| # taz.de -- Spektakulärer Syrien-Prozess in Koblenz: Das Rätsel um Anwar R. | |
| > Als Geheimdienstler in Syrien hat er mutmaßlich gefoltert. Wegen | |
| > Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird Anwar R. in Deutschland der | |
| > Prozess gemacht. | |
| Bild: Anders als sein Mitangeklagter verdeckt Anwar R. (links) sein Gesicht nic… | |
| Ein Mittwochnachmittag Ende August. Draußen vor dem Koblenzer | |
| Oberlandesgericht weht ein stürmischer Wind die letzten heißen Sommertage | |
| davon, als der Zeuge Riad Seif aussagt. Seif, einer der bekanntesten | |
| Oppositionellen Syriens, wird über der Richterbank groß an die Wand | |
| projiziert. Weil der 73-Jährige schwer an Krebs erkrankt ist, wird er per | |
| Video aus Berlin zugeschaltet, wo er im Exil lebt. | |
| Während Seif aussagt, sitzt Anwar R. wie alle Prozessbeteiligten hinter | |
| Plexiglas an seinem Platz auf der rechten Seite des Saals und macht sich | |
| Notizen. Manchmal reicht er einen Zettel an seinen Dolmetscher weiter, der | |
| neben ihm sitzt. Der soll ihn für den Verteidiger übersetzen, wohl damit | |
| dieser die richtigen Fragen stellt. | |
| Mit Fragenstellen kennt Anwar R. sich aus. 17 Jahre lang hat er beim | |
| syrischen Geheimdienst gearbeitet, viele davon als Ermittlungsleiter. | |
| Deshalb steht er vor Gericht, hier im Saal 128. Die Bundesanwaltschaft hat | |
| ihn wegen [1][Verbrechen gegen die Menschlichkeit] angeklagt. | |
| Anwar R., 57, hohe Stirn, Brille, Schnauzer, erschien zuletzt stets mit | |
| einem dunklen Sweatshirt vor Gericht. Wenn Kameras zu Beginn der | |
| Prozesstage im Saal erlaubt sind, verdeckt er – anders als sein | |
| Mitangeklagter – sein Gesicht nicht. Anwar R. will sich nicht verstecken. | |
| R. hat, so trägt es Oberstaatsanwalt Jasper Klinge beim Prozessauftakt Ende | |
| April vor, beim syrischen Allgemeinen Geheimdienst gearbeitet und in der | |
| Abteilung 251 die Unterabteilung „Ermittlungen“ geleitet. Dazu gehört | |
| „al-Khatib“, ein berüchtigtes Gefängnis im Zentrum von Damaskus. Dort | |
| sollen allein zwischen April 2011 bis September 2012 systematisch Tausende | |
| Menschen gefoltert worden sein, manche sind an den Folgen gestorben. Darum | |
| geht es im Prozess. R. soll dafür verantwortlich sein. | |
| R. habe, sagt Klinge, die Vernehmungsbeamten und Wärter zum Dienst | |
| eingeteilt und deren Arbeit überwacht und bestimmt – inklusive Folterungen. | |
| Deshalb klagt die Bundesanwaltschaft R. wegen 58-fachen Mordes und Folter | |
| in mindestens 4.000 Fällen, wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung an. | |
| Selbst gefoltert zu haben, wirft man ihm nicht vor. Er soll als | |
| Verantwortlicher Mittäter sein. | |
| Anwar R. ist der Hauptbeschuldigte in diesem weltweit bislang einzigartigen | |
| Prozess. Erstmals müssen sich zwei mutmaßliche syrische Folterknechte vor | |
| Gericht verantworten. Dass Mitarbeiter des [2][Regimes von Baschar | |
| al-Assad] vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden, haben | |
| Russland und China durch ein Veto im UN-Sicherheitsrat verhindert. Deshalb | |
| bleibt nur die nationale Justiz, Deutschland ist dabei Vorreiter. Nach dem | |
| Weltrechtsprinzip im deutschen Völkerstrafgesetzbuch kann die Justiz | |
| Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann verfolgen, wenn weder Täter | |
| noch Opfer Deutsche sind. Der Prozess soll den Opfern Gerechtigkeit | |
| bringen. Und Assad zeigen: Taten werden geahndet. | |
