# taz.de -- Queerer Rettungsschirm gefordert: „Jetzt muss es um Taten gehen“ | |
> Queere Events und Projekte brauchen staatliche Hilfen, um die | |
> Corona-Krise zu überleben, sagt Alain Rappsilber, Organisator des | |
> Folsom-Festivals. | |
Bild: Was für ein schönes Gedränge, ob man das nochmal erleben wird? CSD-Par… | |
taz: Herr Rappsilber, Sie gehörten als Organisator des herbstlichen | |
„Folsom“-Festivals zu den [1][Erstunterzeichnenden einer Petition] mit der | |
Forderung an die Bundesregierung, einen „Queeren Regenschirm“ aufzuspannen. | |
Worum geht es? | |
Alain Rappsilber: Es geht uns allen darum, die queeren Veranstaltungen und | |
die an ihnen hängenden Vereine und Organisationen zu retten. Sie fallen | |
durch alle Hilfsmaßnahmen, bei ihnen geht buchstäblich – mangels Fähigkeit, | |
noch Stromrechnungen in den Büros zu finanzieren – das Licht aus, sie sind | |
bald wirtschaftlich am Ende. | |
Wen konkret betrifft denn im queeren Spektrum die desaströse ökonomische | |
Situation infolge der Corona-Pandemie? | |
Alle Projekte, die während der vergangenen Jahre wirtschaftlich unabhängig | |
gearbeitet haben. Sie sind ohne staatliche Unterstützung und Förderung | |
ausgekommen, weil sie sie nicht bekommen hätten, aber auch, weil sie keiner | |
parteipolitischen Richtung folgen wollen. Abgesehen von meinem Verein, dem | |
Folsom Europe e.V., weiß ich, dass der Berliner Leder- und Fetischverein | |
(BLF), der seit Anfang der achtziger Jahre die Oster-Events organisiert hat | |
in Berlin, der Regenbogenfonds der schwulen Wirte im Nollendorfkiez, die | |
Organisatoren des Lesbischen-schwulen Stadtfestes und der CSD Berlin alle | |
dieselben massiven Probleme haben. | |
Wer zählt zu den stärksten Leidtragenden? | |
Alle unabhängigen und nicht staatlich geförderten Vereine und Projekte. All | |
ihre Events mussten wegen Corona ausfallen, somit entfielen auch die | |
Werbeflächen für Sponsoren und andere, die Geld gegeben haben. Das wiederum | |
ist bedrohlich, weil ohne Gelder von Sponsoren und durch Werbung Jobs | |
wegfallen – und somit die Arbeit, die wieder anfällt, wenn Corona nicht | |
mehr alles einschränkt, nicht geleistet werden kann. | |
Der frühere Bürgermeister Klaus Wowereit hat ja für Ihr Festival Folsom mal | |
ein Grußwort geschrieben. Wie steht es denn um die Unterstützung Berlins | |
für die queere Infrastruktur gerade im Hinblick auf die Feste, die auch | |
Heteros so erfreuen? | |
Wowis Grußwort hat uns sehr geholfen – aber wir ihm auch: Durch Folsom, | |
durch alle anderen queeren Großfeste wird ja auch global für Berlin | |
geworben. Jedenfalls gibt es dem 1. Juli mit den Behörden und den politisch | |
Verantwortlichen sehr, sehr viele Gespräche. Kurzum: viele warme schöne | |
Worte, leider aber nichts Handfestes, das uns aktuell helfen würde – und | |
uns unterstützt, das nächste Jahr sozial und kulturell zu überleben. Alle, | |
die etwas Weitsicht haben, wissen doch: Im nächsten Jahr wird es mit | |
Sicherheit keine Großveranstaltung geben. Also werden wir wieder keine | |
Einnahmen erwirtschaften können. | |
Gibt es Gründe, weshalb Events wie das Osterledertreffen, das queere | |
Straßenfest, der CSD oder Folsom keine Rücklagen gebildet haben? | |
Ja, denn wir sind keine Wirtschaftsunternehmen, die gierig Gewinne machen. | |
