# taz.de -- Junge Berliner Brauereien: Berlin vom Fass | |
> Einst war Berlin Hauptstadt der Brauerei-Giganten. Nun wird hier Bier in | |
> Handarbeit gebraut. Der Boom der kleinen Brauereien hat bisher auch | |
> Corona überlebt. | |
Bild: Bierfässer in der Brauerei Berliner Berg | |
Berlin taz | Die Bläschen sprudeln wie an einer Perlenschnur nach oben. Das | |
Getränk im Glas sieht eher wie Sekt aus als wie Bier. Dazu passt auch das | |
kelchartige Gefäß, in das es eingegossen wurde. Der Geschmack ist leicht, | |
etwas säuerlich und erfrischend – ganz passend zu einem heißen Sommertag im | |
Biergarten. Es ist Berliner Weiße. | |
„Pils und Weiße sind der Dreh- und Angelpunkt bei uns“, sagt Michéle | |
Hengst. Sie ist Geschäftsführerin der Brauerei Berliner Berg. Aber die | |
Weiße habe Tradition wie kein anderes Getränk in Berlin. „Die Weiße ist | |
einzigartig.“ Man könne sie lagern wie Wein. | |
Als Brauerei wolle Berliner Berg aber Tradition auch mit Moderne | |
verknüpfen. So wird die Weiße nicht nur pur angeboten, sondern es gibt auch | |
Sorten, die auf Früchten gelagert werden. Das bedeute, dass bei der Gärung | |
echte Früchte zugesetzt werden. | |
Manchmal sieht man das der Weißen gar nicht an – wie bei der in dem Kelch. | |
Den zarten Brombeergeschmack spürt man erst hinten auf der Zunge. Daneben | |
hat die Brauerei noch die Biersorten Lager, Pale Ale und Indian Pale Ale | |
ganzjährig im Programm. | |
In Berlin hat sich in den vergangenen Jahren eine [1][wachsende Zahl | |
kleiner Brauereien] wie Berliner Berg entwickelt, die dem Angebot der | |
großen, oft internationalen Braukonzerne mit Nischenprodukten begegnen. | |
Ihre Zahl ist schwer zu überschauen, mehrere Dutzend sind es aber | |
sicherlich. | |
Die Konzepte sind dabei so verschieden wie die Geschmäcker und die Macher. | |
Manche brauen Fassbier nur für die eigene Kneipe, andere beliefern | |
inzwischen auch Supermärkte. Wieder andere brauen im heimischen Keller und | |
setzen auf Direktvertrieb in der Flasche. | |
Die Brauerei Berliner Berg befindet sich in der Treptower Straße im | |
Schatten der Ringbahn. Die Gegend hat einen eher rauen Charme, mehr | |
Gewerbe- als Wohngebiet: Neben der Brauerei bietet eine Autowerkstatt ihre | |
Dienste an. Schräg gegenüber liegt der große Parkplatz einer Rewe-Filiale. | |
Und dahinter zieht sich eine gezackte Linie aus Pflastersteinen über die | |
Asphaltfahrbahn und dokumentiert den Verlauf der Berliner Mauer. Man ist | |
ganz am östlichen Rand von Neukölln. | |
Anfang Juli hat Berliner Berg einen großen Schritt getan: Das erste in der | |
neuen Brauerei in der Treptower Straße gebraute Fassbier wurde abgefüllt. | |
Die Edelstahlfässer stapeln sich am nächsten Tag im Hof und glitzern in der | |
Sonne. Ebenso glänzend mutet die nagelneue Brautechnik in der 600 | |
Quadratmeter großen Halle an. Bis zu 10.000 Hektoliter können damit im Jahr | |
gebraut werden. Der Biermarkt sei [2][eigentlich voll]. „Aber wir sehen mit | |
regional gebrautem Bier aus einer unabhängigen Innenstadt-Brauerei eine | |
Lücke im Markt.“ | |
Aus dem Biergarten kann man durch große Fenster auch in die Brauerei selbst | |
schauen. „Da stecken sechs Jahre Arbeit drin“, sagt Hengst. „Angefangen | |
haben wir zu dritt.“ Mittlerweile arbeiten 18 Mitarbeiter bei Berliner | |
Berg, es gibt auch eine erste Auszubildende. | |
Jahrelang hat Berliner Berg ihr Bier in der Neuköllner Kopfstraße | |
ausgeschenkt. Bis zum Frühjahr 2020. Dann lief der Mietvertrag aus. Umzug | |
und Expansion fielen in eine denkbar schwierige Zeit. „Das waren 18 Monate | |
Kampf.“ Mit dem Lockdown brach der Großteil des Absatzes weg. Rund 85 | |
Prozent der Produktion wurden bis dahin an die Gastronomie geliefert. „Wir | |
