Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Deutsche Reaktionen nach Brand in Moria: Die Schande Europas
> Einige Bundesländer wollten schon vor dem Brand in Moria Geflüchtete
> aufnehmen. Doch Seehofer hat die Vorstöße bisher blockiert.
Bild: Demonstration in Frankfurt am Mittwoch
Berlin taz | Während die Bilder des [1][nahezu vollständig abgebrannten
Flüchtlingscamps Moria] um die Welt gehen, präsentiert sich der Sprecher
von Bundesinnenminister Horst Seehofer, Steve Alter, erstaunlich kühl. „Wir
befinden uns seit gestern in intensiven Gesprächen mit der griechischen
Regierung.
Wir haben Griechenland in der Vergangenheit geholfen und wir werden
selbstverständlich auch jetzt helfen“, sagt er am Mittwoch in der
Bundespressekonferenz. Er findet kaum Worte der Empathie angesichts der
humanitären Katastrophe im größten Flüchtlingslager Europas, das auch schon
[2][vor diesem Brand wegen der unhaltbaren Zustände] kritisiert wurde.
Darauf, wie genau die Hilfe von Seiten des Innenministeriums aussehen
könnte, will sich der Ministeriumssprecher nicht festlegen lassen. Er pocht
mehrfach darauf, dass es „dringend notwendig ist, in der Flüchtlingsfrage
eine europäische Lösung zu erreichen“. Das Bundesinnenministerium wolle in
Gesprächen zunächst klären, welche Hilfen Griechenland benötige, und
Hilfsoptionen prüfen.
Diese Hilfen sollen dann aber „zügig und unkompliziert“ bereitgestellt
werden. Aus Telefonaten mit den griechischen Behörden habe das Ministerium
erfahren, dass zwischen 12.000 und 13.000 Menschen nun keine Unterkunft
mehr haben, darunter rund 400 unbegleitete Minderjährige. Gestorben sei
nach derzeitigen Erkenntnissen niemand.
## Berlin und Thüringen wollen Geflüchtete aufnehmen
Im Rahmen eines im Frühling angekündigten EU-Programms hat sich Deutschland
bereit erklärt, 920 unbegleitete Minderjährige und kranke Kinder samt
Eltern und Geschwistern aus den griechischen Flüchtlingslagern aufzunehmen.
Bisher sind 53 unbegleitete Minderjährige und 412 Familien mit kranken
Kindern hierher gekommen.
Manchen ist das zu wenig. In diesem Jahr hatten deshalb Länder wie
[3][Berlin] und Thüringen angekündigt, eigenständig Geflüchtete aus Moria
aufnehmen zu wollen. Doch Innenminister Horst Seehofer hat diese Vorstöße
konsequent blockiert. Laut Aufenthaltsgesetz haben die Länder zwar das
Recht eigene Aufnahmeprogramme zu initiieren, brauchen dafür aber das
„Einvernehmen“ des Bundesinnenministeriums. Die Länder erwogen zuletzt eine
Klage gegen die Ablehnung des Innenministers.
Auf die Frage, ob sich nach dem Großbrand in Moria an Seehofers Haltung
etwas geändert habe, sagte der Sprecher: „Die aktuelle Situation stellt uns
vor Herausforderungen, aber das ist kein Grund, unsere bisherige
Rechtsordnung infrage zu stellen.“ Überraschend scharfe Worte kamen vom
Koalitionspartner SPD.
Die Vorsitzende der Sozialdemokraten, Saskia Esken, äußerte ihr
Unverständnis: „Viele Kommunen, Städte und Gemeinden in Deutschland sind
seit Langem bereit, Flüchtlinge aufzunehmen. Es ist absolut unverständlich,
wieso diese humanitäre Hilfe verweigert wird.“ Sie forderte die
Bundesregierung auf, den Weg für eine Aufnahme der Geflüchteten von Moria
in den Kommunen freimachen.
Die CDU sprach sich gegen eine rein nationale Hilfsaktion für die Menschen
in Moria aus. „Die neueste Entwicklung auf Lesbos macht deutlich, wie
dringend eine europäische Antwort auf die Flüchtlingsentwicklung ist“,
sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg.
## Die Schande Europas
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) warf der Europäischen Union
schwere Versäumnisse vor. Die Menschen in Moria bräuchten umfassende
Soforthilfe, forderte er. „Bei meinem Besuch vor zwei Jahren war ich
zutiefst schockiert. Und obwohl der Ausbruch von Corona und eine solche
Katastrophe angesichts der herrschenden Zustände vielfach vorausgesagt
wurde, ist nichts passiert“, kritisierte Müller.