Beim Folsom Europe e.V. ist es vom Verein her so in der Satzung verankert, | |
das wir die erwirtschafteten „Gewinne“ in Präventions-Projekte wie | |
Mann-o-meter, in den Sonntags-Club und in viele weitere queere Initiativen | |
geben. So konnten wir in den vergangenen Jahren mehr als 250.000 Euro | |
verteilen. Dieses Geld fehlt in den Projekten und der Prävention jetzt auch | |
schon. Ganz zu schweigen von dem Geld, was die Berlin-Besucher, die ja | |
global immerhin als queere Tourist:innen angeworben wurden, in den Hotels, | |
Bars, Clubs und Shops gelassen haben, und von dem am Ende auch über die | |
Umsatzsteuer ein Gutteil in den Kassen Berlins landet. Das ist bei allen | |
vier Veranstaltungen ein hoher Millionen-Betrag. Ich würde sagen: Nicht nur | |
für uns ist das eine Katastrophe! | |
Müssen diese Events überhaupt Geld kosten – wäre nicht auch ehrenamtlich | |
viel zu bewirken? | |
Es kostet leider alles Geld, selbst eine ehrenamtliche Struktur | |
aufrechtzuerhalten, hat Finanzielles zur Voraussetzung. Jeder und jede weiß | |
das. Wir leben in einer Marktwirtschaft, die Vereine haben Kosten für | |
Büromieten, Versicherungen, Telefon, Grafiker, Werbung, Straßenmieten, | |
Verkehrspläne. Die Vorstände der Vereine bekommen keinen einzigen Cent, | |
einige stecken sogar eigenes Geld in die Vereine rein, abgesehen von der | |
Haftung der Vorstände mit ihrem privaten Vermögen. Ehrenamt und dieses | |
Risiko dazu? Ich denke, es wird in Zukunft weniger Menschen geben, die | |
dieses Risiko tragen können und wollen. | |
Ketzerisch gefragt: Warum sind diese Events für Berlin wichtig? Und | |
überhaupt wichtig? Es ist soviel liberalisiert worden – wozu noch so viel | |
Queeres? | |
Für viele queere Menschen sind diese Vereine und Veranstaltungen wie | |
Familie. Wenn der Zusammenhalt nicht auch durch große, populäre Events | |
markiert wird, ist das für viele schwer zu ertragen. Die Ausstrahlung und | |
Lebensvielfalt von Berlin ginge verloren. Viele haben mit ihrem Outing | |
alles in ihren Dörfern verloren, sind nach Berlin gekommen und haben hier | |
Anschluss gefunden, sich ein neues Leben aufgebaut. Berlin war auch immer | |
ein queerer Fluchtpunkt – der darf nicht verloren gehen. | |
Wie breit sollte der queere Schutzschirm Ihrer Ansicht nach sein? | |
Der würde schon nicht den Berliner Haushalt sprengen, keine Angst. Es geht | |
nicht um Millionen für uns, vielmehr gehen dem Senat Millionen verloren. Es | |
muss endlich der politische Wille da sein, um zu helfen, in unser aller | |
Interesse. Ich würde sagen: Wir brauchen eine halbe Million Euro, dann wäre | |
wieder Luft zum Atmen. | |
Kommt ein CSD oder Folsom im nächsten Jahr? | |
Frei und unbeschwert wie früher? Unmöglich. Ich bin immer ein sehr, sehr | |
gut gelaunter Mensch. Im Leben mache ich immer das Beste aus jeder | |
Lebenslage, packe an und mache einfach viel, ohne groß Worte darüber zu | |
verlieren, aber ich sehe zum ersten Mal, dass mein Verein sterben könnte. | |
Ich würde mich freuen, wenn jetzt gehandelt würde: Der Worte sind genug | |
geredet, jetzt muss es um Taten gehen. Monetäres Handeln, das wär’s. | |
18 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.change.org/p/bundesregierung-her-mit-dem-queeren-rettungsschirm… | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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