| # taz.de -- 200 Jahre Sternburg: Gesellschaftskritik endet beim Bier | |
| > Das Sterni-Bier feiert 200. Geburtstag. Noch immer ist es in alternativen | |
| > Kreisen beliebt, obwohl es längst zum Großkonzern gehört. | |
| Bild: Punks lieben es, Studis lieben es, Lokalpatrioten auch – aber wie lange… | |
| Leipzig taz | Irgendwer säuft doch immer Sternburg“, sagt ein langjähriger | |
| Freund von mir, als er mich leicht verwundert vor einem Getränkekühlschrank | |
| voller brauner Flaschen mit rotweißen Kronkorken stehen sieht. Wir feiern | |
| einen 30. Geburtstag in Leipzig. Es gibt tschechisches Bier, guten Sekt und | |
| hochwertige Spirituosen. Und: [1][etwa 20 Flaschen Sternburg Export.] | |
| Stimmt: Irgendwer trinkt immer Sterni, vor allem im Osten. Als wir alle | |
| noch keine Berufe hatten, die den Namen verdienten, tranken wir es | |
| unentwegt: im Park, auf Partys, auf Punkkonzerten. Vor allem die Nähe zum | |
| subkulturellen Milieu verlieh dem Bier einen leicht linken Touch. | |
| Unumstritten war es dennoch nie. Einigen genügte das Billigimage, um es zu | |
| schmähen. Andere kamen nach Verkostung zu dem Schluss, Sterni sei | |
| ungenießbar – Preis hin oder her. | |
| Geschmacklichen Konsens über das günstige Bier gibt es bis heute nicht, | |
| dafür einen beachtlichen Kult. Ein Beispiel dafür ist das „Sternburg | |
| Fanfest“, das jahrelang im Osten Leipzigs auf dem Brauereigelände | |
| stattfand, üblicherweise begleitet von einer Reihe mittelbekannter | |
| Rockbands und jeder Menge Alkohol. Mittlerweile wurde die jährliche Fete | |
| vom Brauhof in einen Club im Westen der Stadt verlegt, wo dieses Jahr das | |
| „Ju-Bier-Läum“ am 21. Mai stattfinden wird. 2022 ist ein Jubiläumsjahr f�… | |
| Sternburg. Anlässlich des 200-jährigen Bestehens hat die Brauerei auf dem | |
| Gelände die Zahl „200“ aufgebaut, jede Ziffer aus je vier Meter hoch | |
| gestapelten roten Bierkisten. | |
| „Wir haben 1.700 Karten in knapp einer Woche ausverkauft“, sagt der | |
| Geschäftsführer der Sternburg-Brauerei, Martin Zapf, der taz, spürbar | |
| erfreut. Der gebürtige Düsseldorfer leitet das Unternehmen seit 2011, einen | |
| so großen Andrang auf das Fanfest hat er aber noch nicht erlebt. „Stolz“ | |
| sei er darauf, auf eine 200-jährige Geschichte zurückblicken zu können: | |
| „Welche Marken gibt es in der heutigen, schnelllebigen Zeit überhaupt noch, | |
| die so eine lange Zeit überstehen?“ | |
| ## Ambitionierte Fans | |
| Wer einmal ein Fanfest besucht hat, der ahnt, dass er es hier mit keiner | |
| gewöhnlichen Biermarke zu tun hat: Freunde des Gebräus verehren es, die | |
| Zahl der Songs über das Sterni ist kaum zu überschauen. Jüngst erhielt die | |
| Gruppe C2H6O aus dem thüringischen Gotha – die sich stimmigerweise nach der | |
| Summenformel von Alkohol benannt hat – für ihren Song „Sterni im Blut“ | |
| („Egal was ich für ’ne Stimmung habe, ich trinke Sterni, keine Frage“) d… | |
| Kasten des Monats von der Brauerei. | |
| Andere Sternburg-Fans sind ambitionierter: Eine übermannshohe Nachbildung | |
| einer Sterni-Flasche aus über 100.000 Kronkorken steht seit 2014 im | |
| Guinness Buch der Rekorde, und nicht wenige Menschen haben für ihre | |
| Sternburg-Tattoos ebenfalls einen roten Kasten mit der traditionellen | |
