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# taz.de -- Soziales Bier aus Berlin: Zum Wohl der Gemeinschaft
> Mit einem neuen Sozialbier namens Jesöff möchte Maxim Wermke den
> Biermarkt revolutionieren: Von jedem Kasten werden 50 Cent gespendet.
Bild: Ein bisschen Revolution, auch beim Trinken: Maxim Wermke mit einem Kasten…
Berlin taz | Wer Sternburg-Bier trinkt, sagt Maxim Wermke, tue dies oft
„aus Überzeugung“ und mit einem persönlichen Bezug zu seinem Lieblingsbie…
Was aber wohl die Wenigsten wissen: Seit 2006 gehört die Marke zur
Radeberger-Gruppe und damit zum Lebensmittelimperium der Familie Oetker.
Bei dem Gedanken dürfte so manchem Punk die Flasche aus der Hand fallen.
Mit jedem verkauften Bier, so Wermke, würde eine der wohlhabendsten
Familien Deutschlands noch ein bisschen reicher. Das möchte der 30-jährige
Student ändern und „das Eigentum mehr in den Fokus stellen“, auch beim
Trinken. Dafür soll es ein neues Sozialbier geben: Die Anschubfinanzierung
über eine Crowdfunding-Kampagne namens „Unser Sterni“ ist angelaufen.
„Jesöff“ wird das neue Bier heißen, und es soll nicht weniger als den Mar…
revolutionieren. Sozialbier meint eine Gemeinwohlorientierung, „dass nicht
einige wenige profitieren“, erklärt Wermke. Pro verkauftem Kasten würden 50
Cent gespendet.
Das Ziel der Marktdurchdringung ist ambitioniert: In jedem zweiten Berliner
Späti, mindestens aber in 500 Läden soll das Exportbier bald zu haben sein.
Hinter dem Vorhaben steckt die [1][J-MeinGut AG], die Wermke zusammen mit
Markus Krönert als ehrenamtlicher Vorstand führt. Das Jungunternehmen
vertreibt bereits ein Pils und verschiedene Erfrischungsgetränke,
größtenteils über einen Lieferdienst und bei Veranstaltungen für junge
Leute. Das soll sich beim neuen Bier ändern, den Vertriebsweg Späti sieht
Wermke auch als Sprungbrett für den Supermarkt, also hin zu einer breiteren
Masse.
## Mit Experimenten hat das nichts zu tun
Mit Craftbier-Experimenten hat das Vorhaben nichts zu tun. Wermke studiert
Wirtschaft und Politik, die Herstellung des Biers überlässt er lieber
Experten. Für die Jesöff-Produktion konnte er eine thüringische Brauerei
gewinnen, eine Logistikfirma liefert an die Verkaufsstellen aus. J-MeinGut
übernimmt lediglich Werbung und Organisation. Schon im Oktober sollen die
ersten Flaschen probeweise in Spätis erhältlich sein.
Das Jesöff ist nicht das erste Sozialbier. Schon seit 2010 gibt es zum
Beispiel die Biere von Quartiermeister*in – mit dem Slogan „zum Wohle
aller“ – auf dem Berliner Markt. Mehr als 180.000 Euro Spendengelder für
insgesamt 160 Projekte kamen bereits zusammen, wie sich der
[2][Quartiermeister-Website] entnehmen lässt.
Der schlagende Unterschied des neuen Jesöff zu den anderen derartigen
Angeboten werde der Preis sein, kündigt Wermke an. Mit angestrebten
Verkaufspreisen von 80 Cent bis einem Euro pro Flasche im Späti soll es
auch für das dünnere Portemonnaie konkurrenzfähig sein. Möglich gemacht
werden soll das durch eine effiziente Lieferkette.
Es scheint verwunderlich, dass eine Aktiengesellschaft hinter einem Projekt
steht, das Inhaberstrukturen kritisch hinterfragt. Eine
„gemeinwohlorientierte Rechtsform“ für Unternehmen gebe es laut Wermke
jedoch nicht. Auch eine Genossenschaft sei nicht die richtige Form, da sie
den „Gewinn der Mitglieder“ in den Vordergrund stelle. Mit der Wahl einer
AG, verbunden mit einem Verein als Ankeraktionär, wurde selbst eine
passende Rechtsform kreiert.
## Anteile sollen zurückgekauft werden
Das Stammkapital für die AG haben zwei private Spender*innen zur Verfügung
gestellt; mit den Einlagen des Vereins und der Einzelaktionär*innen werden
die Anteile zurückgekauft. Gewinnausschüttung an Aktionär*innen erfolgt
nicht. „Transformative Projekte“ als Verwendungszwecke für die 50 Cent pro
verkaufter Bierkiste kann jedes Vereinsmitglied und jede*r Anteilseigner*in
vorschlagen. Letztlich entscheidet die Hauptversammlung.
Der operative Gewinn des Unternehmens diente bisher zur Finanzierung der
Werbemaßnahmen. Diese zielten nicht auf einzelne Produkte ab. Wichtiger ist
Wermke „idealistische Werbung“, die zu politischer Aktivität und zum
Nachdenken anregen soll. „Wem jehört der Laden?“ steht zum Beispiel auf
einem seiner Werbeaufkleber, eine kleine Sensibilisierung für alternative
Inhaberstrukturen.
Noch ist das Jesöff Zukunftsmusik. Die Markteinführung des neuen Biers soll
durch 10.000 Euro aus einem [3][Crowdfunding-Aufruf] ermöglicht werden.
Hier gilt das Prinzip „alles oder nichts“: Wenn das Geld bis Ende September
nicht zusammenkommt, wird kein Cent ausgezahlt und das Projekt würde
sterben.
Die Kampagne ist für Wermke auch eine Art Marktanalyse, denn das Jesöff
soll ein Bier für alle werden, das Interesse daran müsse also „von der
Crowd kommen“. Eine Vorfinanzierung über einen Kredit kommt für ihn daher
nicht in Frage. Viele kleine Beiträge seien wertvoller als große
Einzelspenden.
Hierfür verteilen Maxim Wermke und seine Mitstreiter*innen gerade eifrig
Flyer in Parks und teilen ihr Werbevideo bei Social Media. Bei Erfolg der
Kampagne erhalten die Unterstützer*innen ein „Dankeschön“: Kugelschreiber,
Feuerzeuge, natürlich kistenweise Bier.
Und wem so ein neues Jesöff mindestens 500 Euro wert ist, darf dann bei dem
ganz besonderen Event „Saufen mit dem Vorstand“ kräftig darauf anstoßen.
Auch so exklusiv kann man zu dem neuen Sozialbier kommen.
[4][www.startnext.com/unser-sterni]
18 Sep 2020
## LINKS
[1] https://j-ag.info/
[2] https://quartiermeister.org/de/
[3] https://www.startnext.com/unser-sterni/projektwidget
[4] https://www.startnext.com/unser-sterni
## AUTOREN
Andreas Ruhsert
## TAGS
Bier
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