# taz.de -- Netzpolitikerin über Corona-Warn-App: „Zack, Prozess gescheitert… | |
> Netzpolitikerin Anke Domscheit-Berg (Linke) erklärt, was aus ihrer Sicht | |
> bei der Corona-App schiefläuft – und welche neuen Funktionen sinnvoll | |
> wären. | |
Bild: Werbung allein reicht nicht | |
taz: Frau Domscheit-Berg, wie viele Warnungen haben Sie schon [1][über die | |
Corona-App] bekommen? | |
Anke Domscheit-Berg: Das Eindrucksvollste für mich war [2][eine rote | |
Warnung] Mitte September. Da habe ich mich schon erschrocken. Ansonsten | |
habe ich immer mal wieder grüne Warnungen, also solche mit niedrigem | |
Risiko. In Sitzungswochen sind das ein paar mehr, wenn ich in meinem | |
ländlichen Heimatort bin, weniger. | |
Wenn Warnungen erscheinen, wissen viele Nutzer:innen nicht, was sie tun | |
sollen – können Sie das nachvollziehen? | |
Total. Wir haben vergangene Woche auch im Digitalausschuss drüber | |
gesprochen und es war klar, dass sich da etwas ändern muss. Menschen | |
erwarten eher eine 0-oder-1-Ansage: Entweder es gibt ein Risiko oder es | |
gibt keines, hier bleibt zu viel unklar. | |
Ein weiteres großes Problem: Nur 60 Prozent derer, die ein positives | |
Testergebnis über die App erhalten haben, geben das auch über die App als | |
Warnung weiter. Haben Sie eine Ahnung, warum das so sein könnte? | |
Offenbar finden es viele Menschen zu kompliziert, ihr positives | |
Testergebnis über die App zu melden. Da ich negativ war, weiß ich nicht aus | |
eigener Anschauung, wie das abläuft. Aber nach Beschreibungen anderer muss | |
man da viermal irgendwo okay klicken und versteht nicht immer ganz genau, | |
wozu. Und da fliegen dann Leute raus. Andere vergessen es einfach, und es | |
scheint immer noch Menschen zu geben, die denken, die App ist nur dafür da, | |
um selbst gewarnt zu werden. Da gibt es ein Aufklärungsdefizit. | |
Wer müsste da ran? | |
Das ist ein klarer Fall für die Bundeszentrale für Gesundheitliche | |
Aufklärung. Das ist deren Job. | |
Wäre das nicht noch verwirrender? Es sagt doch jetzt schon die | |
Bundesregierung immer wieder etwas zur App, das Robert-Koch-Institut, | |
manchmal auch Telekom und SAP. | |
Das sind ja andere Ansätze, und Firmen ersetzen die staatliche | |
Verantwortung nicht. Was die BZgA machen muss, ist klassische Werbung. | |
Plakatwände, Anzeigen, Filmchen in der U-Bahn, auf Youtube, so etwas. Damit | |
die Leute, die die App haben, sie richtig nutzen können. Und die, die sie | |
noch nicht haben, sie installieren. Denn bei etwa 22 Millionen Downloads, | |
aber rund 50 Millionen Nutzer:innen mit kompatiblen Smartphones in | |
Deutschland ist schon noch Luft nach oben. | |
Häufig hakt es auch im Zusammenspiel mit Ärzt:innen oder Laboren. Hat man | |
es bei der Entwicklung der App versäumt, sich zu überlegen, wie die App im | |
Gesamtsystem funktionieren soll? | |
Ich habe ja früher lange in der IT-Industrie gearbeitet. Und tatsächlich | |
ist das eines der Standardprobleme: Es scheitert meistens nicht an der IT, | |
sondern am Ökosystem drumherum. Die Software kann großartig sein, aber sie | |
muss im Zusammenspiel mit Menschen funktionieren. In diesem Fall mit | |
Ärzt:innen, mit Laboren, mit Patient:innen. Zum Beispiel: Man bekommt das | |
Ergebnis des Sars-CoV-2-Tests nur dann in die Corona-App geschickt, wenn | |
die Praxis, die den Test macht, auf einem Formular für das Labor ein | |
bestimmtes Kreuz setzt und wenn außerdem die getestete Person einen QR-Code | |
auf einem anderen Papier einscannt. Oft wird aber das Kreuz auf dem | |
Laborbegleitschein vergessen. Und dann schickt das Labor das Ergebnis nicht | |
an den App-Server und dann kommt es natürlich nie in die App. Zack, Prozess | |
gescheitert. | |
Es gibt gerade zahlreiche Forderungen, die App mit neuen Funktionen | |
auszustatten, um sie attraktiver zu machen. Was sagen Sie dazu? | |
Einige sind sinnvoll, aber [3][andere würden den Datenschutz faktisch | |
abschaffen]. Dagegen spreche ich mich ausdrücklich aus und war erfreut, im | |
Digitalausschuss zu hören, dass man das im Gesundheitsministerium genauso | |
sieht. Dass in Deutschland mehr Menschen die App nutzen als in anderen | |
Ländern, hat mit unserem hohen Datenschutzniveau zu tun. Wenn wir das | |
aushöhlen, werden wir nicht Nutzer:innen gewinnen, sondern verlieren. | |
Es gibt aber auch Verbesserungsmöglichkeiten, die den Datenschutz nicht | |
aushöhlen würden. Ein Vorschlag ist, dass der Tag eines Risikokontakts | |