| Aufschrift „Merke Dir – Sternburg Bier!“ frei Haus erhalten. Am | |
| Bierstandort Deutschland hat ausgerechnet eine Billigmarke aus dem Osten | |
| ihr eigenes Festival und einen cool-kultigen Ruf, der weit über die Grenzen | |
| Leipzigs hinausgeht. Wie ist das gelungen? | |
| Nachgefragt beim Bier-CEO: Eine „Kombination aus Preis, Geschmack und | |
| Verbraucherorientierung“, sei das Erfolgsrezept der Marke Sternburg, sagt | |
| Geschäftsführer Zapf. Er resümiert: „Wir haben ein unschlagbar gutes Bier | |
| zu einem sehr fairen Preis da draußen.“ Der Absatz von Sternburg-Bier stieg | |
| im Ostdeutschland der frühen Nullerjahre stark an – ganz ohne Werbung, | |
| parallel zur Ära Schröder und den Hartz-Gesetzen. | |
| Seit dem Marken-Relaunch im Jahr 2006 unterstützen diverse Agenturen den | |
| Hype. Der brauereieigene Shop führt knallrote Overalls, Socken, ein | |
| Wurfzelt, Spruch-Shirts („Einfach Östlich!“), „Sterniletten“ und mehr.… | |
| dem Sterni existiert außerdem ein eigenes Fanmagazin, das bereits in der | |
| 15. Auflage erscheint. Es diene der „Imagepflege für die Marke im Segment | |
| der 16- bis 25-Jährigen“, so ein Statement der Leipziger Agentur, die es | |
| entwickelt hat. | |
| ## 98 Cent pro Liter | |
| „Links“ sind die Sternburg-Slogans „Feierabend muss bezahlbar bleiben“ … | |
| „Weil Geld teuer ist“ höchstens andeutungsweise. Das von selbst entstandene | |
| subversive Bild soll von der Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden, ohne | |
| zu viele potentielle Biertrinker*innen außen vor zu lassen. Mit Erfolg: | |
| Jüngst wurde das Sortiment um ein alkoholfreies Bier und ein „Hanf-Radler“ | |
| mit regenbogenfarbener Etikettaufschrift ergänzt. Der Verkaufsschlager | |
| bleibt aber nach wie vor das „Export“, das etwas mehr Alkohol enthält als | |
| das in Deutschland sonst so beliebte Pils. Die Brauart trägt ihren Namen, | |
| weil der höhere Alkoholgehalt das Bier länger konserviert und daher | |
| transportfähiger macht – was bei Sternburg, das fast ausschließlich im | |
| Osten vertrieben wird, eher nebensächlich geworden ist. | |
| Der Diplom-Biersommelier und freie Journalist Olaf Wirths fühlt sich bei | |
| der Erfolgsgeschichte von Sternburg an andere Billigmarken wie das Hansa | |
| Pils aus Dortmund oder Oettinger aus Bayern erinnert. Ebenfalls unter | |
| Verzicht auf Marketing und mit einem Kampfpreis von etwa 70 Cent pro Liter | |
| galt insbesondere Letzteres lange als meist getrunkenes Bier in | |
| Deutschland, mit weitem Abstand vor Sternburg, das etwa 98 Cent pro Liter | |
| kostet. Einen vergleichbaren Kultfaktor kann aber höchstens noch die Marke | |
| Astra aus Hamburg vorweisen – ebenfalls ein Bier aus dem | |
| Niedrigpreissegment. | |
| Hat Erfolg auf dem deutschen Biermarkt, oh Schreck, eventuell mit Geschmack | |
| also gar nichts zu tun? „Das Bier ist ein Bier wie viele andere | |
| Industriebiere auch“, sagt Wirths, der Biertouren durch die ganze Welt | |
| anbietet und unter anderem für das Fachmagazin Bier und Brauhaus schreibt, | |
| „es ist billig, geschmacklich austauschbar okay und macht eine wirklich | |
| gute Werbung.“ | |
| ## „Sterni ist tot“ | |
| Aber schmeckt’s denn nun? Olaf Wirths sieht die Sache pragmatisch: „Wenn | |
| Sie Krombacher, Beck’s, Oettinger oder andere bekannte Marken in der | |
