| # taz.de -- Angeklagter über G20-Rondenbarg-Prozess: „Politisch viel zu gewi… | |
| > Yannik U. sieht in den G20-Staaten den greifbarsten Ausdruck des | |
| > Kapitalismus. Nun steht er in Hamburg vor Gericht, weil er an einer Demo | |
| > teilnahm. | |
| Bild: Muss jetzt eine Weile von Stuttgart nach Hamburg zum Gericht pendeln: Yan… | |
| taz: Herr U., die am Donnerstag startende Verhandlung gegen Sie ist Auftakt | |
| für [1][Dutzende weitere Verfahren rund um die Proteste am Rondenbarg] | |
| gegen den G20-Gipfel. Wie fühlt es sich an, diesen Mammutprozess zu | |
| eröffnen? | |
| Yannik U.: Uns fünf Angeklagten ist klar, dass an diesem Verfahren [2][mehr | |
| hängt als das, was wir individuell als Strafe zu erwarten haben]. Das | |
| Pilotverfahren wird maßgeblich den Verlauf der 68 anderen Verfahren mit | |
| beeinflussen. Und die Frage, die da verhandelt wird, ist von immenser | |
| politischer Tragweite. | |
| Wie haben Sie sich vorbereitet? | |
| Ich habe mich um bestmögliche Ausgangsbedingungen bemüht, also mit meiner | |
| Familie gesprochen, bin anwaltlich gut vertreten und werde an meinem | |
| Ausbildungsplatz keine Probleme bekommen. Auf der anderen Seite gibt es die | |
| inhaltlich-emotionale Ebene: Wenn man mit Repression konfrontiert wird, | |
| kommt man ins Zweifeln und fragt sich, ob sich das gelohnt hat. Ich | |
| versuche, mich davon nicht so stark beeindrucken zu lassen. Wenn ich mich | |
| frage, warum ich nach Hamburg gefahren bin, denke ich: Ich würde es wieder | |
| machen. | |
| Warum sind Sie nach Hamburg gefahren? | |
| G20 ist ja schon ein bisschen tot diskutiert. Aber rückblickend gab es | |
| mehrere Gründe. Allein der Ort war ja eine Provokation. Aber auch der | |
| Gipfel an sich: Die G20 als wirtschaftsstärkste Nationen der Welt, die als | |
| Gremium nicht legitimiert sind, aber absprechen, wie sie ihre Interessen | |
| aufeinander abstimmen können. Das ist zwar diplomatisch, aber es ist klar, | |
| dass die gleichen Staaten, wenn es mit diplomatischen Mitteln nicht mehr | |
| geht, auch bewaffnete Kriege führen. Da sitzt die Türkei am Tisch, die | |
| Rojava angegriffen hat, und Deutschland und Frankreich, die in die ganze | |
| Welt Waffen exportieren. Es geht ihnen immer darum, Rohstoffe und | |
| Absatzmärkte zu erschließen. Die G20 sind der [3][greifbarste Ausdruck des | |
| Kapitalismus] und der Konkurrenz untereinander. Dass so was Protest | |
| verdient, war für mich selbstverständlich. | |
| Wo verorten Sie sich politisch? | |
| Ich würde mich als Kommunist bezeichnen. Ich glaube, dass der Kapitalismus | |
| nicht reformierbar ist, er muss revolutionär überwunden werden. Dafür | |
| brauchen wir Gegenmacht, also Organisierung, linke Infrastruktur, eigene | |
| Öffentlichkeit und eine neue Form von Kultur, frei von Konkurrenz. In | |
| Stuttgart bin ich vor allem in internationalistischen und | |
| antifaschistischen Zusammenhängen aktiv. | |
| In der nächsten Zeit müssen Sie erst mal wöchentlich von Stuttgart nach | |
| Hamburg pendeln. | |
| Aber wir erfahren von vielen Seiten Unterstützung, etwa in Form von Spenden | |
| und Unterbringung in Hamburg. Auch die politische Begleitung des Prozesses | |
| gibt uns mega viel Kraft. Es gibt einen Blog von der Roten Hilfe und die | |
| bundesweite Kampagne „Gemeinschaftlicher Widerstand“, sowie eine | |
| bundesweite Demo am 5. Dezember, die unser Verfahren thematisiert und | |
| fordert, dem als gesamte linke Bewegung offensiv zu begegnen. | |
| Stellen Sie sich darauf ein, in den Knast zu gehen? | |
| Nein, nicht wegen dieses Verfahrens. Was soll da für eine Strafe für uns | |
| rumkommen, vier Jahre nach dem Gipfel? Uns wird ja nichts vorgeworfen, | |
| außer dass wir dabei waren. Da macht man sich ja eher lächerlich, wenn man | |
| überhaupt verurteilt. | |
| Was ist am Rondenbarg passiert? | |
| Der Demonstrationszug wurde auf dem Weg in die Innenstadt in der Straße | |
| Rondenbarg von vorne von der brutalen Blumberger Beweissicherungs- und | |
| Festnahmeeinheit, und von hinten von einer Hundertschaft und zwei | |
| Wasserwerfern eingekesselt und zerschlagen. Das Ergebnis ist bekannt: über | |
