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# taz.de -- G20-Prozess in Hamburg: Mitgefangen, mitgehangen
> Mit dem „Rondenbarg-Verfahren“ beginnt der letzte große Gerichtskomplex
> um die Hamburger G20-Proteste. Einige der Angeklagten sind Minderjährige.
Bild: Transparent bei einer Solidaritätsaktion für die Angeklagten im „Rond…
Hamburg taz | Die juristische Aufarbeitung der Ausschreitungen rund um den
Hamburger G20-Gipfel im Juli 2017 steuert auf ihr vorläufiges Finale zu.
Während sich noch immer kein einziger Beamter, [1][keine Beamtin wegen
Polizeigewalt vor Gericht] verantworten musste, beginnt im vierten Jahr
nach dem Treffen der Staatschefs voraussichtlich am 3. Dezember ein
Verfahrenskomplex, in dem insgesamt 75 Personen angeklagt sind: der Komplex
Rondenbarg.
19 Angeklagte waren zum Zeitpunkt der ihnen vorgeworfenen Taten jünger als
21 Jahre, die ersten fünf von ihnen – zwei Männer und drei Frauen, die
während des G20-Gipfels 16 oder 17 Jahre alt waren – müssen sich nun vor
dem Hamburger Landgericht verantworten. Aufgrund ihres Alters wird die
Öffentlichkeit vermutlich vom Verfahren ausgeschlossen werden.
Am Morgen des 7. Juli 2017 waren in der Straße Rondenbarg in einem
Gewerbegebiet in Hamburg-Bahrenfeld etwa 150 bis 200 überwiegend dunkel
gekleidete und bis dahin weitgehend friedlich demonstrierende
DemonstrantInnen von einer Hundertschaft der berühmt-berüchtigten
Bundespolizeieinheit Blumberg ohne erkennbaren Grund gestoppt worden.
[2][Die Polizeivideos zeigen], dass etwa ein Dutzend Steine und auch
Leuchtmunition in Richtung der sich im Laufschritt nähernden
Polizeihundertschaft geschleudert wurden.
Doch keines der Geschosse traf, kein Polizist wurde verletzt. Ohne Schilder
und Schlagstöcke waren die BundespolizistInnen auf die DemonstrantInnen
zugestürmt, um sie mit bloßen Händen gewaltsam zu Boden zu bringen. Bei den
nicht gerade zimperlich verlaufenden und willkürlich wirkenden Festnahmen
wurden elf DemonstrantInnen schwer verletzt. „Zur Rechtfertigung der
Maßnahme“, so kann man in dem Polizeivideo vernehmen, wurden neben den
herumliegenden Steinen und der Leuchtmunition auch alle Gegenstände, mit
denen man theoretisch Gewalt ausüben könnte, gesichert und bald darauf der
Öffentlichkeit präsentiert.
## Keines der Geschosse traf, kein Polizist wurde verletzt
Keiner der fünf Jungerwachsenen, die ab kommenden Monat auf der Anklagebank
des Landgerichts Platz nehmen werden, kommt aus Hamburg. Ihre Wohnorte sind
über die gesamte Republik verteilt, drei von ihnen wohnen mehr als 500
Kilometer entfernt. Entgegen dem eigentlich bindenden Wohnortprinzip, das
dafür sorgen soll, dass heranwachsende Beschuldigte nicht aus ihrer
gewohnten Umgebung herausgerissen werden, wird den Angeklagten nicht an
ihrem Heimatgericht, sondern an dem für den Tatort zuständigen Gericht der
Prozess gemacht, der vermutlich rund ein Jahr dauern wird. Für die
Angeklagten wird es aufgrund der wöchentlich anberaumten Termine fast
unmöglich sein, ihre jeweilige Ausbildung geordnet fortzusetzen.
In ihrer Anklage setzt die Staatsanwaltschaft darauf, dass sämtliche
DemoteilnehmerInnen für alle aus dem Aufzug heraus verübten Straftaten
juristisch verantwortlich seien. Demnach sollen „alle Beschuldigten durch
dieselbe Handlung gemeinschaftlich“ schweren Landfriedensbruch und
versuchte gefährliche Körperverletzung begangen haben, daneben auch
Sachbeschädigung und tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte.
Dabei ist es den Ermittlern in ihrer Beweisführung egal, welche*r
Angeklagte einen Stein geworfen hat und welche*r nicht. Sie geht davon aus,
dass alle DemonstrantInnen einen „gemeinsamen Tatplan“ gehabt hätten, der
die angeklagten Straftaten beinhaltet habe. Wer nicht selbst einen Stein
geworfen habe – so die staatsanwaltschaftliche Konstruktion –, habe den
anderen „psychische Beihilfe“ geleistet – der gemeinsame Tatplan sei so
arbeitsteilig umgesetzt worden.
Dass anders als im G20-Verfahren um die [3][Vorfälle an der Elbchaussee],
wo vermummte DemonstrantInnen Autos in Brand setzten und Scheiben klirren
ließen, am Rondenbarg kein nennenswerter Sach- und erst recht kein
Personenschaden entstand, interessiert die Staatsanwaltschaft dabei nicht.
Sie versucht Rechtsgeschichte zu schreiben.
## Die Staatanwaltschaft will Rechtsgeschichte schreiben
Setzt sie sich mit ihrer Rechtsauffassung durch, könnte zukünftig jede*r,
der oder die an einer Demo teilgenommen hat, aus der heraus Straftaten
begangen wurden, für alle Ausschreitungen rechtlich verantwortlich gemacht
werden, selbst wenn er oder sie an diesen nachweislich nicht beteiligt war.
Die Devise lautet: Mitgegangen – mitgefangen – mitgehangen.
Die bisherige auch vom Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte Rechtsprechung
zielt hingegen darauf ab, bei Demonstrationen friedliche ProtestlerInnen
und aktive GewalttäterInnen säuberlich voneinander zu trennen. Hamburgs
Staatsanwaltschaft legt es hingegen darauf an, Spreu und Weizen zu mischen,
indem sie die G20-Versammlungen nicht als Demonstrationen einstuft, die
unter die BGH-Rechtsprechung fallen. Stattdessen sollen die Versammlungen
als geplante Zusammentreffen verstanden werden, bei denen alle
TeilnehmerInnen das Ziel haben, gemeinsam Straftaten zu begehen.
Im Elbchaussee-Verfahren scheiterte die Anklage weitgehend mit dieser
Rechtsdeutung. Die Angeklagten, denen nicht vorgeworfen wurde, selbst
Sachbeschädigungen begangen zu haben, verurteilte die Kammervorsitzende
Anne Meier-Göring aufgrund ihrer Teilnahme an der gewalttätig verlaufenden
Demonstration wegen Landfriedensbruch und der Beihilfe zu Brandstiftungen
zu Strafen, die weit unter den Anträgen der AnklägerInnen blieben. Die
Behauptung der StaatsanwältInnen, es habe einen gemeinsamen Tatplan
gegeben, aufgrund dessen jede*r Demo-TeilnehmerIn für jede aus dem Zug
heraus verübte Straftat verantwortlich sei, wies die Richterin entschieden
zurück.
2 Dec 2020
## LINKS
[1] /G20-Prozess-gegen-Polizisten/!5693978
[2] https://www.youtube.com/watch?v=m84fSC2gK4Q
[3] /Rolle-der-Polizei-bei-G20-in-Hamburg/!5692769
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
G20-Prozesse
Polizeigewalt
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