| # taz.de -- Doku über gewaltiges Ökoprojekt: Ein grüner Schutz vor der Wüs… | |
| > Die malische Sängerin Inna Modja führt in einer mitreißenden Doku durch | |
| > die Sahelzone. Dort entsteht das größte Öko-Projekt der Welt. | |
| Bild: Die Mauer aus Bäumen ist auch eine Metapher für die Zusammenarbeit der … | |
| Schon klar, Afrika ist kein Land, sondern ein Kontinent. Doch die | |
| Zärtlichkeit, mit der die Musikerin Inna Modja „my continent“ sagt, macht | |
| deutlich, dass dieser Erdteil für seine BewohnerInnen ein kulturelles | |
| Identifikationspotenzial besitzt, das über dasjenige anderer Kontinente | |
| weit hinausgeht. | |
| Inna Modja, die [1][aus Mali stammt], in Frankreich Literatur studiert hat | |
| und eine Modelkarriere begann, bevor sie als Sängerin bekannt wurde, ist im | |
| Film von Jared P. Scott (der im Übrigen von „City of God“-Regisseur | |
| Fernando Meirelles produziert wurde) unterwegs durch die Länder entlang der | |
| Sahelzone südlich der Sahara. | |
| Die Sahel, eine der großen Problemzonen der Welt, ist durch den Klimawandel | |
| mehr denn je von fortschreitender Wüstifizierung bedroht. Trotz der | |
| harschen Bedingungen leben hier (noch) viele Menschen. Damit das so bleibt, | |
| hat die Afrikanische Union im Jahr 2007 ein gigantisches ökologisches | |
| Projekt ins Leben gerufen: „The Great Green Wall“. | |
| Wie eine große grüne Mauer sollen Abermillionen Bäume in hoffentlich nicht | |
| allzu ferner Zukunft über eine Strecke von 8.000 Kilometer einen grünen | |
| Gürtel über die Sahel bilden, dadurch die Bedingungen für Landwirtschaft | |
| und Wasserhaushalt verbessern und den Menschen eine nachhaltige | |
| Lebensgrundlage verschaffen. | |
| Bis zum heutigen Tag sind allerdings erst 15 Prozent dieser „Mauer“ | |
| realisiert worden, die keine zusammenhängende Linie bilde, sondern eher ein | |
| Mosaik sei, wie ein Gesprächspartner im Film erklärt: „Die Mauer ist eine | |
| Metapher.“ Eine Metapher auch für den Zusammenhalt der Menschen in der | |
| Region, in der Inna Modja ein Land nach dem anderen bereist. Begleitet von | |
| der Kamera, trifft sie in jedem Land eine andere Musiker*in, um einen | |
| gemeinsamen Song für ein Album aufzunehmen. | |
| ## Es wird gearbeitet, geredet und konzertiert | |
| Dann wird zusammen gearbeitet, gejammt, geredet und konzertiert. Inna sei | |
| „wie die Königin von Saba auf ihrer Pilgerreise“, scherzt der | |
| senegalesische Musiker Didier Awadi, über den Inna Modja erklärt, er sei | |
| der Pionier des westafrikanischen HipHop. Gemeinsam geben sie ein Konzert | |
| auf einer Behelfsbühne, die auf irgendeinem staubigen Dorfplatz aufgebaut | |
| wurde. | |
| Awadi ist der erste Kollege, den sie trifft, später gefolgt von der Gruppe | |
| Songhoy Blues aus Mali, dem nigerianischen Popstar Waje und der | |
| äthiopischen Sängerin Betty G. | |
| „The Great Green Wall“ ist ein mitreißender, dabei auch etwas eigener | |
| Hybrid von einem Film. Ästhetik und Aktivismus gehen darin eine innige | |
| Liaison ein. Nur zum Teil handelt der Film von der „großen grünen Wand“, | |
| auch wenn Inna Modja regelmäßig vor Bäumen steht und mit | |
| Landschaftsaktivisten spricht. Auch nur zu einem Teil von Musik, obwohl er | |
| von Musik durchzogen ist wie von einem lebendigen Strom – denn auch die | |
| Musik ist gewissermaßen eine Metapher und ein Bindeglied, ähnlich wie die | |
| Bäume. | |
| ## Ihr könntet meine Brüder sein | |
| Das eigentliche Thema aber sind die Menschen, die in der Nähe dieser Bäume | |
| leben. Oft sind es ungemein intensive Begegnungen, die Inna Modja vor | |
| laufender Kamera hat. Sie besucht eine Mädchenschule in Nordnigeria, in der | |
| Waisen betreut werden, die ihre Eltern bei Überfällen von | |
