# taz.de -- Überwachung gegen die Pandemie: Weniger Datenschutz hilft nicht | |
> Auch wenn Politiker:innen sie schüren: Die Erwartungen an eine | |
> Corona-App, die Zugriff auf mehr Daten hat, sind schlicht überzogen. | |
Bild: Ein großer Teil der Bevölkerung steht der Corona Warn-App kritisch gege… | |
Den Datenschutz aufheben – diese Forderung wird in der Pandemie gerade alle | |
paar Wochen wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Mal von einem | |
talkshowaffinen Philosophen, mal von einem aufstampfenden Politiker (ja | |
tatsächlich, in der Regel sind es Männer) und immer mit der Prämisse, dass | |
sich dann diese Pandemie viel leichter bekämpfen ließe. Nun ist diese | |
Forderung zunächst einmal leichter sag- als umsetzbar. Schließlich ist | |
Datenschutz keine dahingeworfene Bananenschale, die man mal eben mit | |
spitzen Fingern aufheben und in den nächsten Mülleimer befördern könnte. | |
Sondern ein Oberbegriff für einen ganzen Haufen an Gesetzen auf | |
unterschiedlichsten Ebenen. Und auch ein weiteres Bevölkerungsschutzgesetz | |
der Bundesregierung kann nicht eine europäische Verordnung oder europäische | |
Grundrechte außer Kraft setzen. | |
Aber abgesehen davon: Schauen wir uns die Sache doch mal an. Angenommen, | |
wir könnten die [1][Datenschutz-Bananenschale] mal eben in den Müll werfen | |
und gucken: Welche Daten würden dann nutzbar? Was könnte man mit ihnen | |
anstellen? Und wie würde sich das auf die Pandemiebekämpfung auswirken? | |
Erster Ansatzpunkt wären vermutlich die [2][Standortdaten] von | |
Handynutzer:innen. Standortdaten wären dann attraktiv, wenn sich mit ihnen | |
ermitteln ließe, wer sich in der Nähe einer mit Sars-CoV-2 infizierten | |
Person aufgehalten hat. Denkbar sind dabei zwei Möglichkeiten. Die erste: | |
Daten darüber, wann sich welches Gerät in eine Mobilfunkzelle eingebucht | |
hat. Das wissen die Provider, etwa die Telekom, und sie könnten diese Daten | |
mit entsprechender Rechtsgrundlage wohl ziemlich aktuell bereitstellen. Das | |
Problem: Die Daten von Mobilfunkzellen bieten nur einen sehr groben | |
Anhaltspunkt dafür, ob sich zwei Personen nahegekommen sind. Auf dem Land, | |
wo man sich in der gleichen Mobilfunkzelle befinden kann, ohne auch nur in | |
Sichtweite voneinander zu sein, sowieso. | |
Doch auch in der Stadt wären die Daten zu ungenau. Wer alle Menschen, deren | |
Telefone zeitgleich mit dem Gerät einer infizierten Person in einer | |
Mobilfunkzelle eingebucht waren, in Quarantäne schickt, kann gerade bei | |
hohen Inzidenzen gleich weite Bereiche der Stadt nach Hause bitten. So | |
könnte – beispielsweise – eine infizierte Bringdienst-Mitarbeiterin an | |
einem einzigen Arbeitstag auf ihrem Weg durch eine Stadt ganze Viertel in | |
Quarantäne schicken. | |
Bleibt Möglichkeit 2: [3][GPS-Daten]. Die sind unter freiem Himmel deutlich | |
genauer. In Innenräumen – in denen das Ansteckungsrisiko bekanntlich | |
besonders hoch ist – aber leider nicht. Ob sich eine Person im ersten oder | |
fünfzehnten Stockwerk eines Gebäudes aufhält, ob zwei Menschen | |
nebeneinander, aber getrennt von einer Wand arbeiten – das lässt sich per | |
GPS nicht ermitteln. Weiteres Problem: Wer sich per GPS ortet, braucht eine | |
Software, um die Daten an Dritte zu übermitteln. | |
Entweder also eine weitere App oder eine Erweiterung der Corona-App. Die | |
müssten Menschen installieren, um sich freiwillig überwachen zu lassen. | |