| Konzentriert hört Anwar R. an diesem Augustnachmittag der Aussage von Riad | |
| Seif zu. Seif ist nicht irgendein Zeuge. Lange bevor in seinem Heimatland | |
| im März 2011 die Proteste begannen, hat Seif, damals einer der | |
| erfolgreichsten Unternehmer des Landes, die Regierung kritisiert, | |
| Korruption bekämpft, Bürgerrechte eingefordert und versucht, die Menschen | |
| im „Forum nationaler Dialog“ zu organisieren. Bis dieses verboten wurde. | |
| 1994 zog er erstmals in das syrische Parlament ein, dreimal saß er im | |
| Gefängnis. Als die Demonstrationen begannen, lief er mit. Seit er 2012 aus | |
| Syrien geflohen war, war Seif eine der zentralen Figuren der Exilcommunity. | |
| Jetzt sitzt [3][Riad Seif], weißes Hemd, dunkles Jackett, in seinem | |
| Rollstuhl in einem Raum im Berliner Landgericht, von wo er nach Koblenz | |
| zugeschaltet wird. Links am Tisch von ihm eine Übersetzerin, rechts ein | |
| Anwalt. Seif spricht Arabisch, die Dolmetscherin übersetzt, was nicht immer | |
| ganz glatt abläuft. | |
| Das Gericht hat Seif als Zeugen geladen. Aber auch Anwar R. wollte das. | |
| Denn Seif hat dem Geheimdienstmann geholfen. Der Oppositionelle mit guten | |
| internationalen Beziehungen hat R. dem Auswärtigen Amt empfohlen. Und so | |
| dafür gesorgt, dass dieser im Juli 2014 mit einem Aufnahmeprogramm für | |
| besonders schutzbedürftige syrische Flüchtlinge nach Deutschland kam. | |
| Anwar R, der Mann, den die Bundesanwaltschaft angeklagt hat, flog mit Hilfe | |
| der Bundesregierung von Amman direkt nach Berlin-Tegel. Und lebte mit | |
| seiner Familie als anerkannter Flüchtling in einer ruhigen Neubausiedlung | |
| im Nordosten Berlins. Bis er im Februar vergangenen Jahres festgenommen | |
| wurde. | |
| Anwar R.s Geschichte ist vielschichtig. Da ist der Mann, der dem syrischen | |
| Regime treu gedient hat. Der befördert wurde, bis er Oberst war. Der als | |
| Sunnit den alawitischen Machthabern seine Loyalität wohl besonders unter | |
| Beweis stellen musste. Da ist aber auch der prominente Deserteur, der sich | |
| Ende 2012 aus Syrien absetzte und 2014 mit der Delegation der syrischen | |
| Opposition an den Friedensverhandlungen Genf II teilnahm. Da ist der | |
| Geflüchtete, der in Berlin zur Polizei ging, weil er sich vom syrischen | |
| Geheimdienst verfolgt fühlte – und damit die Ermittlungen gegen sich | |
| auslöste. Und da ist der Angeklagte, der kein Wort spricht, aber eine | |
| Erklärung verlesen lässt, in der er leugnet, dass es unter seiner Leitung | |
| überhaupt Folter gegeben hat. | |
| Der Oppositionelle Seif, das wird vor Gericht schnell klar, will R. nicht | |
| verteidigen. Der alte Mann will von seinen Erfahrungen berichten. Und | |
| obwohl diese weitgehend in eine Zeit fallen, die für den Prozess | |
| nebensächlich ist, unterbrechen die RichterInnen ihn kaum. Groß scheint der | |
| Respekt vor der Lebensleistung dieses Mannes zu sein, der krank im | |
| Rollstuhl sitzt und dem bei der Frage, wann er Syrien verlassen hat, die | |
| Tränen kommen. | |
| „Woher kennen sie Anwar R.?“, fragt der Richter jetzt. Seif antwortet, er | |
| habe ihn persönlich gar nicht gekannt, bis R. ihn in Berlin besucht habe. | |
| Auch habe er nicht viel über Anwar R.s Arbeit gewusst. Ein Freund seines | |
| Schwiegersohns habe darum gebeten, dass er sich für einen desertierten | |
| Oberst des Geheimdienstes einsetze, der nach Jordanien geflohen sei und vom | |
| syrischen Regime mit dem Tod bedroht werde. Ein weiterer Grund: „Wir | |
