# taz.de -- Staatsanwaltschaft über Polizeikolumne: Zulässige Systemkritik | |
> Die Berliner Staatsanwaltschaft wird wegen der Kolumne „All cops are | |
> berufsunfähig“ nicht gegen die taz-Autor:in Hengameh Yaghoobifarah | |
> vorgehen. | |
Bild: „Das Verfahren ist mithin einzustellen“, beendet die Staatsanwaltscha… | |
BERLIN taz | Die polizeikritische Kolumne [1][„All cops are berufsunfähig“ | |
von Hengameh Yaghoobifarah] liefert „keine zureichenden tatsächlichen | |
Anhaltspunkte“ für die Aufnahme von Ermittlungen. Dies schreibt die | |
Berliner Staatsanwaltschaft in ihrer Begründung dafür, dass sie nicht gegen | |
die Autor:in vorgehen wird. Dass die Behörde die Kolumne von Mitte Juni | |
durch die Meinungsfreiheit gedeckt sieht, war der taz schon seit zwei | |
Wochen bekannt; nun liegt uns auch die ausführliche Argumentation mit Datum | |
vom 11. September vor. | |
Zwar sei es nachvollziehbar, dass viele den Text „als Angriff und | |
Herabsetzung“ von PolizistInnen verstanden hätten, schreibt die | |
Staatsanwaltschaft – strafrechtlich relevant sei er deshalb jedoch nicht. | |
Geprüft wurde demnach zunächst ein möglicher Verstoß wegen Volksverhetzung. | |
„Jedoch wird in dem Text weder zum Hass aufgestachelt noch zu | |
Willkürmaßnahmen aufgefordert“, argumentiert die Behörde. Es fehle der | |
„Appellcharakter“. Yaghoobifarah habe lediglich „eine abschätzige Bewert… | |
der deutschen Polizei bzw. des Berufsbilds des Polizeibeamten“ vorgenommen. | |
In ihrer Kolumne hatte die Autor:in darüber nachgedacht, was mit | |
PolizistInnen zu geschehen hätte, wenn die Polizei abgeschafft würde. Im | |
Ergebnis kam Yaghoobifarah darauf, dass die BeamtInnen nur auf einer | |
Müllkippe gut aufgehoben seien, „wo sie wirklich nur von Abfall umgeben | |
sind“ und keinen Schaden anrichten könnten. Die Autor:in ergänzte: „Unter | |
ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“ | |
Darin konnte die Berliner Staatsanwaltschaft „auch kein Beschimpfen, | |
böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden“ erkennen. Dafür hätten die | |
Betroffenen massiver in ihren Lebensrechten und ihrer Menschenwürde | |
angegriffen werden müssen. „Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die | |
Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Polizei im | |
Vordergrund steht, hat eine solche Äußerung als Schmähung regelmäßig hinter | |
dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurück(zu)stehen.“ | |
## Systemkritik statt Beleidigung | |
Außerdem, so die Argumentation, müsse man die Umstände würdigen: [2][die | |
Black-Lives-Matter-Bewegung] und die Reihe von Veröffentlichungen über | |
[3][Gewalt und Rassismus in der Polizei]. Vor diesem Hintergrund begebe | |
sich die Autor:in „in ein Gedankenkonstrukt bzw. -experiment“, das „einige | |
satiretypische Stilmittel enthält“, etwa Übertreibungen und Verzerrungen. | |
So werde zum Beispiel „eine überspitzte Verbindung zwischen sozialer Arbeit | |
und dem Tragen von Schuhe(n) der Firma Birkenstock und Leinenhose gezogen“, | |
erläutert die Staatsanwaltschaft. | |
Der Wortlaut selbst, etwa was der Begriff „ihresgleichen“ genau meine, sei | |
„jedenfalls verschiedenen Deutungen zugänglich“, ergänzt sie. | |
Auch einen Verstoß wegen Beleidigung konnten die Ermittler nicht | |
feststellen. Sie halten sich dabei vor allem an das Urteil des | |
Bundesverfassungsgerichts von 1995 zum Fall „Soldaten sind Mörder“. Aus | |
diesem Urteil zitiert die Berliner Behörde: „… je größer das Kollektiv i… | |
auf das sich eine herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch | |
die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden“. Eine | |
Äußerung ist demnach umso weniger strafrechtlich als Beleidigung zu werten, | |
je weniger sie individuell zurechenbar ist. In Yaghoobifarahs Kolumne sei | |
nun „eine hinreichende Individualisierung nicht ersichtlich“. Es handle | |
sich um eine „Systemkritik“. | |
Aus all diesen Gründen sei auch ein strafrechtliches Verhalten der | |
taz-Chefredakteurin Barbara Junge oder anderer Beteiligter oder | |
Verantwortlicher in der taz nicht ersichtlich. „Das Verfahren ist mithin | |
einzustellen“, beendet die Staatsanwaltschaft ihr Schreiben. | |
25 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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