hatten für den Sommer vorproduziert. Das Lager war voll“, erinnert sich die | |
Geschäftsführerin. | |
Der größte Teil davon sei bei einer Charity-Aktion zugunsten der | |
Clubcommission veräußert worden. Anschließend musste die Brauerei | |
versuchen, ihr Bier über den Handel in Flaschen zu verkaufen. „Das | |
funktioniert immer besser“, so Hengst. Geliefert wird fast ausschließlich | |
innerhalb Berlins. Das Bier gibt es inzwischen bei der Supermarktkette | |
Edeka und Spätis in Neukölln, Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzlauer | |
Berg. Direkt über die Webseite der Brauerei kann man auch bestellen. | |
Parallel lief der Neubau, im Juni 2020 fand der erste Spatenstich statt. | |
„Die Verträge waren schon unterschrieben.“ Das Geld dafür kam über | |
Bankkredite und eine Förderung der Investitionsbank Berlin zusammen. | |
Möglich wurde der Bau auch durch Jägermeister-Hauptgesellschafter Florian | |
Rehm und Fritz-Gründer Mirco Wolf Wiegert, die mit | |
Minderheitenbeteiligungen in das Unternehmen eingestiegen sind. | |
Das Kontrastprogramm dazu bietet die kleine Brauerei Flessa Bräu. In der | |
Petersburger Straße in Friedrichshain wird sozusagen im Hinterhof im | |
vielleicht kleinsten Sudhaus Berlins gebraut. Der neunte Geburtstag der | |
Brauerei steht vor der Tür: „Am 31. August 2012 ist hier das erste Bier | |
rausgegangen“, erinnert sich Christoph Flessa. | |
Damit es dazu kam, waren ein paar Zufälle nötig. „Ich habe acht Jahre in | |
Mexiko gelebt“, erzählt Flessa. Das Bier schmecke dort ganz anders. „Das | |
kann man eiskalt trinken.“ Da habe er sich gedacht, dass in Mexiko bestimmt | |
noch mehr Menschen Appetit auf einen anderen Biergeschmack haben. „Dann hab | |
ich zu Hause angefangen zu brauen.“ | |
Zwischendurch ging es aber zurück nach Deutschland, um das Geld für eine | |
Brauerei in Mexiko aufzutreiben. 2012 hat Flessa dann in Friedrichshain die | |
leer stehenden Räume einer früheren Fleischerei entdeckt. „So bin ich | |
hiergeblieben.“ Inzwischen braut das kleine Unternehmen regelmäßig sechs | |
Sorten: Pilsner, Weizen, Export, „Red Lager Mandarina“ mit Aromahopfen, das | |
blumige „Extrale“ und Indian Pale Ale mit Biohopfen. | |
Dazukommen noch Sondersorten wie Staut oder Maibock. „Da machen wir dann | |
1.000 Flaschen außerhalb der Rotation, die von Hand beschriftet werden.“ | |
Das sei als Brauer sehr interessant, allerdings schwer zu vermarkten. „Bei | |
der Gärung halten wir uns an den unteren Temperaturbereich.“ So dauere die | |
Gärung zwar länger, aber es entstehen dabei auch weniger Fuselstoffe, die | |
sonst am nächsten Tag einige Probleme bereiten könnten. | |
## Dann kam Corona | |
2019 sei sein bestes Jahr gewesen, erzählt Flessa. Dann kam Corona. Für das | |
kleine Unternehmen war das dramatisch. Nicht nur der Absatz des Fassbieres | |
für die Gastronomie sei plötzlich weggebrochen, sondern auch die Braukurse, | |
die man bei ihm nehmen kann. „Uns blieb nur die Flasche.“ Mit Flyern habe | |
man im Kiez und zusätzlich über Social Media geworben. So habe die Brauerei | |
viele neue Kunden gewonnen und der Flaschenabsatz einen großen Schub | |
bekommen. | |
Das ist allerdings auch Teil des Problems. Zum einen sei die Produktion | |
sehr arbeitsaufwändig. „Wir füllen halbautomatisch ab.“ Da habe man jede | |
Flasche bestimmt 15-mal in der Hand, bevor sie verkauft werden kann. | |
Außerdem sorgte der wachsende Umsatz mit dem Flaschenbier dafür, dass die | |
Brauerei bald aus den Förderkriterien der Coronahilfen herausfiel. 2020 | |
habe das Unternehmen noch Soforthilfe bekommen. Nun sei er angesichts des | |
Aufwandes unschlüssig, ob er überhaupt noch mal versuchen sollte, einen | |
Antrag zu stellen. Noch einen Lockdown wegzustecken, werde aber | |
schwieriger, fürchtet Flessa. | |