| wollten die Unterstützung der Abtrünnigen und Informationen über das | |
| System.“ Von dem hochrangigen Überläufer habe man sich viel erhofft. „Aber | |
| da kam nichts, kein Wort.“ Und je länger Seif aussagt, desto mehr Zweifel | |
| klingen durch, ob Anwar R. nach seiner Desertion wirklich gemeinsame Sache | |
| mit der Opposition gemacht hat. | |
| Warum rückt ein Deserteur keine Informationen aus dem System raus, die für | |
| die Opposition so wertvoll wären? Warum desertiert jemand, nachdem er | |
| jahrzehntelang dem Regime treu gedient hat? Kann einer, der überzeugt zur | |
| Opposition übergelaufen ist, die systematische Folter in syrischen | |
| Gefängnissen wirklich leugnen? | |
| Wer versucht, sich dem Hauptangeklagten anzunähern, dem kommen solche | |
| Fragen. Für die Schuldfrage sind sie nebensächlich. Aber R.s Verhalten nach | |
| der Tat könnte sich auf die Höhe der Strafe auswirken. Ihm droht | |
| lebenslange Haft. | |
| Die Beweislage gilt als dicht: Es gibt viele Zeugen und zahlreiche | |
| Dokumente, außerdem die sogenannten Caesar-Files, Tausende Fotos, die ein | |
| ehemaliger syrischer Militärfotograf von getöteten Gefangenen gemacht und | |
| aus Syrien herausgeschleust hat. Bislang ist der Prozess bis zum 20. Mai | |
| 2021 terminiert. | |
| Der Freund seines Schwiegersohns, sagt Seif, habe auch berichtet, dass | |
| Anwar R. aus al-Haula stammt, wo regierungstreue Milizen im Mai 2012 ein | |
| Massaker an der Zivilbevölkerung anrichteten, bei dem mehr als hundert | |
| Menschen getötet wurden. Danach soll die Familie Druck ausgeübt haben: R. | |
| könne nicht länger für das Regime arbeiten. Seif erwähnt dies mehrfach, so | |
| als müsse er seine Unterstützung für R. rechtfertigen. | |
| Teile der syrischen Exilcommunity haben Seif für die Hilfe, die er Anwar R. | |
| zukommen ließ, scharf kritisiert. Ein Seitenwechsel löscht eben die | |
| begangenen Verbrechen nicht. | |
| Er sei mit dem Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni befreundet, sagt Seif | |
| vor Gericht. Al-Bunni, auch als Zeuge geladen, trägt in Berlin Beweise | |
| gegen Regimemitarbeiter wie Anwar R. zusammen. Aber in dieser Frage, so | |
| Seif, seien sie unterschiedlicher Meinung. Seif wollte Abtrünnige auf die | |
| Seite der Opposition ziehen. Das Denken damals: je hochrangiger der | |
| Überläufer, desto größer die Chance, dass das System kollabiert. | |
| Auch versprach Seif sich wichtige Informationen von Anwar R. Al-Bunni | |
| dagegen zweifelt an, ob R. überhaupt die Seite gewechselt hat – und ob man | |
| mit Leuten wie ihm gemeinsame Sache machen sollte. Wahr aber ist auch: | |
| Anwar R. steht hier vermutlich nur vor Gericht, weil er desertierte und | |
| nach Deutschland kam. Deshalb konnte die Polizei, die anderer hochrangiger | |
| Mitarbeiter des Assad-Regimes nicht habhaft wird, ihn ganz einfach an | |
| seiner Meldeadresse verhaften. | |
| Anwar R. ist am 3. Februar 1963 in al-Haula in der Nähe von Homs im Westen | |
| Syriens geboren und studierte in Damaskus Rechtswissenschaften. Noch | |
| während des Studiums ging er auf die Polizeiakademie und wurde Ausbilder. | |
| Als einer von drei Jahrgangsbesten landete R. 1995 mit 32 Jahren beim | |
| Allgemeinen Geheimdienst, wo er zunächst in Damaskus für Patrouillen | |
| zuständig war. | |
| Es folgte Beförderung auf Beförderung. R. wurde Ermittlungsleiter, erst in | |
| Abteilung 285, dann in Abteilung 251, die für die Sicherheit in Damaskus | |
| und Umgebung zuständig ist. Dort unterstanden ihm, so heißt es in der | |
