# taz.de -- Integrationsgipfel während der Pandemie: Corona verschärft Unglei… | |
> Am Montag tagte der 12. Integrationsgipfel. Fassbare Ergebnisse brachte | |
> er nicht. Kritiker beklagen zu wenig Einsatz der Bundesregierung gegen | |
> rechts. | |
Bild: Im Zeichen von Corona: der Integrationsgipfel | |
BERLIN taz | Die Zahlen sind eindeutig: Die Corona-Einschränkungen treffen | |
MigrantInnen besonders hart. So ist die Arbeitslosigkeit unter den | |
Zugewanderten stärker gestiegen als bei Deutschen. Ein Drittel jener, die | |
in Deutschland seit dem Lockdown im März ihre Arbeit verloren, hat eine | |
ausländische Staatsbürgerschaft. In Österreich sind es 41, in der Schweiz | |
46 Prozent. | |
Diese Zahlen hat die OECD ermittelt. Sie fand zudem heraus, dass die | |
Coronapandemie die Integration von MigrantInnen in den Arbeitsmarkt | |
erheblich erschwert. Ein Grund: Sie sind weit häufiger als Einheimische im | |
Gastgewerbe, in Restaurants und ähnlichen Jobs beschäftigt, die besonders | |
stark vom Lockdown betroffen waren. | |
Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, steht Eingewanderten hingegen | |
deutlich seltener zur Verfügung. Sie leben zudem öfter auf engem Raum und | |
jobben in Branchen mit hohem Ansteckungsrisiko, etwa der | |
[1][Fleischindustrie]. Beides sind Gründe, warum die Ansteckungsgefahr für | |
Zuwanderer größer ist für Einheimische. Corona, so das Resümee der Studie, | |
verschärft bestehende Ungleichheiten. Zu den 30 Mitgliedsländern der OECD | |
gehören neben den EU-Ländern unter anderem Australien, Japan, die Türkei | |
und die USA. | |
Zeitgleich zur Veröffentlichung der Studie am Montag fand der 12. | |
Integrationsgipfel statt, dessen zentrales Thema die Auswirkungen der | |
Coronapandemie auf MigrantInnen in Deutschland war. An den | |
Integrationsgipfeln nehmen 300 Akteure teil – aus der Bundesregierung, | |
migrantischen Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen. | |
Wer einen Job hat, verliert ihn leichter | |
Angela Merkel betonte vor der Presse, dass die Regierung „besonderen Wert“ | |
darauf legt, dass die Integration keinen Schaden nimmt. Man wolle mit den | |
Phasen zwei und drei des Nationalen Aktionsplans Integration Ankommen und | |
Eingliederung ermöglichen. Doch das Problem ist ein doppeltes: Wer einen | |
Job hat, verliert ihn leichter. Und MigrantInnen haben es schwerer | |
anzukommen, etwa weil Sprachkurse im Frühsommer komplett ausfielen. | |
Das Bild, das Integrationsstaatsministerin Annette Widmann-Mauz zeichnete, | |
ähnelt dem OECD-Befund: „Die Coronapandemie trifft gerade Menschen mit | |
Einwanderungsgeschichte und Geflüchtete hart. Sie arbeiten oft in Branchen, | |
die besonders mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu kämpfen | |
haben.“ Widmann-Mauz will im Rahmen des Nationalen Aktionsplans „eine | |
Digitaloffensive“ in Gang setzen. Sie nannte zwei Schwerpunkte: Es gehe | |
darum „mit digitalen Integrationskursen, Sprachförderung und gezielter | |
Beratung in sozialen Netzwerken vor allem Frauen beim Berufseinstieg und | |
der Arbeitsmarktintegration zu unterstützen“. | |
Dabei soll kommunales Integrationsmanagement helfen. Man dürfe „trotz | |
Corona bei der Integration keine Zeit verlieren“. Widmann-Mauz erwähnte, | |
allerdings ohne konkret zu werden, die Notwendigkeit, dass berufliche | |
Qualifikationen von MigrantInnen schneller anerkannt werden sollen. | |
Insgesamt hat der Gipfel Absichtserklärungen, aber keine fassbaren | |
Ergebnisse gebracht. | |
Und es gibt auch Kritik. Die grüne Bundestagsabgeordnete Filiz Polat hält | |
es zwar für richtig, dass „die Bundesregierung den Bedarf nach digitalen | |
Integrationsangeboten in Pandemiezeiten“ sieht. Gleichzeitig aber kürze das | |
Innenministerium „Mittel bei Integrationskursen und wichtigen Projekten zur | |
Integration vor Ort“. | |
Gipfel nicht mehr als hübsche Hochglanzveranstaltung | |
Dass ausgerechnet Innenminister Horst Seehofer (CSU) bei dem Gipfel nicht | |
erschien, stieß auf Kritik. Aziz Bozkurt, Chef der AG Migration und | |
Vielfalt in der SPD, hält Seehofers Abwesenheit für einen Ausdruck von | |
„fehlendem Interesse“. Außerdem sei die Schwerpunktsetzung der | |
Bundesregierung verfehlt. „Wir haben erlebt, wie mit der ersten Coronawelle | |
Flüchtlingsunterkünfte und insbesondere die Ankerzentren zu Coronahotspots | |
wurden und sogar Menschenleben kosteten“, so Bozkurt zur taz. | |
Es sei „schön und gut, dass die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung | |
Widmann-Mauz den Blick auf Schwächen bei der Digitalisierung der | |
Integrationskurse legt“, viel wichtiger aber sei es, die Ankerzentren | |
aufzulösen, an denen die Union indes unbedingt festhalten wolle. „Selbst zu | |
Coronazeiten kommt der Integrationsgipfel aus der Kategorie hübsche | |
Hochglanzveranstaltung nicht hinaus“, resümierte Bozkurt. | |
Der zweite Kritikpunkt: Das Thema Rechtsextremismus, das beim letzten | |
Gipfel noch ein Schwerpunkt war, spielte keine Rolle. „Es wäre ein gutes | |
Zeichen für unsere Einwanderungsgesellschaft gewesen, hätte die | |
Bundesregierung heute einen Ausblick über [2][Vorhaben beim Kampf gegen | |
rechts] präsentieren können.“ Der Union fehle da der Wille, so Bozkurt. | |
Ferda Ataman, Mitbegründerin des Vereins Neue Deutsche Medienmacher, hält | |
es zwar für gut, dass sich die Bundeskanzlerin „während der Pandemie Zeit | |
für den Dialog nimmt“. Der Gipfel zeige aber, dass die Regierung „immer | |
noch ein Integrationsverständnis aus den 90er Jahren pflegt und Ausländern | |
Deutsch beibringen will“. Der Kampf gegen Rassismus komme zu kurz. | |
19 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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