Angesichts dessen, dass nicht einmal ein Drittel aller Einwohner:innen in | |
Deutschland die – datensparsame – Corona-App nutzt, ist es eher | |
unwahrscheinlich, dass eine kritische Masse an Menschen eine | |
Rundumüberwachung per Smartphone zulassen würde. Und die Nutzung einer | |
solchen App verpflichtend zu machen, wäre wohl kaum praktikabel. Es sei | |
denn, eine Smartphone-Nutzung wird zur Pflicht, inklusive drakonischer | |
Strafen, wenn das Gerät zu Hause vergessen wird oder der Akku unterwegs | |
leer ist. | |
## Ein durchaus verständlicher Wunsch nach Wissen | |
Apropos Standortdaten: Die wünscht sich der eine oder die andere Nutzer:in | |
direkt in der Corona-App. Momentan liefert eine Warnung nur den Tag des | |
mutmaßlichen Risikokontakts mit. Wer am fraglichen Tag nahe Kontakte im | |
Büro, im Bus und im Restaurant hatte, weiß also nicht, worauf sich die | |
Warnung bezieht. Doch so verständlich der Wunsch nach Wissen ist: Für die | |
Pandemiebekämpfung würde das nicht viel taugen. Schließlich würden damit | |
keine zusätzlichen Risikokontakte erkannt. Allenfalls ließen sich indirekt | |
Erkenntnisse über das Dunkelfeld der Infektionen ohne bekannten Ursprung | |
gewinnen. | |
Sollte sich dabei etwa ergeben, dass der ÖPNV oder Kinos eine signifikante | |
Infektionsquelle sind, könnte man hier mit Maßnahmen gegensteuern. Diese | |
Erkenntnis ließe sich aber auch ohne Standortdaten gewinnen – etwa über | |
eine optionale Clustererkennung in der App, bei der Fahrgäste zum Beispiel | |
beim Einsteigen einen QR-Code scannen. | |
Aber es sind ja noch mehr Daten in der Welt. Zum Beispiel von Menschen, die | |
an der Kasse mit Karte zahlen. Das hat in der Pandemie deutlich zugenommen. | |
Also ab mit den Daten zu den Gesundheitsämtern. Oder? Na ja. Abgesehen | |
davon, dass die persönlichen Kartendaten nicht unbedingt beim Händler | |
vorliegen – etwa, wenn der:die Kund:in per Smartphone mit Apple oder Google | |
Pay zahlt – wie kämen überhaupt vorliegende Daten zu den Behörden? Zumal in | |
les- und auswertbarer Form? Eine neue Software wäre nötig, samt | |
Infrastruktur und Schulung der Behördenmitarbeiter:innen – bei unklarem | |
Nutzen. Wahrscheinlich ist da die Impfung schneller. | |
Also, nächster Versuch: Daten aus Überwachungskameras. Gerade mutmaßliche | |
Hotspots sind gut überwacht: Bahnen, Busse, Bahnhöfe, Kaufhäuser, | |
Einkaufsstraßen, belebte öffentliche Orte. Diese Bilder könnte man doch | |
alle an die Gesundheitsämter schicken. Und dann? Sagen die: Herzlichen | |
Dank, bitte gebt uns noch eine brauchbare Gesichtserkennung dazu samt einer | |
Software, um das alles auszuwerten. Brauchbare Gesichtserkennung, das muss | |
man dazu sagen, gibt es noch nicht so richtig. Selbst an Seehofers | |
[4][Überwachungsversuch] am Berliner Fernbahnhof Südkreuz waren die | |
Erkennungsraten bescheiden. Und da lag der Software schon eine Datenbank | |
mit den zu erkennenden Personen vor. | |
Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was läuft anders in Ländern, die | |
mithilfe von viel Überwachung die Pandemie besser bekämpfen als | |
Deutschland? Nun, einiges. Nicht nur ist die Nutzung von aktuellen | |
Smartphones in Ländern wie Südkorea, Taiwan oder China deutlich stärker | |
verbreitet. Auch die staatliche Kontrolle in der Pandemie ist deutlich | |
strikter. So setzt Südkorea unter anderem auf harte Strafen bei | |
