# taz.de -- Künstliche Intelligenz gegen Pandemie: Wie KI Corona erkennt | |
> Im Kampf gegen die Coronapandemie wird auch auf künstliche Intelligenz | |
> gesetzt. So sollen Infizierte anhand der Sprache oder am Husten erkennbar | |
> sein. | |
Bild: Ausgerüstet mit KI und entsprechenden Sensoren könnte auch ein Roboter … | |
BERLIN taz | Der Husten klingt so schmerzhaft, dass die eigenen Bronchien | |
schon beim Zuhören wehtun. Dennoch ist die Frage, ob da eine Person mit | |
Covid-19 hustet, eine, die lediglich Sars-CoV-2-positiv ist und keine | |
Symptome spürt, oder eine, die nicht infiziert ist, für Menschen fast nicht | |
zuverlässig zu beantworten. [1][Anders für eine Künstliche Intelligenz | |
(KI), die Forscher:innen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) | |
entwickelt haben]: Mithilfe zehntausender Hustensamples von Freiwilligen | |
trainierten sie einen Algorithmus darauf, [2][zwischen dem Husten | |
infizierter und nicht infizierter Personen zu unterscheiden.] | |
Ihre höchste Trefferquote hatte die KI ausgerechnet in einem Punkt, in dem | |
die Unterscheidung ohne einen PCR-Test besonders schwierig ist: bei | |
positiven Personen, die keine Symptome verspüren. Hier erkannte die KI die | |
positiven Fälle zu 100 Prozent. Bei Infizierten mit Symptomen waren es | |
immerhin 98,5 Prozent. Die Wissenschaftler:innen haben ihre Ergebnisse | |
Ende September im Journal of Engineering in Medicine and Biology | |
veröffentlicht und planen, aus der Anwendung eine App zu machen. | |
Hustenerkennung ist nicht der einzige Bereich, in dem KI im Kampf gegen | |
Sars-CoV-2 oder die durch das Virus ausgelöste Krankheit Covid-19 helfen | |
soll. Weitere Beispiele: KI soll dabei helfen, große Datenmengen | |
auszuwerten, etwa wenn es um die Vielzahl medizinischer Studien zu dem | |
Thema gibt. KI soll bei bildgebenden Verfahren wie CT-Scans die Lungen von | |
erkrankten und gesunden Patient:innen unterscheiden. Sie soll nicht nur | |
anhand des Hustens, sogar anhand der Sprache erkennen, ob eine Person | |
erkrankt ist. Es gibt [3][eine KI, die das Internet nach Texten über | |
nichtmedizinische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie durchkämmt und in | |
maschinenlesbarer Form in eine Datenbank einträgt]. Und KI wird eingesetzt | |
bei der Suche nach Medikamenten zur Behandlung von Covid-19. | |
„KI hat in den vergangenen zwei Jahren einen neuen Reifegrad erreicht“, | |
sagt Daniel Sonntag, Professor am Deutschen Forschungszentrum für | |
Künstliche Intelligenz. Die Auswertung und das Kombinieren von Daten gehe | |
immer schneller, und mit der Geschwindigkeit sei auch schneller klar, | |
welche Ansätze und Modelle für einen bestimmten Zweck funktionieren – oder | |
eben nicht. Sonntag sieht derzeit vor allem in zwei Bereichen großes | |
Potenzial: Zum einen bei der automatisierten Auswertung der Vorgeschichte | |
von Patient:innen. So könnte eine KI Patientenakten nach Vorerkrankungen | |
durchforsten und anhand derer eine Prognose für den Verlauf der | |
Covid-19-Erkrankung geben. Die könnte Ärzten helfen, die richtige Therapie | |
zu wählen. | |
## Vielversprechende Zahlen | |
Zum anderen setzt Sonntag große Hoffnungen in den Bereich, in dem er selbst | |
forscht: die automatisierte Auswertung von CT-Bildern. Im Oktober hat er | |
gemeinsam mit Fachkolleg:innen eine [4][Studie] dazu veröffentlicht. | |
Die befindet sich noch im Preprint-Stadium, wurde also noch nicht von | |
anderen Wissenschaftler:innen begutachtet. Doch die Zahlen sind | |
vielversprechend: Die Erkennungsrate von erkrankten Lungen lag demnach bei | |
88 Prozent. Sonntag gibt zu, dass das unter Optimalbedingungen stattfand. | |
Mit Bildern in guter Qualität der gleichen Linie von Geräten. „Jetzt wäre | |
es interessant, mit dem System in die Praxis zu gehen und zu schauen, wie | |
sehr sich die Erkennungsrate verschlechtert“, sagt er. Und wie sich da dann | |
nachbessern ließe. Dafür bräuchte es nun ein Nachfolgeprojekt. Doch dafür | |
müsse man üblicherweise mit einem Jahr Vorlauf rechnen, es müssten Anträge | |
geschrieben, gestellt und bewilligt werden. | |
Das System von Sonntag und seinen Kolleg:innen ist auch deshalb so | |
interessant, weil es den menschlichen Faktor direkt mitdenkt. Denn mitunter | |
wissen selbst die Programmierer:innen eines selbstlernenden Systems | |
nicht genau, wie genau ihre KI zu einem Ergebnis kommt. Bei der Analyse von | |
CT-Bildern allerdings markiert das System gleich den Bereich, in dem es | |
