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# taz.de -- Lavalampen für Datensicherheit: Der blubbernde bunte Zufall
> Das Dekoelement der Hippie-Ära erlebt in der Hochtechnologie ein stilles
> Comeback. Es kann nämlich Verschlüsselungen sicherer machen.
Bild: Zufallsgenerator: Lavalampen in der Firmenzentrale von Cloudflare
Als Edward Craven Walker Mitte der 1960er Jahre Wachs und Öl in Glasröhren
beleuchtete und erhitzte, hatte er die Nachttischleuchte für das
psychedelische Jahrzehnt erfunden. Das phlegmatische Blubbern der
Lavalampen in quietschbunten Farben, dieses stete Auf und Ab der
Wachsblasen war bald aus kaum einem Jugendzimmer mehr wegzudenken.
Mit unterschiedlichen Konjunkturen verkauft sich das Hippieaccessoire bis
heute recht solide. Limitierte Sondereditionen der Firma Mathmos, benannt
nach dem vielfarbigen Ozean des Bösen aus der Spacetrash-Saga „Barbarella“,
erzielen ungebrochen gute Preise bei privaten Sammlern.
Aber auch an anderen, ganz überraschenden Orten finden sich Lavalampen. An
einer Wand im Firmensitz des Internetdienstleisters Cloudflare pulsieren
Dutzende der bunten Lampen gelassen vor sich her – Tag und Nacht, ohne
Unterbrechung. Was die Anmutung einer etwas exzentrischen
Dekorationsentscheidung hat, erfüllt einen sehr wichtigen Zweck: Mit Hilfe
der Lampen werden Zufallszahlen erzeugt.
Die sind für digitale Technologie etwa so wichtig wie der Burggraben für
eine mittelalterliche Festung. Nur ist es leider nicht so einfach, Zufälle
auf Computern zu erzeugen. Dabei ist sogar umstritten, ob es so etwas wie
den echten Zufall überhaupt gibt.
## Zufall ist eine Glaubensfrage
Denn der Zufall ist von zutiefst rätselhafter Natur. Er ist ganz
offensichtlich eine alltagspraktische Realität. Wäre das anders, ließe sich
jedes Ereignis mit absoluter Gewissheit vorhersagen, das Ende jeden
Prozesses stünde von Anfang an fest und vor allem: Alle wüssten das. Die
Lottogesellschaft wäre zügig pleite oder vernünftigerweise gar nicht erst
gegründet worden.
Selbst wenn ein Ereignis nicht vorhersagbar ist, beweist das aber noch
lange nicht dessen Zufälligkeit. Ein solches Ereignis kann einfach nur ein
Indiz dafür sein, dass wir nicht alle Variablen im Blick haben, die es
hervorrufen.
Insofern ist es theoretisch denkbar, das wir, ohne es zu erfassen, in einem
Universum leben, in dem der Weg jeden Atoms vorherbestimmt ist und jedes
Ereignis im Verlauf der Geschichte seit Beginn der Zeit feststeht.
Inklusive Französischer Revolution, der Zahl von Heidi Klums
Eheschließungen (sorry, Tom) oder auch welche Kugeln am kommenden Samstag
im Lotto gezogen werden. Nicht nur der Zufall, auch der freie Wille wäre
eine Illusion, geboren aus Unkenntnis der vollständigen Details der
Mechanik des Universums.
Das Problem mit dem Zufall als möglicher universeller Kraft ist dabei, dass
er als Prinzip experimentell weder beweisbar ist, noch sich widerlegen
lässt. Jedes Teilchen der physischen Welt müsste für die Klärung dieser
Frage auf den Seziertisch: ein eher aussichtsloses Unterfangen. So bleibt
die Existenz des universellen Zufalls eine Glaubensfrage, nicht zuletzt im
religiösen, aber auch im politischen Sinne.
## Zufall als allgemeinen Erfahrungswert
Ein deterministisches Universum ohne Zufall wäre schließlich eines, das
nicht willentlich verändert werden könnte. Freiheit wäre die Weltsicht der
Dummen. Wie gesagt, ob es wirklich so ist, lässt sich zwar nicht
zweifelsfrei, dafür von Gläubigen umso bestimmter beantworten, so wie die
Frage, ob Currywurst nun mit (falsch) oder ohne (richtig) Darm serviert
werden sollte.
Dennoch gibt es den Zufall als allgemeinen Erfahrungswert, als
unvorhersehbaren, zumeist äußerlichen Eingriff in einen ansonsten
planbaren, sich dann aber verändernden Lauf der Dinge. Dass sich der Zufall
dem menschlichen Einfluss und der Vorsehung entzieht, verleiht ihm
bisweilen die Aura des Übernatürlichen. Paradoxerweise wird der Zufall dann
gerne mit seinem Gegenteil verwechselt, dem Schicksal, das sich ja gerade
durch seine Vorherbestimmtheit auszeichnet.
Diese Vorherbestimmtheit und damit variationslose Reproduzierbarkeit ist in
unserer Wahrnehmung zunächst kein Merkmal der natürlichen Welt. Sie ist
jedoch wesentliches Charakteristikum von Computern. Diese haben als
vollkommen logisch operierende Maschinen einen zwar weit gefassten, aber
doch eindeutig abgegrenzten Horizont, innerhalb dessen jeder Prozess,
einmal angestoßen, mit dem immer gleichen Ablauf zwangsläufig zum immer
gleichen Ergebnis führt.