Quarantäneverletzungen und ein ausgefeiltes, technikgestütztes, aber auch | |
personalintensives System der Kontaktnachverfolgung. Und wer in China etwa | |
ein öffentliches Verkehrsmittel betreten will, kann das nur, wenn das | |
Smartphone einen grünen Code für niedriges Risiko ausgibt. | |
Die Länder haben zudem Erfahrung mit der Bekämpfung von Pandemien. Das | |
betrifft einerseits die Politik. Andererseits aber auch die Bevölkerung. | |
Demonstrationen von Menschen, die der Pandemie ihr Pandemiesein absprechen? | |
Gibt es im – ebenfalls demokratischen – Südkorea nicht. Stattdessen ein | |
Bewusstsein dafür, wie man sich und andere schützt. Und in Taiwan, das die | |
Pandemie sehr erfolgreich bekämpft und dafür auch auf zahlreiche digitale | |
Hilfsmittel setzt, wird dabei hingenommen, dass eine deutlich größere Zahl | |
an Menschen vorsorglich in Quarantäne geschickt wird als in Deutschland. | |
Wenn hierzulande schon das Tragen einer Maske in öffentlichen | |
Verkehrsmitteln oder Geschäften zu vielen Menschen als unzumutbar erscheint | |
– geht jemand ernsthaft davon aus, dass sämtliche von einer App in | |
Quarantäne geschickte Personen die Isolation auch beim dritten oder fünften | |
Mal diszipliniert einhalten? Oder fordert jemand dafür dann eine digitale | |
Fußfessel? | |
8 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.coronawarn.app/assets/documents/cwa-privacy-notice-de.pdf | |
[2] https://www.datenschutz.org/standortdaten/ | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Geographische_Koordinaten | |
[4] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2020/12/berlin-bahnhof-suedkreuz-sich… | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
## TAGS | |
Datenschutz | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
GPS | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Wir retten die Welt | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Versagen der gehypten Corona-App: Luca-Nepp | |
Die Luca-App zur Corona-Kontaktnachverfolgung ist fehleranfällig – und hat | |
Sicherheitslücken, wie ein Trick von Jan Böhmermann gezeigt hat. | |
Corona-App im Einsatz: Mantel, Mütze, tanzende Dinosaurier | |
Unterwegs mit der Corona-App: 20 Minuten im Supermarkt: 29 IDs. Eine Stunde | |
zu Fuß draußen: 273 IDs. Fehlen nur noch ein paar knallbunte Tiere. Oder? | |
Clubhouse, Inzidenz und Feminismus: Zurück in die 60er | |
Radio ist Frauensache, Leoparden sind Machos und die Coronawarn-App ist | |
noch gar nicht tot. 5 Dinge, die wir diese Woche gelernt haben. | |
ForscherInnen warnen vor Impfeuphorie: Optimismus macht unvorsichtig | |
Menschen neigen angesichts guter Nachrichten zu Leichtsinn, zeigt eine | |
Studie. Für die Corona-Impfungen lässt das nichts Gutes erwarten. | |
Strategie von Japan gegen Corona: Niedrige Inzidenz, rasches Handeln | |
Japan kommt besser durch die Coronapandemie als der Westen. Dabei sind es | |
einfache Mittel, die der Inselnation zum Erfolg verhelfen. | |
Netzpolitikerin über Corona-Warn-App: „Zack, Prozess gescheitert“ | |
Netzpolitikerin Anke Domscheit-Berg (Linke) erklärt, was aus ihrer Sicht | |
bei der Corona-App schiefläuft – und welche neuen Funktionen sinnvoll | |
wären. | |
Studie über Corona-App: Wie gut schützt sie wirklich? | |
Laut einer Studie weist die Corona-App Mängel im Nahverkehr auf. Das heißt | |
aber noch lange nicht, dass das Warten auf die Anwendung umsonst war. |