |
Hause keinen Arbeitsplatz haben oder beim Lernen mehr Unterstützung | |
brauchen, kommen zum Arbeiten in die Schule. Jene, die zu Hause Laptop, | |
Schreibtisch und Ruhe haben, dürfen zu Hause lernen. Lehrer:innen | |
konzentrieren sich darauf, in Kleingruppen neuen Stoff zu vermitteln und | |
individuell zu fördern. | |
Ja, es wäre ein radikaler Schritt. Aber Abschlüsse, Klausuren, Lehrplan und | |
Zensuren sind nicht mehr wert als der Schutz der Gesundheit. Und mal | |
angenommen, Corona wäre nicht in erster Linie für alte Menschen gefährlich, | |
sondern für Kinder und Jugendliche. Dann wären die Schulen längst | |
geschlossen. Anna Lehmann | |
## Nein, | |
Homeschooling muss die Ausnahme bleiben, die Schulen bleiben im | |
„Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen“, hat die Politik Ende Oktober | |
entschieden – und die Verantwortlichen verteidigen das seitdem in seltener | |
Einmütigkeit gegen den Druck von Lehrerverbänden und Gewerkschaften. Und | |
sie tun das völlig zu Recht. | |
Es ist leicht, jetzt auf Infektionen und in Quarantäne geschickte Klassen | |
zu verweisen, die seit den Herbstferien auch an Berliner Schulen | |
kontinuierlich mehr werden. Und doch sind steigende Infektionszahlen in den | |
Schulen kein zwingendes Argument, alle SchülerInnen wieder teilweise ins | |
Homeschooling zu schicken. Denn auch wenn die Gesundheitsämter nur noch | |
etwa ein Drittel des Infektionsgeschehens zurückverfolgen können: Bei den | |
Infektionsketten, die man zurückverfolgen kann, spielen Schulen als | |
Ansteckungsorte nach wie vor kaum eine Rolle. | |
Nun geht es bei einem „diffusen Infektionsgeschehen“ allerdings nicht mehr | |
allein um qualitative Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung, sondern vor allem | |
um quantitative Kriterien. Die Schulen für alle im regulären Betrieb zu | |
halten war eine politische Prioritätensetzung. Man hätte stattdessen auch | |
die Restaurants und Museen offen lassen können, auch dort deutete wenig | |
darauf hin, dass sie Hotspots sind. | |
Gut möglich, dass in den kommenden Tagen mehr Schulen in Berlin ohnehin auf | |
Wechselunterricht schalten müssen, weil die Corona-Ampel für sie „Rot“ | |
zeigt. Aber es ist richtig, dies weiterhin vom Infektionsgeschehen an jeder | |
einzelnen Schule abhängig zu machen, statt allen pauschal Homeschooling zu | |
erlauben. Denn Wechselbetrieb bedeutet ja auch: Die digital gut | |
aufgestellten Schulen machen gern mit, vielleicht profitieren SchülerInnen | |
dort sogar von kleineren Klassen und „hybriden“ Unterrichtsmodellen. Aber | |
viele Schulen sind schlecht ausgestattet – und viele SchülerInnen | |
profitieren nicht, sondern die LehrerInnen „verlieren“ sie ganz einfach. | |
Weil auch ein Tablet und eine Schulcloud nicht den Sozialraum Schule | |
ersetzt, der gerade für SchülerInnen – und Familien – mit weniger | |
Ressourcen wichtig ist. Denn Schule ist ein stabilisierender Faktor in | |
dieser Gesellschaft und auch Zufluchtsort, wenn in Familien Gewalt oder | |
einfach „nur“ Überforderung und Enge herrschen. | |
Für die Kultur und Gastronomie kann (und muss) man Rettungsschirme spannen. | |
Die Schulen zu schließen, auch nur teilweise, hat dagegen einen hohen | |
sozialen Preis. Der sollte uns (noch) zu teuer zu sein. Anna Klöpper | |
22 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Anna Klöpper | |
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Sandra Scheeres | |
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