| Blindverkostung probieren lassen, schmecken die Leute zu über 85 Prozent | |
| keinen Unterschied, weil die Biere geschmacklich sehr dicht aneinander | |
| sind. Am Schluss verkauft eine Marke vor allem ein Image.“ | |
| Beliebt sei das Bier in Ostdeutschland primär, weil es in Leipzig gebraut | |
| werde und daher wie eine regionale Marke daherkomme, sagt Wirths. Dabei | |
| verkauft Sternburg laut Geschäftsführung das [2][meiste Bier in Berlin]. | |
| Spätestens seit 2006 ist es aber mit dem sympathischen regionalen Ostbier | |
| nicht mehr ganz so weit her: Dem Markenrelaunch voran ging der Kauf von | |
| Sternburg durch die Radeberger Gruppe, welche wiederum zum | |
| Lebensmittelgiganten Dr. Oetker gehört. Der Fakt wird in der | |
| Unternehmenshistorie auf der Sternburg-Homepage sanft umschifft: „Seit 2006 | |
| gehört Sternburg Bier zur Radeberger Gruppe KG.“ | |
| Gebraut wird zwar nach wie vor in Leipzig, das alternative Image von | |
| Sternburg hat aber eine gewisse Schieflage. „Subkultur möchte Alternativen | |
| aufzeigen, politisch aktiv und gesellschaftskritisch sein – aber spätestens | |
| beim Bier hört das dann auch auf“, meint Olaf Wirths. | |
| Auf einen eventuellen Imageschaden spekulieren derweil andere: [3][Die | |
| Berliner Biermarke „Jesöff“] verteilte im Sommer 2020 Plakate in der | |
| Hauptstadt, Überschrift: „Sterni ist tot“. Im weiteren Text wurde auf die | |
| Zugehörigkeit von Sternburg zum Großkonzern verwiesen. Das „Jesöff“, das | |
| sich auf dem Etikett frech „Das Bier mit dem roten Stern“ nennt, will | |
| genauso sympathisch und günstig daherkommen, aber gemeinwohlorientiert | |
| wirtschaften und Profite an soziale Projekte spenden. Durch eine | |
| Crowdfundingkampagne kam 2020 genug Geld für die erste Tranche Kästen | |
| zusammen. Seitdem findet man das Getränk in wenigen Berliner Spätis. | |
| ## „Linkes Bier“ muss regional produziert sein | |
| Sternburg-Chef Zapf sieht solche Versuche gelassen: „Jede Initiative, die | |
| darauf abzielt, den Leuten das Bier wieder schmackhaft zu machen, die | |
| begrüße ich.“ Zapf spielt darauf an, dass der durchschnittliche Bierkonsum | |
| in Deutschland seit Jahren leicht rückläufig ist. „Ob man sich dafür eine | |
| eigene Geschichte überlegt oder ob man sich irgendwo dranhängt, das muss | |
| jeder für sich entscheiden.“ | |
| Bierexperte Olaf Wirths glaubt, dass ein Ende des linken Images Sternburgs | |
| absehbar ist, „spätestens wenn sich herumspricht, dass es eben doch ein | |
| Industriebier ist und zur größten deutschen Braugruppe gehört“. Der | |
| ehemalige Cottbuser ergänzt heiter: „Und Leipzig ist leider auch nicht mehr | |
| so eine Subkulturstadt wie vor zehn Jahren.“ Ein „linkes Bier“ müsse sei… | |
| Meinung nach vor allem regional produziert sein, so wie viele der derzeit | |
| beliebter werdenden Craft-Biere. Für ein entsprechendes Image seien die | |
| aber vielfach schlicht zu teuer. | |
| Verkaufen wird sich Sternburg weiterhin, meint Wirths, weil vielen das | |
| Image angesichts des Preises egal sei: „Ich kann das gut nachvollziehen, | |
| ich habe auch mal Hansa in Dosen getrunken.“ | |
| 21 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konstantin Nowotny | |
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