# taz.de -- Verbot von Verschlüsselung in der EU: Der Generalschlüssel | |
> Seit digitale Sicherheit demokratisiert wurde, versuchen Behörden die | |
> Privatsphäre auszuhebeln. Der Anschlag von Wien bietet Gelegenheit. | |
Bild: Rolli statt Hoodie: Private Kommunikation geht die Behörden nichts an | |
Der [1][Ministerrat der EU] weiß eines ganz genau: „Verschlüsselung ist ein | |
notwendiges Mittel, um Grundrechte und die digitale Sicherheit von | |
Regierungen, Wirtschaft und Gesellschaft zu schützen.“ So heißt es | |
zumindest am Beginn [2][einer vom ORF veröffentlichten Beschlussvorlage], | |
die bereits Anfang Dezember ohne weitere Diskussion von dem Gremium | |
[3][verabschiedet werden soll]. | |
Einziger Zweck dieser Vorlage jedoch ist eine grundlegende Schwächung von | |
Verschlüsselung, die einem Verbot der Technologie gleichkommt. Innerhalb | |
weniger Tage nach Terroranschlägen in Frankreich und Österreich nutzen die | |
Regierungen beider Länder die Gelegenheit, einen ganz alten Hasen zu | |
servieren: den „Generalschlüssel“ für verschlüsselte Kommunikation. | |
Einerseits sei zwar „offensichtlich, dass alle Seiten von high performance | |
Verschlüsselungstechnologie profitieren“, andererseits wären verschlüsselte | |
Anwendungen aber nur allzu leicht für alle verfügbar. | |
Man meint, eine gewisse Unentschiedenheit in der Bewertung der Technologie | |
zu spüren – eine Unentschiedenheit, die Polizeien und Geheimdienste | |
weltweit seit mehreren Jahrzehnten quält. Sichere Verschlüsselung? Aber | |
gewiss doch, nur soll sie nicht vor staatlich sanktioniertem Zugriff | |
schützen. | |
Seit Mitte der 1990er Jahre mit der Entwicklung für alle frei verfügbarer | |
Kryptografie wie der Mail-Verschlüsselung PGP digitale Sicherheit | |
demokratisiert wurde, suchen Behörden global Zugriff auf geschützte | |
Kommunikation. Spätestens seit der damals geführten ersten Runde der | |
sogenannten Cryptowars erklären Netzaktivist*innen immer wieder, dass eine | |
Verschlüsselung mit Hintertür eben keine Verschlüsselung ist. | |
## Ablenken vom Versagen der Sicherheitsbehörden | |
Denn erstens ist die absichtlich eingebaute Sicherheitslücke nicht davor zu | |
schützen, dass sie auch von Kriminellen entdeckt und genutzt wird. Und | |
zweitens gibt es eben keine Garantie, dass selbst demokratisch verfasste | |
Staaten sie immer nur in bester Absicht nutzen würden, von repressiven | |
Regimen mal ganz abgesehen. | |
Relativ neblig als „competent authorities“ beschriebene Instanzen sollen | |
nach dem Willen des Ministerrats Zugang zu den Inhalten der Kommunikation | |
auf Messengerdiensten wie Whatsapp und Signal erhalten. Begründet wird das | |
mit einer Erleichterung der Ermittlungstätigkeit bei „schwerer und/oder | |
organisierter Kriminalität und Terrorismus“. | |
Der ORF deutet in seiner Berichterstattung an, dass es sich in diesem Fall | |
um eine Ablenkung vom Versagen der Ermittlungsbehörden handeln könnte. | |
Schließlich hätte der Attentäter von Wien auch ohne Zugang zu seiner | |
verschlüsselten Kommunikation, lediglich bei Auswertung bereits bekannter | |
Informationen, an seiner Tat gehindert werden können. | |
Es wäre tatsächlich nicht das erste Mal, dass unter dem Eindruck schwerer | |
Verbrechen lange geplante Einschränkungen von Bürger*innenrechten mit | |
Law-and-Order-Rhetorik durchgesetzt und sachliche Fehleranalysen einfach | |
unterlassen würden. | |
Der Ministerrat ist sich derweil des dialektischen Problems, Kryptografie | |
sowohl zu begrüßen, als auch zu kriminalisieren, durchaus bewusst. So trägt | |
die Beschlussvorlage den schönen Titel „Sicherheit durch Verschlüsselung | |
und Sicherheit trotz Verschlüsselung“. Der rhetorische Kniff die | |
„Sicherheit durch Verschlüsselung“ als Wert zwar anzuerkennen, nur um | |
diesen dann als nachrangig zu den Begehren von Polizei und Geheimdiensten | |
zu behandeln, ist jedoch allzu billig. | |
Hier wird, anders als behauptet, keine „vorsichtige Balance“ gesucht, hier | |
wird in obrigkeitsstaatlicher Tradition der digitale Rammbock ausgepackt, | |
um bei Bedarf in die Privatsphäre der Bürger*innen einbrechen zu können. | |
Ein Rammbock, der wie beschrieben dazu auch noch von technisch hinreichend | |
fähigen Kriminellen genauso benutzt werden kann. | |
Jahre bringen Datenschützer*innen, Aktivist*innen und auch die Handvoll | |
in der Sache informierte Politiker*innen nun schon damit zu, ein | |
Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wichtig und schützenswert private Daten | |
sind. | |
[4][Seit den Snowden-Enthüllungen über die Massenüberwachung] jeglicher | |
digitalen Kommunikation steigt endlich das Angebot an | |
nutzer*innenfreundlichen, mit Verschlüsselung geschützten Anwendungen. | |
Und der EU-Ministerrat will diese ideellen und materiellen Fortschritte nun | |
ohne Diskussion mit einem Federstrich wieder einreißen? | |
Dabei ist klar, dass die Maßnahme nicht einmal ihren vorgeblichen Zweck, | |
die Bekämpfung von Terror und schwerer Kriminalität, erfüllen wird. Nicht | |
ganz zufällig lautet ein kluges Credo der zivilgesellschaftlichen | |
Cryptowarriors schon lange: „Wird Verschlüsselung ungesetzlich, werden nur | |
noch Gesetzlose Verschlüsselung haben.“ | |
9 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/rat-der-europaeischen-… | |
[2] https://fm4.orf.at/stories/3008930/ | |
[3] https://files.orf.at/vietnam2/files/fm4/202045/783284_fh_st12143-re01en20_7… | |
[4] /US-Whistleblower-in-Moskau/!5725214/ | |
## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
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