| [2][Boko-Haram-Terroristen] verloren haben, und ist sichtlich bewegt, als | |
| die Mädchen überraschend ein Lied singen, das sie selbst einmal geschrieben | |
| hat. | |
| Ein anderes Mal spricht sie mit jungen Männern, die versucht hatten, nach | |
| Europa zu kommen, und nach jahrelanger Odyssee und furchtbaren Erlebnissen | |
| in Libyen im Niemandsland gestrandet sind. „Ihr könntet meine Brüder sein�… | |
| sagt sie, nachdem sie ihre Geschichten angehört hat, und die Kamera | |
| schwenkt mit, als sie sich abwenden muss, um ihre Tränen zu verbergen. | |
| Dass solche Szenen bei aller Emotionalität nicht rührselig geraten, ist der | |
| sorgfältigen Dramaturgie des Films zu verdanken. Eine große Liebe zum | |
| ästhetischen Detail, zum perfekten Bild und nicht zuletzt zum absolut | |
| perfekten Ton bewirkt bei allem Realismus gleichzeitig eine Art | |
| symbolischer Überhöhung alles Gezeigten. Die Boko-Haram-Waisen, die an der | |
| Auswanderung gescheiterten Männer werden so zu Ikonen ihres Schicksals – | |
| und des Schicksals aller anderen, die Ähnliches erleiden. | |
| ## Im Durchschnitt sieben Kinder pro Frau | |
| Auch Inna Modja selbst spricht zwischendurch direkt in die Kamera und | |
| erzählt von der traumatischen Erfahrung [3][ihrer Genitalverstümmelung]. | |
| (Als Aktivistin kämpft sie seit Jahren gegen diese Praxis.) | |
| In Niger besucht die Sängerin eine Geburtsstation und spricht mit deren | |
| Leiterin. Das bitterarme Land hat die höchste Geburtenrate der Welt: im | |
| Durchschnitt sieben Kinder pro Frau. Dann beginnen während des Interviews | |
| bei einer Frau die Wehen. Die Kamera filmt ihr schmerzverzerrtes Gesicht – | |
| und später ihr Glück, als das Baby in ihren Armen liegt. | |
| „Es ist jedes Mal wieder ein Wunder“, sagt die Hebamme, und Inna Modja | |
| bekennt, dass auch sie selbst aus einer Familie mit sieben Kindern komme. | |
| Aber wie, so fragt sie im anschließenden Off-Text, sollen die künftigen | |
| Generationen in der Sahel überleben können? | |
| ## Die Drastik der Klimakrise | |
| Es ist wohl genau diese Frage, die den Film antreibt. Es gibt darin keine | |
| fertigen Antworten – und auch eher wenige harte Fakten. Dass bisher, in 13 | |
| Jahren, erst 15 Prozent der geplanten „grünen Mauer“ realisiert wurden – | |
| was heißt das? Ist es viel oder wenig? Geht es voran oder nicht? Eine | |
| realistische Einschätzung der Machbarkeit und Wirksamkeit des | |
| Gesamtprojekts bleibt aus. | |
| Die ganze Drastik der Klimakrise kommt allerdings sehr erschreckend zum | |
| Ausdruck in der Veränderung [4][des Tschad-Sees,] von dessen Wasser 30 | |
| Millionen Menschen abhängig sind: In den letzten 50 Jahren habe er 90 | |
| Prozent an Fläche verloren, erfahren wir. | |
| ## Radikaler Kurswechsel | |
| Um dennoch in hoffnungsvoller Tonlage enden zu können, führt der Film zum | |
| Schluss nach Äthiopien, das 1984 mindestens eine halbe Million Menschen an | |
| eine furchtbare Hungersnot verlor. Nach der Katastrophe hat man hier einen | |
| radikalen ökologischen Kurswechsel vollzogen. Alles Grün, das sie hier | |
| sehe, hätten sie, die Menschen in der Gegend, im Laufe der letzten 30 Jahre | |
| selbst angepflanzt, erklärt ein Dorfverantwortlicher seiner Besucherin. | |
| Dazu macht er eine allumfassende Handbewegung über das gesamte vor ihnen | |
| liegende Tal, in dem sich eine abwechslungsreiche, idyllische Landschaft | |
| ausbreitet. In einer schattigen Senke ist ein großes Wasserreservoir | |
| angelegt worden. Zwischen Bäumen und Büschen liegen grüne Äcker. Es ist | |
| wirklich wunderschön. | |
| 24 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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