| Anklage, 30 bis 40 Mitarbeiter, darunter Vernehmungsbeamte und | |
| Gefängniswärter von al-Khatib. R. bezog ein Büro im ersten Stock, die | |
| Zellen sind im Keller. | |
| Anfang 2011 wird Anwar R. erneut befördert, er ist jetzt Oberst. Drei | |
| Monate später gehen die Menschen in Syrien gegen das Regime von Baschar | |
| al-Assad auf die Straße. Das versucht die Proteste mit Gewalt | |
| niederzuschlagen. Geheimdienste und Militär gehen immer brutaler gegen | |
| Oppositionelle vor. Die Gefängnisse sind überfüllt. In al-Khatib, das | |
| berichten Zeugen und Experten gleichermaßen, wird schon jahrzehntelang | |
| gefoltert. Doch nach Beginn der Proteste hätten Brutalität und Willkür eine | |
| neue Dimension erreicht. Es habe quasi kein Verhör mehr ohne Folter | |
| gegeben, so die Anklage. Zum Verhör werden die Gefangenen, so haben sie es | |
| ausgesagt, stets mit Augenbinde gebracht, die Hände auf dem Rücken | |
| gefesselt. Neben dem Vernehmer ist meist ein Wärter dabei. Anders gesagt: | |
| ein Folterknecht. | |
| Es drohen Tritte und Schläge. Mit Schläuchen, Metallrohren und Kabeln, | |
| deren Ende offen sind, damit sich das Metall im Fleisch der Opfer verfängt. | |
| Es drohen Elektroschocks, Verbrennungen, abgebundene Penisse, Übergüsse mit | |
| Wasser. Es droht eine Methode namens „Dulab“, bei dem der Häftling in einen | |
| Autoreifen gezwängt und mit Schlägen und Tritten malträtiert wird. Und | |
| „Falaka“, bei der das Opfer immer wieder auf die besonders empfindlichen | |
| Fußsohlen geschlagen wird. Oder der „deutsche Stuhl“, der so heißt, weil | |
| angeblich Altnazis diese Foltermethode dem Regime beibrachten. Dessen Lehne | |
| kann so weit nach hinten gebogen werden, dass der Rücken des Häftlings | |
| überstreckt – und vielleicht die Wirbelsäule bricht. Das meiste davon seien | |
| wohl Standardmethoden gewesen, sagt vor Gericht ein BKA-Beamter, der viele | |
| Folteropfer aus al-Khatib befragt hat. | |
| 24 Fälle führt die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage auf. Ferras Fayyad | |
| ist einer von ihnen. Schon bei der Ankunft in al-Khatib sei er geschlagen | |
| worden und habe Schreie anderer Inhaftierter gehört, sagt der Regisseur | |
| Anfang Juni in Saal 128. „Das waren Schreie, die waren nicht normal.“ Er | |
| berichtet von Tritten und Schlägen, davon, wie er an den Händen an der | |
| Decke aufgehängt wurde, so dass nur die Zehenspitzen den Fußboden | |
| berührten, und dass jemand versuchte, einen Stock in seinen After | |
| einzuführen. „Haben Sie den Stock in sich gefühlt?“, fragt die Richterin, | |
| es geht um den Vorwurf der Vergewaltigung. „Einmal, mit einem Stoß.“ Ob er | |
| zwei oder drei Monate in al-Khatib gefangen war, weiß er nicht mehr. In den | |
| überfüllten Zellen ohne Tageslicht habe er das Zeitgefühl verloren. | |
| Inzwischen haben auch andere Überlebende vor Gericht ausgesagt. Was sie | |
| berichten, ist schmerzhaft – auch deshalb, weil sie beschreiben, was in | |
| Syrien weiterhin passiert. Mindestens 90.000 Regimegegner sind laut | |
| Menschenrechtsorganisationen noch immer in Haft, werden gefoltert und | |
| nicht gehört. | |
| Inzwischen läuft der Prozess seit fünf Monaten, Anwar R. schweigt. Auch | |
| eine Stimmprobe verweigert er, wohl aus Angst, dass einer der Zeugen ihn so | |
| erkennt. Am fünften Prozesstag aber, einem Montag Mitte Mai, verlesen seine | |
| Anwälte fast zwei Stunden lang eine Einlassung. Anwar R. streitet alle | |