eine Auffälligkeit gefunden hat. „Das ist ideal, um das Zusammenspiel von | |
Mensch und Maschine zu gestalten“, sagt Sonntag. | |
Sein größtes Problem derzeit: „Die Verfügbarkeit von Daten.“ Damit meint | |
Sonntag Trainingsdaten, mittels derer die KI lernen kann, was sie lernen | |
soll. Im Fall von Sonntags Projekt also, die CT-Aufnahmen von gesunden | |
Lungen von denen von Patient:innen mit Covid-19 zu unterscheiden. Für | |
ein gutes Training seien in der Regel mindestens 10.000 Aufnahmen nötig. | |
Und das in einen anonymisierten Datensatz in ausreichend guter | |
Aufnahmequalität. | |
Björn Schuller, Professor am Lehrstuhl für Embedded Intellligence for | |
Health Care and Wellbeing der Universität Augsburg hat es da etwas | |
einfacher. [5][Für seine KI-Anwendungen sind keine CT-Bilder notwendig – | |
die Sprachaufnahmen, die Schuller benötigt, können Proband:innen selbst | |
mit dem Smartphone erstellen]. Schuller forscht schon seit Jahren dazu, wie | |
sich Krankheiten durch Sprachbilder erkennen lassen. Bei Kehlkopfkrebs und | |
Parkinson hat das bereits funktioniert, derzeit arbeitet Schuller an einer | |
Erkennungssoftware für Covid-19. | |
Ähnlich wie bei der Hustenerkennung kommt auch hier ein selbstlernender | |
Algorithmus zum Einsatz, in Form eines neuronalen Netzes. Der lernt mittels | |
Proben von Erkrankten und von Gesunden, auf welche Merkmale es ankommt, | |
beispielsweise Nuancen von Kurzatmigkeit. Mittlerweile würden mehr als 80 | |
Prozent der Proben korrekt erkannt. Zwar ist die KI noch in der Trainings- | |
und Testphase. Doch Schuller hat zwei konkrete Anwendungen vor Augen: | |
Einerseits eine App, die, beispielsweise in der Notaufnahme, schnell | |
Verdachtsfälle von Nicht-Verdachtsfällen trennen kann. Andererseits eine | |
App, die die Stimme von Nutzer:innen über einen längeren Zeitraum | |
analysiert, sie kennenlernt und Alarm schlägt, falls sich Auffälligkeiten | |
wie Kurzatmigkeit oder häufigeres Husten ergeben. „Technisch ist dies | |
möglich“, sagt Schuller. Jetzt komme es darauf an, geeignete Partner dafür | |
zu finden, um eine reale Anwendung daraus zu machen. | |
Eine andere KI-Anwendung, die bei der Suche nach Medikamenten zur | |
Behandlung von Covid-19 helfen soll, ist schon im Einsatz. [6][Folding@home | |
heißt das Projekt] – übersetzt: zu Hause falten – und ist auf die Mithilfe | |
von Computernutzer:innen angewiesen. Die stellen Rechenleistung zur | |
Verfügung durch die eine Anwendung des Maschinellen Lernens – ein | |
Teilbereich der KI – zum Beispiel simuliert, wie sich verschiedene | |
Wirkstoffe auf das Spike-Protein des Coronavirus auswirken. Dieses Protein | |
nutzt das Virus, um im Menschen an die Zellen anzudocken. Es zu blockieren | |
wäre daher ein vielversprechender Ansatz zur Behandlung von Covid-19. | |
Die Methode ist keine coronaspezifische Entwicklung. Forscher:innen | |
suchen mit ihrer Hilfe und der Unterstützung der weltweiten Rechenleistung | |
von Freiwilligen auch nach passenden Medikamenten gegen andere Krankheiten | |
etwa [7][Ebola] oder Zika. Mittels KI ein passendes Medikament zu finden, | |
wäre der erste Schritt. Genau wie andere Medikamente auch, müsste es dann | |
klinische Tests in Bezug auf die zu behandelnde Krankheit durchlaufen. | |
Daniel Sonntag kann sich vorstellen, dass nicht nur die KI den Kampf gegen | |
Corona voranbringt, sondern auch die Pandemie den Umgang mit Künstlicher | |
Intelligenz. „Die zunehmende Digitalisierung, die wir sehen, beschleunigt | |
natürlich auch die Entwicklung von KI-Anwendungen.“ Vor allem deshalb, weil | |
mehr Daten digital und gleichzeitig anonymisierbar zur Verfügung stünden. | |
Er warnt dennoch vor zu hohen Erwartungen an KI-Anwendungen – nicht in | |
Bezug auf Corona, sondern auch darüber hinaus. Bis es realistisch sei, zum | |
Beispiel eine App zu haben, die Bilder der eigenen Haut auf mutmaßlich | |
problematische Veränderungen untersucht – bis dahin sei es noch ein sehr | |
langer Weg. | |
29 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://news.mit.edu/2020/covid-19-cough-cellphone-detection-1029 | |
[2] /Netzpolitikerin-ueber-Corona-Warn-App/!5723658 | |
[3] https://ibm.github.io/wntrac/visualizations | |
[4] https://arxiv.org/pdf/2009.11008.pdf | |
[5] https://www.uni-augsburg.de/de/campusleben/neuigkeiten/2020/11/09/3204/ | |
[6] https://foldingathome.org/diseases/infectious-diseases/covid-19/ | |
[7] /Shitstorm-nach-Corona-Vorschlag/!5677455 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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