| 50 Festnahmen und 14 Leute im Krankenhaus, mit teilweise offenen Brüchen, | |
| angeknacksten Halswirbeln, Stauchungen. Die Polizeivideos zeigen die | |
| Vehemenz: Es ging der Polizei nicht darum uns zu kesseln, sondern den | |
| Demozug zu zerschlagen. Ich wurde zum Glück nicht verletzt und bin in die | |
| Gefangenensammelstelle gekommen. | |
| An was aus der Gefangenensammelstelle erinnern Sie sich noch? | |
| Die schier unmenschliche Abarbeitungsstraße. Man kam in diese | |
| Abarbeitungsstraße, wurde durchsucht, alles wurde einem abgenommen, manche | |
| mussten sich komplett ausziehen. Dann die Identitätsfeststellung, dann die | |
| kleinen Zellen mit halbstündlicher Lebenskontrolle und permanent hellem, | |
| künstlichem Licht. Ohne Tageslicht, das war komplett unmenschlich | |
| aufgebaut, eine Abarbeitung im technischen Sinne, zum Abkapseln und | |
| Inhaftieren der Protestierenden. Ich war da zum Glück nur bis nachmittags, | |
| weil ich minderjährig war. | |
| Wie hat die Festnahme und das Darauffolgende Ihr Leben verändert? | |
| Die Unsicherheit nach der Festnahme wurde bei mir schnell im kollektiven | |
| Rahmen aufgefangen. Ja, es wird einschränkend sein, immer nach Hamburg zu | |
| gurken, und auch nicht stressfrei. Aber ich sehe es als Herausforderung und | |
| führe mein Leben erst mal normal weiter, das ist auch gesünder als sich | |
| Panik zu machen. Außerdem gibt es politisch einiges zu gewinnen. | |
| Ach ja? Was denn? | |
| Juristisch wird es darum gehen, ob sich die Staatsanwaltschaft mit ihrem | |
| Angriff auf das Demonstrationsrecht durchsetzt oder nicht. | |
| Die Staatsanwaltschaft bezieht sich auf den Bundesgerichtshof (BGH), der im | |
| Mai 2017 urteilte, dass das [4][Mitmarschieren in einer gewaltbereiten | |
| Menge ausreicht, um den Tatbestand des Landfriedensbruchs zu erfüllen.] | |
| Eine individuelle Täterschaft ist danach nicht erforderlich. Allerdings | |
| gilt das laut dem BGH für Hooligans und nicht für politische | |
| Demonstrationen. | |
| Man will uns für die pure Teilnahme an der Demo mit verantwortlich machen | |
| für alles, was passiert ist. Unser Ziel ist natürlich, dass das nicht | |
| durchkommt. Und wenn wir es schaffen, als Angeklagte und als linke Bewegung | |
| diesen Prozess kollektiv und politisch zu führen, können wir daran wachsen. | |
| Wir können Strukturen aufbauen, politische Inhalte vermitteln für die wir | |
| stehen, uns vernetzen. Mit so einem Verfahren wird natürlich bezweckt, uns | |
| einzuschüchtern, damit wir nicht aktiv bleiben. Wenn wir weitermachen, | |
| haben wir schon gewonnen. | |
| Was bedeutet es für Sie, dass die Öffentlichkeit vom Prozess ausgeschlossen | |
| wird? | |
| Ich würde es mir anders wünschen. In der unmittelbaren Anklagesituation, | |
| wenn wir allein mit unseren Anwält*innen im Saal sitzen, wird die Ohnmacht | |
| greifbarer werden, dass man dem juristischen Geschehen ausgesetzt ist und | |
| es nicht schaffen kann, darin eine aktive Rolle einzunehmen. Beim | |
| [5][Verfahren gegen Fabio V., dem ersten Angeklagten in Sachen Rondenbarg], | |
| hat man gesehen, dass die Öffentlichkeit ein immenser Faktor ist. Das | |
| Gericht und die Staatsanwaltschaft haben es einfacher, wenn es wenig | |
| kritische Stimmen gibt, die nachfragen, ob alles rechtens ist und so sein | |
| muss oder ob mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. | |
| Die Idee beim Ausschluss der Öffentlichkeit ist ja, junge Angeklagte zu | |
| schützen. | |
| Wir reden hier über ein Verfahren, dass dreieinhalb Jahre nach der | |
| vermeintlichen Tat beginnt. Ein Urteil wird es voraussichtlich frühestens | |
| zum vierten Jahrestag geben, und wir können davon ausgehen, dass es damit | |
| nicht zu Ende ist, sondern eine von beiden Seiten das Urteil anfechten | |
| wird. Das Jugendstrafrecht soll uns erziehen, aber ob das noch erziehende | |
| Wirkung hat oder doch eher Ausbildung und Studium gefährdet, kann man sich | |
| schon fragen. Ich glaube, die Intention dahinter ist eine andere. | |
| 2 Dec 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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