| Vorwürfe ab. | |
| „Ich habe niemanden geschlagen, noch gefoltert, ich habe auch niemals einen | |
| Befehl dazu erteilt“, liest sein Verteidiger vor. Systematische Folter | |
| leugnet R., die Vernehmungen seien „gewaltlos und respektvoll“ abgelaufen. | |
| Misshandlungen habe es zwar gegeben – in anderen Abteilungen. | |
| Bis März 2011, als die Proteste begannen, hat Anwar R. sich nach eigener | |
| Darstellung weitgehend mit dem Regime identifiziert. Mit den | |
| Demonstrationen aber habe sich alles geändert. „Das Chaos brach aus“, | |
| liest der Anwalt vor. Glaubt man R., scheint es nicht zu seiner Berufsehre | |
| gepasst zu haben, dass plötzlich jeder Demonstrant im Gefängnis landen | |
| konnte. Schon seit April 2011 sei er entschlossen gewesen zu desertieren, | |
| im Juni 2011 habe ihm sein Vorgesetzter seine Kompetenzen entzogen, weil er | |
| Inhaftierten geholfen habe. Im September 2012 sei er in eine andere | |
| Abteilung versetzt worden. Kurz vor Weihnachten dann habe er mit seiner | |
| Familie Syrien verlassen. | |
| Er habe, so R., bereits in Syrien Kontakt zur Opposition aufgenommen, die | |
| ihm bei der Flucht nach Jordanien geholfen habe. Anfang 2014 habe er dann | |
| als Teil der Delegation der syrischen Opposition an den Friedensgesprächen | |
| Genf II teilgenommen. In welcher Funktion genau, sagt er nicht. Eine | |
| Mitarbeiterin des Auswärtigen Amts hat seine Teilnahme vor Gericht | |
| bestätigt. Und R. „im Grundsatz“ eine „aktive Rolle“ in der Opposition | |
| bescheinigt. Laut Riad Seif aber stand R. nur mit dem Leiter der Delegation | |
| in Verbindung. Es könne sein, dass er als bezahlter Wachmann eingestellt | |
| war. | |
| Während der Verteidiger die Einlassung auf Deutsch verliest, hört R. über | |
| seinen Kopfhörer die arabische Übersetzung. Man merkt ihm keine Regung an. | |
| Am Abend nach der Verhandlung lädt Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni bei | |
| Facebook einen Beitrag hoch. Anwar R., schreibt er, habe seinen | |
| Arbeitsplatz geändert, nicht aber seine Arbeit selbst. Das soll wohl | |
| heißen: Anwar R. könnte weiterhin für den syrischen Geheimdienst arbeiten. | |
| Es ist eine der Thesen, die über Anwar R.s Desertion kursieren. Auch | |
| Überzeugung und Druck aus der Familie werden genannt. Und dass der Mann, | |
| wie viele in der Zeit um 2012, wohl mit dem Sturz des Assad-Regimes | |
| gerechnet habe – und am Ende vielleicht schlicht auf der richtigen Seite | |
| stehen wollte. | |
| Es ist ein Donnerstag Anfang Juni, als al-Bunni, 61, dunkles Haar, voller | |
| Bart, fliederfarbenes, offenes Hemd unter leicht knittrigem Anzug, aussagt. | |
| Al-Bunni hat in Syrien als Menschenrechtsanwalt gearbeitet. Nachdem er 2014 | |
| als Flüchtling nach Deutschland gekommen war, hat er in Berlin das Syrian | |
| Center for Legal Studies and Researches gegründet. Mit anderen Aktivisten | |
| sammelt er Zeugenaussagen und Belege über Folter und | |
| Menschenrechtsverletzungen in seiner Heimat, um sie der Polizei zu | |
| übergeben. | |
| Wie Seif ist auch al-Bunni ein wortgewaltiger Mann. Leidenschaftlich klagt | |
| er auf Arabisch das Assad-Regime an. Dieses terrorisiere das eigene Volk, | |
| foltere Menschen mitunter bis zum Tod oder lasse sie einfach verschwinden. | |
| Al-Bunni traf im Mai 2006 in Damaskus zum ersten Mal auf Anwar R. Als der | |
| Anwalt zur Arbeit fahren wollte, wurde er in ein Auto gezerrt, in den | |
| Fußraum gequetscht, man verband ihm die Augen. „Ich wurde gekidnappt“, sagt | |
