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# taz.de -- Koblenzer Prozess zu Folter in Syrien: Befehl zur Gewalt von ganz o…
> Im Prozess gegen mutmaßliche syrische Folterer präsentiert ein Zeuge
> geheime Dokumente. Sie legen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nahe.
Bild: Während des Prozesses in Koblenz zeigt Khaled Barakeh seine Installation…
Koblenz taz | Diese Dokumente sollte nie jemand außerhalb des syrischen
Regimes zu Gesicht bekommen. „Höchst vertraulich“ steht auf den zwei
gelochten DIN-A4-Blättern, die eng mit arabischer Schrift bedruckt sind.
Sie sehen unscheinbar aus, stellten jedoch einen entscheidenden Wendepunkt
für den damals noch jungen Konflikt zwischen den Demonstrant*innen in
Syrien und dem Assad-Regime dar.
„Die Zeit der Toleranz und der Erfüllung von Forderungen ist vorbei“, hei�…
es in dem Schreiben der Zentralen Krisenmanagementzelle (CCMC) vom 18.
April 2011. Zwei Tage später folgt die schriftliche Aufforderung, eine neue
Phase einzuläuten, in der den Demonstrant*innen mit Gewalt begegnet werden
soll.
Digitale Kopien der beiden Schreiben wurden am Dienstag an die Wand des
Koblenzer Gerichtssaals projiziert, wo zwei ehemaligen syrischen
Geheimdienstmitarbeitern seit April der Prozess gemacht wird. Mit Anwar R.
und Eyad A. müssen sich [1][erstmals mutmaßliche Folterknechte des Regimes]
von Syriens Machthaber Baschar al-Assad vor Gericht verantworten.
Die belastenden Unterlagen hat Christopher Engels von der Commission for
International Justice and Accountability (CIJA) mitgebracht, der an zwei
Tagen in dieser Woche als Zeuge geladen war. Und er präsentierte den
Richter*innen noch weitere Dokumente, die seine Organisation seit 2011
gesammelt hat. Sie sollen unter anderem beweisen, dass es sich bei den
4.000 Fällen von Folter und den 58 Morden, die dem Hauptangeklagten Anwar
R. vorgeworfen werden, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehandelt
haben soll.
## Beweise werden oft vernichtet
Die CIJA ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die seit Ende
2011 Dokumente aus Syrien herausschleust, um sie für spätere
Gerichtsverfahren zu sichern. Finanziert wird die Arbeit durch Staaten,
deren Strafverfolgungsbehörden die Dokumente nutzen möchten: Momentan sind
das Deutschland, Kanada, die USA, Großbritannien und die Niederlande.
„Wir haben damit angefangen, weil wir in der Vergangenheit eine Lücke in
völkerrechtlichen Ermittlungen gesehen haben“, erklärt Engels, der wie die
meisten seiner Kolleg*innen viele Jahre Erfahrung als Ermittler und Berater
in Konfliktregionen wie Afghanistan oder dem Balkan hat. Meistens würde
wichtiges Beweismaterial während eines Konflikts nicht gesammelt, erklärt
Engels. „Beweise werden vernichtet, gehen verloren oder werden von Personen
versteckt, die wissen, dass sie ihnen schaden könnten.“
Dem ist CIJA in diesem Fall zuvorgekommen. Seit 2011 hat die Organisation
800.000 Seiten syrische Regierungsdokumente gesammelt, die zusammen mit
469.000 Videos oder anderen digitalen Dateien an einem unbekannten Ort
lagern.
## Anweisungen von ganz oben
Vor Gericht zeichnet Engels anhand einiger dieser Papiere die hierarchische
Struktur des syrischen Regimes und seiner Sicherheitskräfte nach. Sein
Fazit: Die Befehle kamen von ganz oben. Die CCMC, das hochrangigste und
eigens zur Bekämpfung der Proteste geschaffene staatliche Gremium, sandte
beispielsweise im August 2011 ein Schreiben an die Leiter der
Geheimdienste, in dem es sie dazu aufforderte, Personen festzunehmen, die
„Demonstrationen finanzieren oder anstacheln, oppositionellen
Koordinationsstellen angehören oder mit Personen im Ausland oder
ausländischen Medien kommunizieren.“
Dieser Befehl findet sich wortwörtlich in Dokumenten wieder, die später an
die kleinsten lokalen Geheimdiensteinheiten geschickt wurden. Und
schließlich taucht der Befehl erneut in einzelnen Verhören auf, deren
Mitschriften der CIJA vorliegen. Engels zeigte dem Gericht ein
Vernehmungsprotokoll, in dem ein Gefangener aufgefordert wird, Personen zu
nennen, „die Demonstrationen anstacheln oder oppositionellen
Koordinationsstellen angehören.“ Nach allem, was Zeug*innen in Koblenz
bisher berichtet haben, wurde die Antwort darauf [2][vermutlich durch
Folter erzwungen].
Zu jedem Dokument, das Engels zeigt, kann er den genauen Weg darlegen, das
dieses zurückgelegt hat. Syrische CIJA-Kolleg*innen haben die meisten
Papiere 2011 und 2012 in Raqqah, Idlib, Deir az-Zor und anderen Städten
gesammelt – immer dann, wenn das Regime sich aus der jeweiligen Region
zurückziehen musste. Wenn sich die Gelegenheit ergab, wurden die Dokumente
außer Landes gebracht, mal Tage danach, mal bis zu einem Jahr später. Zudem
hat die CIJA mehr als 2500 Zeug*innen interviewt, ehemalige Gefangene oder
Regimemitarbeiter*innen, deren Aussagen die Informationen in den Dokumenten
bekräftigen und mit Leben füllen sollen.
## Alles deutet auf systematische Misshandlungen hin
Schon bevor die Bundesanwaltschaft begann gegen Anwar R. zu ermitteln, war
die CIJA darauf aufmerksam geworden, dass der Angeklagte sich in Europa
befand. Unter dem Codenamen „Czech“ erstellten sie ein Dossier über ihn. Im
April 2018 übersandten sie dieses auf Anfrage dem Bundeskriminalamt. Darin
befinden sich auch zwei Ermittlungsberichte mit R.s Unterschrift, außerdem
Zeugenaussagen, die bestätigen, dass der Angeklagte Ermittlungsleiter der
Abteilungen 251 und 285 gewesen sein soll.
Andere Zeugen berichteten der CIJA, dass es in diesen Abteilungen Folter
und Misshandlungen gegeben habe. Daraus schließt Engels, dass R. für Folter
und Misshandlungen verantwortlich gewesen sei. Er bekräftigt diese Aussage
auf Nachfrage der Richter*innen.
Doch Engels Aussage und die CIJA-Dokumente sind nicht nur in Bezug auf die
Rolle des Angeklagten wichtig, sondern auch für den Rahmen, in dem sich
dieser als Ermittlungsleiter eines Geheimdienstes in den Jahren 2011 und
2012 bewegte. Alle Erkenntnisse deuteten daraufhin, dass die Misshandlungen
ausgedehnt, also verteilt über ganz Syrien stattgefunden hätten, sagte
Engels den Richter*innen in Koblenz. „Und sie waren systematisch darin,
dass sie sich über verschiedene Abteilungen hinweg glichen.“
Ein ausgedehnter und systematischer Angriff auf eine Zivilbevölkerung – das
ist die völkerrechtliche Definition für Verbrechen gegen die
Menschlichkeit.
20 Nov 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Hannah El-Hitami
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
Völkerrecht
Folter
Syrischer Bürgerkrieg
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Baschar al-Assad
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Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Syrien
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