Diese Verlässlichkeit der Rechenoperationen ist eine sehr praktische
Eigenschaft der Computer, in Fragen der Datensicherheit jedoch wenig
hilfreich. Verschlüsselung zum Beispiel lebt davon, für Außenstehende
gerade nicht reproduzierbar zu sein. Deshalb sind zufällige, also weder
vorhersehbare, noch nachzustellende Zahlenfolgen ein wichtiger Bestandteil
moderner Kryptografie.
## Computer sind zu logisch
Erzeugt werden diese Zahlen zur Vermeidung der Nachvollziehbarkeit
üblicherweise durch eine von außen kommende, im Kontext des geschlossenen
Systems Computer gewissermaßen übernatürliche Intervention.
Wer schon einmal einen Schlüssel für die PGP-Verschlüsselung von E-Mails
erstellt hat, kennt die Aufforderung, die Berechnung des Schlüssels mit
willkürlichen Mausbewegungen oder anderen Aktionen am Rechner zu
unterstützen.
Die registrierten Bewegungen werden als Zahlen wiedergegeben, die,
„zufällig“ erzeugt, Teil der mathematischen Operation zur Erstellung der
Verschlüsselung werden. Am Ende steht ein Schlüssel, der schwieriger zu
knacken ist, weil er sich zumindest teilweise der absoluten und deshalb
auch durch Unbefugte berechenbaren Logik des Computers entzieht.
## Das Chaos nutzen
Eine ähnliche Funktion erfüllt die Lavalampenwand bei Cloudflare. Das
Unternehmen verwaltet einen erheblichen Teil des Datenverkehrs im Internet
und ist so für dessen Sicherheit zuständig. Zur Befestigung der eigenen
Verschlüsselung werden die Lampen mit den sich darin permanent verändernden
Formen gefilmt und diese Aufnahmen dann in Zahlen übersetzt. Die werden
schließlich bei der Erzeugung der Schlüssel verwendet. So einfach wird aus
einer Lavalampe der unberechenbare Gott der Server von Cloudflare.
Die Idee ist so neu nicht, schon 1998 wurde ein Generator von Zufallszahlen
auf Lavalampenbasis patentiert. Auch gibt es andere Methoden, die das
chaotische, also unvorhersehbare Auftreten bestimmter Umweltphänomene
nutzen, um den selben Zweck zu erfüllen. Die Beobachtung seismischer
Aktivität gehört dazu, wie auch des Ablaufs radioaktiven Zerfalls oder der
schier endlosen Folge von Posts in sozialen Medien. Jede Form
unkontrollierter Veränderung des Zustands einer Versuchsanordnung kann
helfen, zufällige Impulse zu geben.
Eine der größten Herausforderungen für die Kryptografie ist derweil die
Entwicklung von Quantencomputern. Deren zu erwartende Rechenleistung wäre
heutigen Systemen so weit überlegen, dass bisherige Verschlüsselungen wohl
keinen Schutz mehr bieten würden, der Zufall wäre erledigt, der Lavagott
getötet.
## Quantencomputer vs. Lavalampe
Jedoch sind die mythischen Superrechner bislang nicht über ein
experimentelles Stadium hinausgekommen. Bis Quantencomputer in Serie gehen
und als Generalschlüssel für alle digitale Kommunikation verwendet werden
können, wird also noch ein wenig Zeit vergehen. Und bis dahin darf die
Lavalampe ihren Altar bei Cloudflare sicherlich behalten.
Zur selben Zeit übrigens, da Edward Craven Walkers Lavalampen ihren
Siegeszug um die Welt antraten, begann der Maler Gerhard Richter, mit dem
Zufall zu experimentieren. Das erklärte Ziel dieser Schaffensphase Richters
war es, sein Werk zu entindividualisieren und ihm den Anschein
künstlerischer Komposition zu nehmen.
Er teilte dazu die Leinwand in eine Vielzahl kleiner, gleich großer
Quadrate, mischte Hunderte Farben an, nummerierte diese und loste sie dann
den einzelnen Feldern zu. Bilder wie „192 Farben“ (1966) oder „1024 Farbe…
(1974) erwecken tatsächlich den Eindruck völlig willkürlicher Zuordnung –
bei gleichzeitig geradezu mathematischer Formenstrenge.
Dass ausgerechnet diese Bilder nun so gar nicht entindividualisiert,
sondern sehr eindeutig dem Künstler Gerhard Richter zugeordnet sind und
Aufnahme in die prominentesten und teuersten Kunstsammlungen der Welt
gefunden haben, war wiederum ganz sicher kein Zufall, in der
Vorhersehbarkeit der Wertschöpfung im vorgeblich so anarchisch-chaotischen
Kunstbetrieb aber doch wenigstens eine kleine Ironie der Geschichte.
26 Oct 2019
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
## TAGS
Mathematik
Verschlüsselung
Technologie
Schwerpunkt Überwachung
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Schwerpunkt Meta
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