| # taz.de -- Verfassungsklage gegen „Staatstrojaner“: Wenn der Staat mitliest | |
| > Die Union fordert mit der Quellen-TKÜ eine Art Staatstrojaner, der auch | |
| > auf verschlüsselte Chats zugreift. Betroffene wie Journalist*innen | |
| > klagen. | |
| Bild: Versteckt, aber sichtbar: Person vor dem Hauptgebäude des BND in Berlin | |
| Die geschützte und vertrauliche Kommunikation mit Quellen ist unerlässlich | |
| für journalistische Arbeit. Investigative Journalist*innen verwenden | |
| verschlüsselte Chats und Mails schon ganz selbstverständlich. Dass | |
| Ende-zu-Ende-Verschlüsselung inzwischen für alle gängigen Chat-Apps gilt, | |
| hat diesen Schutz beiläufig zum Standard gemacht, selbst bei alltäglicher | |
| Kommunikation. | |
| Genau damit hadern Ermittlungsbehörden und Geheimdienste aber. Sie nutzen | |
| die öffentliche Aufmerksamkeit für besonders schwere Verbrechen immer | |
| wieder, um die gesetzlichen Grundlagen für Abhörbefugnisse zu erweitern. | |
| Auf Bundesebene soll nach einem obskuren Tauschgeschäft innerhalb der | |
| Koalition die sogenannte Quellen-TKÜ (Anm. d. Red.: kurz für | |
| Telekommunikationsüberwachung) zur Nutzung durch Geheimdienste erlaubt | |
| werden. | |
| Während die SPD eine Art Rassismusstudie bei der Polizei bekommt, setzte | |
| die Union durch, [1][dass Verfassungsschutz, MAD und BND] verschlüsselte | |
| Chats mittels des sogenannten Staatstrojaners mitlesen können. | |
| Diese Software ist nichts anderes als ein Schadprogramm, das | |
| Sicherheitslücken auf den Endgeräten der Nutzer*innen nutzt, um dort | |
| einzubrechen. Über sie wird zwischen IT-Sicherheitsexpert*innen, | |
| Bürgerrechts- und Netzaktivist*innen auf der einen Seite und der | |
| Law-and-Order-Fraktion auf der anderen kontrovers gestritten, nicht selten | |
| vor Gericht. | |
| ## Schutz von Journalist*innen verletzt | |
| Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reicht an diesem Montag | |
| Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, um die Absichten des Landes | |
| Hamburg zum Einsatz des Staatstrojaners nach dem Verfassungsschutzgesetz zu | |
| prüfen. Außerdem wird gegen die Regelungen zur automatisierten | |
| Datenauswertung durch die Hamburger Polizei, [2][eine Art digitaler | |
| Rasterfahndung], geklagt. | |
| Vertreten werden bei diesem Verfahren eine Rechtsanwältin, | |
| Aktivist*innen und Journalist*innen (darunter auch eine Redakteurin | |
| der taz), die nach Ansicht der GFF auf besondere Weise von den | |
| Ermittlungsmethoden betroffen seien. So werde der besondere Schutz der | |
| Kommunikation mit Anwält*innen oder Journalist*innen durch die Quellen-TKÜ, | |
| so wie sie geplant ist, potenziell verletzt. | |
| Dazu komme die Möglichkeit der automatischen Erstellung von Profilen und | |
| Netzwerken von Personen besonderen Interesses für die Polizei. Was das für | |
| Journalist*innen, die zum Beispiel regelmäßig über soziale Bewegungen | |
| berichten, neben der drohenden Offenlegung ihrer Quellen bedeutet, ließ | |
| sich nicht zuletzt bei den G20-Protesten in Hamburg erleben, erklärt Bijan | |
| Moini von der GFF: „Die Betroffenen landen auf einer schwarzen Liste und | |
| dann wird ihnen die Akkreditierung entzogen.“ | |
| Die [3][Rechtswidrigkeit dieser Quasikriminalisierung] journalistischer | |
| Arbeit wurde nachträglich sogar gerichtlich festgestellt. Nicht einmal | |
| Mindeststandards für die Qualität der genutzten Daten bei ihrer | |
| automatischen Auswertung sind laut der GFF-Beschwerde nach der aktuellen | |
| Regelung des Hamburger Gesetzes gewährleistet. | |
| ## Eingriffsschwelle zu niedrig | |
| Dabei hat das Land spätestens seit dem G20-Desaster auch damit hinreichend | |
| Erfahrung. So war einem Journalisten die Akkreditierung [4][nur wegen einer | |
| Verwechslung] entzogen worden. Hamburgs Polizeipräsident musste sich | |
| deshalb im Nachgang entschuldigen. | |
| Neben solchen, gegebenenfalls unmittelbar sichtbaren Folgen der geplanten | |
| Regelungen wird vor allem der Mangel an Kontrolle und Transparenz beim | |
| möglichen Einsatz des Staatstrojaners bemängelt. Gleiches gilt laut Bijan | |
| Moini für die automatische Datenauswertung: „Die Eingriffsschwelle ist viel | |
| zu niedrig.“ | |
| Der Hamburger Gesetzestext ermögliche den Ermittlungsbehörden und | |
| Geheimdiensten den technischen Zugriff nicht nur bei der unmittelbaren | |
| Gefahrenabwehr, sondern schon vorher, wenn etwa eine Straftat vermutet | |
| wird. Die Ermittlungsbehörden könnten so nahezu ohne konkreten Anlass aktiv | |
| werden – ein Albtraum des Predictive Policing rückt in greifbare Nähe. | |
| Ob derartige Regelungen des Hamburger Gesetztes und die Bundesgesetze vor | |
| dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben, ist noch offen. Wie bei den | |
| noch anhängigen Beschwerden anderer Organisationen und Einzelpersonen gilt | |
| auch für jene der GFF, dass bis zu einer Entscheidung noch Jahre vergehen | |
| können. | |
| 22 Nov 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Reform-des-Verfassungsschutzrechts/!5720366 | |
| [2] https://freiheitsrechte.org/ | |
| [3] /Akkreditierungsentzug-nicht-rechtmaessig/!5643170 | |
| [4] /Hamburgs-Polizeichef-entschuldigt-sich/!5699456 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
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