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# taz.de -- Nach dem Brand in Moria: Die Dynamik hinter dem Elend
> Die humanitäre Katastrophe von Lesbos ist auch eine Folge griechischer
> Politik. Doch das entlastet andere EU-Staaten nicht von ihrer
> Mitverantwortung.
Bild: Menschen am Rande der Straße zum ausgebrannten Flüchtlinglager Moria am…
Noch während [1][das Flüchtlingslager Moria] in der Nacht zum Mittwoch
brannte, wurde über europäische und [2][deutsche Verantwortung] gesprochen.
Völlig zu Recht: Die EU hat die Rechtsgrundlagen für Moria geschaffen, es
wurde als Internierungslager und Registrierungszentrum mit europäischem
Geld bezahlt und von EU-Agenturen mit betrieben. Die Diskussion in
Deutschland dreht sich vor allem darum, dass Innenminister Horst Seehofer
die über die bisherigen Zusagen hinausgehende Umsiedlung von Flüchtlingen
blockiert. Auch dies völlig zu Recht: In den Lagern dort darf niemand
bleiben müssen.
Diese Fokussierung ging aber teils so weit, dass der Eindruck entstand,
[3][Griechenland selbst hätte mit dem Flüchtlingselend auf seinen Inseln
eigentlich gar nichts zu tun]. Das ist keineswegs der Fall.
Kein Land der Welt hat proportional mehr Geld für die Flüchtlingsversorgung
bekommen als Griechenland. Zwischen 2015 und Januar 2020 flossen dafür 2,23
Milliarden Euro aus Brüssel nach Athen. Zwar kamen in diesem Zeitraum rund
eine Million Flüchtlinge in das Land, die meisten aber reisten schnell
wieder aus [4][oder wurden von den Behörden illegal in die Türkei
zurückgeschleppt]. Tatsächlich aufgenommen, und sei es nur für ein
Asylverfahren, wurden in Griechenland seit 2015 weniger als 150.000
Menschen. Zum Vergleich: Der Türkei stellte die EU 6 Milliarden Euro für
fast vier Millionen Flüchtlinge in Aussicht. Griechenland hätte Ressourcen,
um die Menschen würdig und angemessen unterzubringen und zu versorgen. Es
hat sich politisch dafür entschieden, das nicht zu tun. Die humanitäre
Katastrophe von Lesbos ist auch eine Folge dieser Entscheidung.
Das entlastet andere EU-Staaten keineswegs von ihrer Mitverantwortung. Es
ist aber eben auch so, dass Griechenland sehr wohl Handlungsspielräume
hatte und hat. Und diese Spielräume nutzt es so, dass die Flüchtlinge dort
seit vielen Jahren unter absolut unzumutbaren Umständen leben müssen. Das
ist keineswegs nur der 2019 gewählten rechten ND-Regierung anzulasten,
sondern auch der bis dahin regierenden linken Syriza – auch wenn die sich
jetzt größte Mühe gibt, alles auf die ND zu schieben. Der EU-Türkei-Deal
und die damit verbundene Entscheidung, Ankommende erst mal auf den Inseln
festzuhalten, fiel in die Amtszeit von Syriza-Ministerpräsident Alexis
Tsipras.
Dahinter stecken Motive, die keine griechische Spezialität sind, sondern so
ähnlich auch in anderen Transitstaaten zu beobachten sind.
Das erste ist die Abschreckung: Die katastrophalen Lager sollen anderen die
Lust nehmen, ebenfalls nach Griechenland zu kommen. Das hat viel damit zu
tun, dass Griechenland als Außengrenzen-Staat bis heute nach europäischem
Recht für Asylverfahren, Aufnahme und Versorgung aller zuständig ist, die
über das Land in die EU kommen. Diese Regelung hat das kleine Land ohne
eigenes Verschulden in objektive Nöte gebracht. Und deshalb versucht der
Staat diese Zahl zu drücken – unter anderem durch [5][absichtsvoll
produziertes Elend] unter den bereits Angekommenen.
Das zweite Signal, das mit den Bildern aus den Lagern gesendet werden soll,
richtet sich an den Rest der EU. Die griechische Regierung will kein Geld
aus Brüssel, um die Versorgung der Flüchtlinge bezahlen zu können. Sie
will, dass Flüchtlinge umgesiedelt und unter allen EU-Staaten aufgeteilt
werden.
Letzteres ist legitim. Und es deckt sich mit dem Interesse der meisten
Flüchtlinge vor Ort, die ebenfalls weiterwollen, es aber nach EU-Recht
nicht dürfen. Man geht in Athen, nicht zu Unrecht, davon aus, dass die
Berichte und Bilder aus den Lagern wie Moria in Ländern wie Deutschland
weit stärkeren politischen Druck für die Flüchtlingsaufnahme entfalten, als
wenn die Regierung Horst Seehofer oder Ursula von der Leyen einfach darum
bittet.
All das wiederum entlastet die griechische Regierung nicht. Aber ohne diese
Überlegungen zur Kenntnis zu nehmen, kann die Dynamik des Konflikts nicht
verstanden werden.
Noch wichtiger als die kurzfristige Aufstockung der Aufnahmeplätze ist
deshalb, [6][welche Rolle Deutschland] jetzt bei der Aushandlung des
EU-Asylsystems einnimmt. Denn bislang ist Teil des deutschen Programms für
seine laufende EU-Ratspräsidentschaft, dauerhafte „closed centers“ an den
EU-Außengrenzen einzurichten, um dort Asyl-Vorprüfungen durchzuführen.
Kommt Ihnen bekannt vor? Kein Wunder: Im Grunde ist es genau das, was es in
Moria schon gab, nur dass dort künftig nicht nur Asylanträge für
Griechenland, sondern auch für andere EU-Staaten vorab geprüft werden
sollen. Es beendet die Internierung in Lagern nicht, sondern baut diese
aus.
Die griechische Regierung ist allerdings auch keinen Deut
menschenfreundlicher: Migrationsminister Notis Mitarakis sagte am Mittwoch,
dass das abgebrannte Lager Moria nicht wieder aufgebaut, sondern durch eine
„geschlossene“ Einrichtung ersetzt werden soll.
10 Sep 2020
## LINKS
[1] /Fluechtlingslager-auf-Lesbos-ausgebrannt/!5708028
[2] /Nach-Brand-im-Fluechtlingslager-Moria/!5707931
[3] /Griechische-Reaktion-auf-Brand-in-Moria/!5713417
[4] /Gefluechtete-an-EU-Aussengrenze/!5668019
[5] /Lager-fuer-Gefluechtete-in-Griechenland/!5701718
[6] /Nach-Brand-im-Fluechtlingslager-Moria/!5707931
## AUTOREN
Christian Jakob
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