angezeigt wird. So könnten Nutzer:innen besser einschätzen, ob sie an dem | |
Tag in einer kritischen Situation waren. | |
Ja, das ist sinnvoll. Derzeit wird ja nur angezeigt, vor wie vielen Tagen | |
eine Risikobegegnung stattgefunden hat. Aber wenn die App beispielsweise | |
mittags ihre Daten aktualisiert, kann da sowohl am Mittwochnachmittag als | |
auch am Donnerstagvormittag stehen, dass die Risikobegegnung vor drei Tagen | |
war. Und dann weiß ich nicht: War das Sonntag oder Montag? Ein Datum wäre | |
also hilfreich und ist geplant. Bald soll die App diese Daten auch mehrmals | |
am Tag aktualisieren, Nutzer:innen werden dann schneller gewarnt. | |
Virolog:innen wünschen sich eine Erkennung von Clustersituationen. Also von | |
solchen, in denen viele Menschen an einem Ort sind. Was ist damit? | |
Aus dem Digitalausschuss kann ich berichten, dass so eine Funktion | |
abgelehnt ist, und ich kann auch nachvollziehen, warum. Denn die Erwartung | |
war wohl, dass die App den Menschen perspektivisch eine Pushnachricht | |
schickt im Sinne von: Hallo, du bist hier mit ziemlich vielen Menschen auf | |
engem Raum, das ist gefährlich. Aber was soll das? Wer immer noch nicht | |
verstanden hat, dass Menschenansammlungen in einer Pandemie eine Gefahr | |
sind, wird es auch mit einer Pushnachricht nicht verstehen. Und der Mensch | |
in der U-Bahn, der eine solche Nachricht bekommt, fühlt sich eher | |
verarscht. | |
Ein weiterer Vorschlag: eine Funktion, die Restaurantbesucher:innen | |
ermöglicht, ihren Besuch per App zu dokumentieren [4][statt auf einem | |
Kontaktzettel vor Ort]. | |
Das ist als Idee gut, aber problematisch in der Praxis. Was ist, wenn ein:e | |
Restaurantinhaber:in dann sagt: Ach, spar ich mir den ganzen Zettelkram, | |
bei mir kommt nur noch rein, wer die Corona-App hat? | |
Das wäre theoretisch möglich. | |
Aber dann wäre die Freiwilligkeit unterlaufen und die ist in Kombination | |
mit der Datensparsamkeit ein Grundstein der App. Auch deshalb wäre es | |
wichtig, dass die Bundesregierung endlich ein Corona-Warn-App-Begleitgesetz | |
macht und die Freiwilligkeit auch gegenüber Dritten festschreibt. Dann wäre | |
so eine Restaurantverknüpfung auch kein Problem mehr, weil es immer noch | |
eine Alternative geben müsste. | |
Das MIT entwickelt gerade eine App, die anhand des Hustenklangs Infizierte | |
von Nichtinfizierten erkennt – auch Menschen, die keine Symptome spüren. | |
Wäre das eine gute Erweiterung? | |
Das funktioniert ja so, dass eine künstliche Intelligenz auf einem externen | |
Server den eigenen Husten vergleicht mit dem Husten von Infizierten und | |
Nichtinfizierten. Das ist aus Datenschutzsicht nicht ganz unproblematisch. | |
Abhilfe schaffen könnte hier aber ein Servicebereich in der Corona-App, der | |
genau solche Anwendungen verlinkt. Dann können alle Nutzer:innen selbst | |
entscheiden. | |
Die Forderungen nach neuen Funktionen kommen ja daher, dass sie das | |
Potenzial hätten, angesichts steigender Infektionszahlen mehr Nutzer:innen | |
für die App zu interessieren. | |
Ja, aber nur solange keine Kompromisse bei Datenschutz und Freiwilligkeit | |
gemacht werden. Aber auch bei neuen Funktionen braucht es bessere | |
Kommunikation und mehr Werbung. | |
Damit würde die App noch teurer werden … | |
Wenn es Menschenleben retten kann, ist es das wert. Aber das Geld könnte | |
man auch locker bei den überfinanzierten Hotlines einsparen. | |
2,5 bis 3,5 Millionen Euro kosten die Hotlines pro Monat. Knapp 20 | |
Millionen kostete die Entwicklung der App, dazu kommen Kosten für Wartung, | |
Betrieb und so weiter. Wird das noch ein Nachspiel haben? | |
Der Rechnungshof wird sich ganz bestimmt den Fall ansehen. Schon der | |
Vergabeprozess war fragwürdig. Ich kann doch nicht ein Projekt quasi fertig | |
entwickeln und erst kurz vor der Fertigstellung den Vertrag dafür | |
unterschreiben. Dann sitzen die Unternehmen natürlich am längeren Hebel und | |
lassen sich das entsprechend vergolden. | |
Was lässt sich daraus lernen? | |
Auch unter Zeitdruck muss eine bessere Vergabe möglich sein. Man kann ja | |
eine sehr kurze Ausschreibungsfrist wählen, etwa eine Woche. Und man muss | |
auch nicht weltweit ausschreiben, sondern kann fünf oder zehn Unternehmen | |
dazu auffordern, sich zu beteiligen. Aber nicht einmal diese eine Woche hat | |
man sich gegeben. | |
12 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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