# taz.de -- Krawalle in Leipzig: Einfach mal zuhören | |
> Sachsens Ministerpräsident Kretschmer zeigt bei rechten Protesten | |
> Verständnis, Leipzigs linke Szene wird hingegen pauschal verurteilt. Das | |
> hilft niemandem weiter. | |
Bild: Hart durchgreifen statt deeskalieren war die Strategie der Polizei in Lei… | |
Als im Mai deutschlandweit tausende Menschen, darunter zahlreiche | |
Rechtsextreme, [1][gegen das „de-facto-diktatorische Hygiene-Regime“ | |
demonstrierten], war der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer | |
(CDU) nachdenklich. Ohne Mundschutz, dafür mit viel Empathie, sagte er, er | |
wolle „verstehen, was die Menschen umtreibt“. | |
Nun, nach einem Wochenende der Eskalation in Leipzig, bei dem die Räumung | |
einer Hausbesetzung zu tagelangen gewaltvollen Protesten führte, sagt | |
Kretschmer über die Linken, die in Leipzig protestieren – nicht | |
nachdenklich, sondern entschlossen: „Wir sagen diesen Menschen den Kampf | |
an.“ | |
Kretschmer positioniert sich eindeutig. Doch was wäre, wenn er versuchen | |
würde, nicht nur Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker:innen zu | |
verstehen, sondern auch Linksradikale, Hausbesetzer:innen, sogenannte | |
Krawallmacher? Wenn er den Dialog nicht nur mit Rechten als „zwingende | |
Voraussetzung dafür, dass dieses Land sich nicht weiter spaltet“, suchen | |
würde, sondern auch mit jenen, die er noch weniger versteht? | |
Denn eigentlich wäre das politisch die klügste Variante: [2][verstehen, | |
woher die Wut kommt, um sie zu bekämpfen.] Nehmen wir an, die Anliegen der | |
Hausbesetzer:innen wären schon zu Beginn gehört worden, die Polizei hätte | |
eine deeskalierende Strategie eingesetzt, Ministerpräsident Kretschmer und | |
Oberbürgermeister Jung hätten versucht, zu „verstehen, was die Menschen | |
umtreibt“: Hätte es die Eskalationen dann überhaupt gegeben? | |
## Die klassische Eskalationsspirale | |
Was stattdessen passiert, ist die klassische Eskalationsspirale. Begonnen | |
mit einem sozialen Problem, beantwortet mit einer friedlichen Hausbesetzung | |
und dessen unfriedlicher Räumung, Repression, Gegenwehr, eskaliert bis hin | |
zu sinnloser Gewalt. Die Ungehörten wurden wütend, es kam, was kommen | |
musste. | |
Im Nachgang spricht die Gewerkschaft der Polizei von „wild gewordenen | |
Horden“, die Polizei Sachsen retweetet einen Tweet, in dem vom „linken | |
Pack“ die Rede ist. Wenig später, nach einer Reihe kritischer Reaktionen | |
nimmt sie den Retweet zurück und löscht den Beitrag wieder. [3][Leipzigs | |
Oberbürgermeister Burkhard Jung] (SPD) wiederum tut, was er tun muss, und | |
verurteilt die Gewalttaten „aufs Schärfste“. | |
Dass sich die Politik öffentlich von der Gewalt distanzieren muss, ist | |
klar. Doch Kretschmer geht noch weiter: Er spricht den Demonstrant:innen | |
ab, dass sie politische Ziele wie bezahlbaren Wohnraum verfolgen würden. | |
Damit delegitimiert er linke Forderungen – auch solche, die im legalen | |
Rahmen erkämpft werden. Erneut wird eine heterogene linke Szene in | |
Sippenhaft für die Taten Einzelner genommen. | |
Doch man kann die Gewalt verurteilen und gleichzeitig die Wut ernst nehmen. | |
Denn selbst wenn alle Randalierer:innen festgenommen werden, die | |
politischen Forderungen bleiben. Einen ganzen Stadtteil oder eine gesamte | |
Szene hingegen pauschalisierend zu verurteilen, hilft niemandem weiter. | |
Stattdessen müssen politische Vertreter:innen wie Kretschmer lernen, | |
zuzuhören. Auch – oder erst recht – jenen, die sie nicht verstehen. | |
7 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Sarah Ulrich | |
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