Die Grünen sprachen von einer „humanitären Katastrophe mit Ansage“. „Wir
müssen die Menschen umgehend ausfliegen und können Griechenland nicht mehr
allein mit ihnen lassen“, sagte die Bundestagsfraktionsvorsitzende Katrin
Göring-Eckardt. „Wir haben Platz und dürfen den Menschenrechtsverletzungen
nicht länger zusehen.“ Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch schlug ähnliche
Töne an.
„Es ist eine Schande, dass Europa Zustände wie in Moria jahrelang duldete“,
sagte er und forderte „unverzüglich einen Sondergipfel der EU.“ FDP-Chef
Christian Linder möchte angesichts der Brände die Flüchtlingsfrage während
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft priorisieren. „Die Bilder aus Moria
sind erschütternd. Seit fünf Jahren scheitert EU an einer europäische
Lösung der Flüchtlingsfrage“, twitterte er. Das Thema müsse auf der Agenda
„ganz nach oben.“
## Bundesländer wollen aufnehmen
Am Aufnahmewillen der deutschen Bundesländer scheitert die Evakuierung
Morias derzeit zumindest nicht. „Seehofers Wunsch nach einer europäischen
Lösung ist zwar legitim, die Leidtragenden dürfen aber nicht die Menschen
sein“, sagte der grüne Justizminister von Thüringen, Dirk Adams, der taz.
Er könne nur hoffen, dass die heutigen Ereignisse zu einem Einlenken des
Innenministers führen.
Ähnlich äußerte sich Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD): Seehofer
stehe jetzt in der Pflicht, den Weg für die Programme freizumachen. Unter
anderem signalisierten Hamburg, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen am
Mittwoch, weiterhin für die Aufnahme von Geflüchteten aus griechischen
Lagern bereitzustehen. Selbst in der liberal-konservativen Landesregierung
in Nordrhein-Westfalen ist die Aufnahmebereitschaft nach dem Brand weiter
gestiegen.
1.000 weitere Geflüchtete aus Griechenland könne NRW aufnehmen, sagte
CDU-Ministerpräsident Armin Laschet auf einer Wahlkampfveranstaltung. Offen
gegen die Linie von Horst Seehofer stellt er sich jedoch nicht. Es bräuchte
weiterhin eine europäische Lösung. „Das kann Deutschland nicht allein“,
sagte Laschet.
Wie lange Seehofer an seiner Linie festhalten kann, ist unklar. Der Druck
auf ihn nimmt zu. Am Montag, noch vor dem Brand in Moria, beschloss auch
der Bremer Koalitionsausschuss ein Landesaufnahmeprogramm aufzulegen –
trotz des vorprogrammierten Widerstands Seehofers.
9 Sep 2020
## LINKS
[1] /Fluechtlingslager-Moria-in-Flammen/!5713341
[2] /Aktivist-ueber-Zustaende-im-Camp-Moria/!5681846
[3] /Berlin-wagt-den-Schulstart/!5703105
## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
Mitsuo Iwamoto
## TAGS
Moria
Horst Seehofer
Geflüchtete
Moria
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Griechenland
Moria
Lesestück Recherche und Reportage
Moria
## ARTIKEL ZUM THEMA
Berlin will Bund-Länder-Gipfel zu Moria: „Nein“ ist keine Antwort
Berlins Innensenator will mit Bundesratsinitative und Krisengipfel den
Druck auf den Bund erhöhen, mehr Menschen aus Moria aufzunehmen.
Nach dem Brand in Moria: Berlin muss jetzt handeln
Bei Seehofer auf eine humanitäre Erleuchtung zu warten, ist sinnlos. Länder
wie Berlin müssen jetzt sofort mit allen erdenklichen Mitteln handeln.
Nach dem Brand in Moria: Die Dynamik hinter dem Elend
Die humanitäre Katastrophe von Lesbos ist auch eine Folge griechischer
Politik. Doch das entlastet andere EU-Staaten nicht von ihrer
Mitverantwortung.
Nach Brand im Flüchtlingslager Moria: Merkels Angst vor ihrer Courage
Die Kanzlerin wird noch immer für ihre Flüchtlingspolitik von 2015 gelobt.
Will sie dem gerecht werden, muss sie jetzt beherzt und ohne Kalkül
handeln.
Flüchtlingslager auf Lesbos ausgebrannt: Die letzten Tage von Moria
Das Flüchtlingscamp Moria existiert nach einem Brand nicht mehr. Mehr als
12.000 Menschen waren dort 176 Tage wegen der Coronapandemie eingesperrt.
Migrationsexpertin zum Brand in Moria: „Organisiert verantwortungslos“
Ramona Lenz von Medico International glaubt nicht daran, dass die
Katastrophe zum Umdenken der EU führt. Sie fordert eine Koalition der
Willigen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.