Immerhin läuft es seit der Wiedereröffnung der Gastronomie auch beim | |
Fassbier wieder besser. Das wird jetzt in einem Biergarten im Stadtpark | |
Schöneberg ausgeschenkt. Und auch Braukurse könne er nun wieder | |
veranstalten, so Flessa. Das selbst gebraute Bier können die Teilnehmer | |
nach sechs Wochen Lagerung abholen. In acht Kneipen und Bars kommt Flessas | |
Bier aus dem Zapfhahn. Außerdem kann man die Flaschen in ein paar Spätis in | |
Friedrichshain und Wedding kaufen. Einen Bierlieferdienst gibt es für | |
Friedrichshain und die angrenzenden Kieze, den man online bestellen kann. | |
Schon richtig lang im Geschäft ist [3][Philipp Brokamp]. Im Februar 2008 | |
hat er seine Kneipe Hops & Barley in der Friedrichshainer Wühlischstraße | |
eröffnet und selbst gebrautes Bier ausgeschenkt. Der damals gebraucht | |
gekaufte 200 Liter große Braukessel steht heute als Dekoration in der | |
Kneipe. Dieser sieht man ihre Vergangenheit an. | |
Auch im Hops & Barley war mal eine Fleischerei. Der schwarz-weiße | |
Fliesenboden ist noch original, an den Wänden hängen Fotos von Fleischer | |
Schulz und seiner Familie. Durch ein Fenster kann man vom Gastraum direkt | |
in ein kleines Sudhaus schauen. Der ganze Laden ist unterkellert, was | |
perfekt sei, um die Biere nach dem Brauen für ein paar Wochen einzulagern. | |
Brokamp kommt eigentlich aus dem Münsterland. Nach einer klassischen | |
Brauerausbildung in einer Brauerei in Bayern verschlug es ihn zum Studium | |
nach Berlin. An der Technischen Universität kann man nämlich | |
Brauereitechnologie studieren. Damals habe es in Friedrichshain, Kreuzberg | |
und Prenzlauer Berg noch keine kleine Brauerei gegeben. „Da habe ich mir | |
gedacht, das müsste doch funktionieren.“ | |
Hat es offenbar. Inzwischen hat er 14 Mitarbeiter, einen Auszubildenden und | |
einen Werkstudenten. Hops & Barley beliefert auch andere Kneipen, ein paar | |
kleine im Kiez, aber auch Holzmarkt und Frannz-Club schenken zwei Sorten | |
von Hops & Barley aus. Irgendwann wurde der Laden zu eng. „Ich musste | |
Aufträge absagen, weil die Kapazität nicht mehr gereicht hat.“ Seit gut | |
fünf Jahren wird deshalb auch in Friedrichsfelde gebraut. Dort hat ein | |
Stammgast Brokamp einen Teil des alten Magerviehhofs vermietet. | |
Normalerweise seien 95 Prozent der Produktion Fassbier. Der Lockdown habe | |
die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. „Ich hätte nie gedacht, dass wir so | |
viele Flaschen verkaufen können“, sagt Brokamp. Trotz der Gentrifizierung | |
im Viertel und der vielen Touristen, die vor Corona zur Kundschaft zählten, | |
habe sich gezeigt, dass es doch erstaunlich viele Stammkunden gebe. Und die | |
seien dann gekommen, um sich ihr Bier in Flaschen abzuholen. | |
Heute kommen aus den Zapfhähnen wieder Pilsner, Dunkles und Weizen sowie | |
drei wechselnde Spezialbiere. Ein herbes Indian Pale Ale sei eigentlich | |
immer dabei und ein etwas milderes Pale Ale auch. „Aber immer mit | |
verschiedenen Hopfensorten.“ Dazu mal ein Stout oder ein Helles. „Immer | |
wieder Neues auszuprobieren, ist ja das Schöne an einer kleinen Brauerei“, | |
sagt Brokamp. Viel hänge von den Rohstoffen ab. So sei beispielsweise der | |
tschechische Hopfen „etwas kräuterig statt fruchtig“. Die Hopfensorte Lemon | |
Drop verleihe dem IPA wiederum sein spezielles Aroma. | |
Kürzlich habe er in Schweden eine Brauerei besucht und von dort gleich Malz | |
eingekauft, um es auszuprobieren. Es sei sehr spannend, was man an | |
Geschmack so herauskitzeln könne. Weiße gibt es bei Hops & Barley | |
allerdings nicht. „Das ist nicht so mein Geschmack.“ | |
21 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Marco Zschieck | |
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