| al-Bunni vor Gericht. Im Auto habe Anwar R. gesessen und ihn beschimpft. Er | |
| habe R. später an seiner Stimme wiedererkannt. | |
| Nach der Entführung landete al-Bunni für fünf Jahre im Gefängnis. Es war | |
| seine vierte Verhaftung. Mitglieder von al-Bunnis Familie, allesamt in der | |
| Opposition tätig, wurden schon in den 1970er Jahren verfolgt. „Meine | |
| Familie hat insgesamt 73 Jahre im Gefängnis gesessen“, sagt er. Sie seien | |
| gefoltert worden. Jeder, der im syrischen Sicherheitsapparat gearbeitet | |
| hat, habe von der systematischen Folter gewusst. „Und er wusste nicht nur | |
| davon, er hat sie auch angewandt.“ | |
| 2014 traf al-Bunni im Flüchtlingswohnheim in Berlin-Marienfelde Anwar R. | |
| wieder, erkannte ihn aber nicht gleich. Dass dieser schuldig ist, daran hat | |
| al-Bunni keinen Zweifel. Den Vorwurf, dass Anwar R. weiter für den | |
| syrischen Geheimdienst arbeite, will der Menschenrechtsaktivist vor Gericht | |
| nicht wiederholen. | |
| Aber dass dieser in seiner Einlassung die gleichen Worte wie der syrische | |
| Präsident Assad gewählt hatte, heiße doch: Seine Ansichten seien | |
| deckungsgleich mit denen des Regimes. Assad hatte im vergangen Jahr zum | |
| anstehenden Prozess in Koblenz zu Russia Today gesagt: „Wir haben keine | |
| Foltereinheiten. Warum sollten wir foltern?“ | |
| 28 Sep 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Prozess-zu-Kriegsverbrechen-in-Syrien/!5686468 | |
| [2] /Wiederaufbau-in-Syrien/!5689553 | |
| [3] /Verbrechen-gegen-die-Menschlichkeit/!5682110 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Mord | |
| Folter | |
| Syrischer Bürgerkrieg | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Baschar al-Assad | |
| Gerichtsprozess | |
| Bundesanwaltschaft | |
| Baschar al-Assad | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Assad-Regime in Deutschland vor Gericht: „Wie Gerechtigkeit gemacht wird“ | |
| In Koblenz stehen mutmaßliche Folterer des Assad-Regimes vor Gericht. | |
| Rechtsprofessorin Stefanie Bock fordert, dass der Prozess aufgezeichnet | |
| wird. | |
| Koblenzer Prozess zu Folter in Syrien: Befehl zur Gewalt von ganz oben | |
| Im Prozess gegen mutmaßliche syrische Folterer präsentiert ein Zeuge | |
| geheime Dokumente. Sie legen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nahe. | |
| Koblenzer Prozess zu Folter in Syrien: Caesars Geheimnis | |
| Ein Mann musste Tausende Leichen fotografieren. Ihm gelang es zu fliehen | |
| und die Bilder außer Landes zu bringen. Nun sind sie Beweismittel. | |
| Prozess gegen mutmaßliche Folterer in Syrien: Fotos von „Caesar“ als Bewei… | |
| Erstmals weltweit werden die Bilder des ehemaligen syrischen | |
| Militärfotografen in einem Prozess eingeführt. Sie belegen systematische | |
| Folter. | |
| Prozess gegen mutmaßliche Folterer in Syrien: „Aber da kam nichts, kein Wort… | |
| Riad Seif, einer der bekanntesten syrischen Oppositionellen, sagt vor | |
| Gericht aus. Eine Entlastung, auf die der Hauptangeklagte hoffte, wird es | |
| nicht. | |
| Prozess zu Folterungen in Syrien: „Ich wurde gekidnappt“ | |
| Der syrische Anwalt Anwar al-Bunni sagt im Prozess gegen mutmaßliche | |
| Assad-Schergen aus – und erzählt, wie er einen Beschuldigten in Berlin | |
| wiedertraf. | |
| Prozess wegen Folter in Syrien: „Ich habe niemanden gefoltert“ | |
| Im Prozess gegen mutmaßliche Schergen des Assad-Regimes lässt sich der | |
| Hauptangeklagte Anwar R. ein – und bestreitet die Vorwürfe vehement. |