# taz.de -- Billigbiere im Vergleich: Für den ehrlichen Feierabend | |
> Der Biermarkt schrumpft, auch Billigmarken müssen an ihrem Image | |
> arbeiten. Oettinger tut das pragmatisch, Sternburg setzt auf den | |
> Proletarier-Lifestyle. | |
Bild: Oettinger? Sternburg? Hauptsache: Prost! | |
Der Philosoph Roland Barthes schrieb über Wein in seiner | |
Populärkultur-Fibel „Mythen des Alltags“ (1957), er sei „vor allem eine | |
Substanz der Verwandlung“. Er mache Schwache zu Starken und gleiche | |
Intellektuelle kurz mal dem Proletariat an. Der Rausch: eine Folge, aber | |
keine beabsichtigte. | |
Da Barthes kein Deutscher war, fehlt dem Buch ein Kapitel über Billigbier. | |
Würde er es heute nachtragen, 61 Jahre nach Erscheinen der „Mythen“, müss… | |
er kaum mehr tun, als die Ratings zu verdichten, welche die User*innen der | |
Internetseite [1][bierbasis.de] dort hinterlassen. | |
„Süffig ist es, der Körper ist allerdings wie ein Picasso-Gemälde: Tausend | |
Farben hingeklatscht, und der Arsch ist da, wo sonst das Gesicht ist“, | |
steht da über [2][Oettinger Export], ein Bier aus dem bayerischen Teil | |
Schwabens. Es sehe „aus wie billiges Schlabberwasser (…) Duften tut es | |
süßlich und etwas nach Gewürzspekulatius.“ – „Metallisch, muffig und e… | |
wenig malzig.“ – „Wie war das? Mein Mund ist keine Sickergrube.“ Oettin… | |
Export sei „nicht mal Flunkyball-tauglich“ und kostet etwa 33 Cent im | |
Einzelhandel. | |
Das Leipziger [3][Sternburg Export] (um die 39 Cent) wiederum sei „nicht | |
nur ein Bier, sondern ein Lebensstil“ – „Sternburgtrinker grüßen einand… | |
an der Kasse.“ Das Bier trage „das Image vom ehrlichen Feierabend für hart | |
arbeitende Männer“. Es sei das „Standard-Accessoire in der Berliner | |
U-Bahn, speziell in der Linie 8, die ja den Wedding und Neukölln | |
verbindet.“ Ein „ehrliches Bier für Leute, die auf jeden Cent achten | |
müssen“ und gleichsam „dafür gemacht, in den Berliner Spätkaufs die prek… | |
Bevölkerung ruhig zu halten“. | |
Der Mythos Oettinger rankt sich auf bierbasis.de also um das, was in der | |
Flasche ist, den Geschmack und die physiologische Wirkung. Sternburg | |
scheint eher eingebettet in ein Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse, | |
seien das nun diejenigen eines altgedienten Proletariats oder eines | |
fresh-agilen Prekariats. Der Geschmack ist nachrangig – Hauptsache, er | |
verbindet. Die Titulation als „Billigbier“ jedoch haben Oettinger und | |
Sternburg gemeinsam, „Pennerbier“ und „Punkerbier“ stehen dann oft noch… | |
derselben Zeile. Und immer wieder „ehrlich“. Was, bitte, soll ein Bier denn | |
unehrlich machen? | |
## Werbung erst seit 2011 | |
Deutsche Brauereien setzten im Jahr 2017 insgesamt 93,5 Millionen | |
Hektoliter Bier ab, ein Rückgang von 2,5 Prozent zum Vorjahr. Auch | |
getrunken wird Bier immer weniger: Letztes Jahr waren es, nun ja, gerade | |
mal 101 Liter pro Jahr und Person. Anfang der 1990er Jahre waren es noch | |
mehr als 140 Liter Bier. | |
In diesem schrumpfenden Markt muss sich auch Billigbier behaupten. Und | |
bleibt nicht, wo jeglicher Luxus fehlt, ein Kern des Eigentlichen? Ein | |
Kern, der Ehrlichkeit ausstrahlt? Auf jene jedenfalls baut das Marketing | |
von Oettinger und Sternburg, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise. | |
Vielen Westdeutschen ist „Sterni“ nach wie vor kein Begriff, im Osten | |
dagegen ist es das meistgetrunkene Exportbier. Ab 1785 in | |
Leipzig-Lützschena gebraut, erlangte es seinen Namen 1822 durch einen neuen | |
Besitzer, den Kaufmann Maximilian Speck von Sternburg. In den 1960ern | |
exportierte die Brauerei ihr Bier bis in die Sowjetunion, man trank es auf | |
DDR-Dampfern und im Interflug. | |
Nach dem Ende der DDR stand Sternburg fast vor der Pleite, 1993 folgte dann | |
das Comeback als reklamefreies Billigbier. Werbung macht die Brauerei erst | |
seit 2011 wieder, sie dreht dabei ihr Image zum Guten: „Das trinkt man doch | |
nur in bestimmten Kreisen – Ja, in den besten.“ | |
## 600.000 Hektoliter pro Jahr | |
Brauereichef Marin Zapf erzählt gern vom Sternburg-Fanfest, das jeden | |
September in Leipzig stattfindet: Ganz selbstverständlich komme da ein | |
Rentner mit einem Abiturienten im Sternburg-Trainingsanzug oder einem Punk | |
mit Sterni-Tattoo und buntem Irokesenschnitt ins Gespräch. Ehrlich, das ist | |
wohl auch der Slogan: „Merke dir, Sternburg Bier“. H.P. Baxxter grüßt. | |
Für Zapf hat sich das, ja, subkulturelle Sternburg-Image „von selbst“ | |
entwickelt. „Authentizität nennt man das.“ Er spart aus, dass die Brauerei | |
dem Wandel von Ostalgie zum weltoffenen „Untergrund-Charme“ zumindest | |
nachhilft. Auf dem erwähnten Fest spielen heute Punkbands statt | |
DDR-Schlagerstars. „Friede den Kästen! Krieg den Palästen!“, wirbt | |
Sternburg auf einem Plakat. Die Brauerei beschwört die Nähe zum Volk und | |
den vereinenden Charakter ihres Brauwerks. Dabei gehört sie seit 2006 zu | |
Radeberger, der größten Brauereigruppe Deutschlands. | |
Sternburg ist mit etwa 600.000 Hektolitern pro Jahr ein eher kleiner Player | |
im Biermarkt, während Oettinger mit einem Gesamtausstoß von etwa 8,7 | |
Millionen Hektolitern vorne mitspielt. Neben Krombacher gehört es zu den am | |
meisten gebrauten Bieren in Deutschland. Die günstigen Preise erreicht die | |
Brauerei vor allem durch die eigene Logistik, den Verzicht auf | |
Zwischenhändler. Was Amazon macht, kann Oettinger schon lange. | |
Neben der Eigenmarke brauen Oettingers Brauereien Handelsmarken in Gotha, | |
Braunschweig und Mönchengladbach – und seit 2005 das beliebte Festivalbier | |
„5,0 Original“, ebenfalls im Billigbiersegment beheimatet. Laut der | |
Braunschweiger Biervertriebs-GmbH steht dieses Bier aus monochromen Dosen | |
„für Unterwegssein und wird von allen geschätzt, die Bier frei von | |
einengenden Traditionen genießen wollen“. Das lässt aufhorchen, soll hier | |
der Bierkonsum offenbar vollkommen entkoppelt werden von Trinkkultur, | |
Lokalkolorit und sozialer Verwurzelung. | |
## Keine genauen Zahlen zum Gewinn | |
Oettinger selbst fuhr 2017 mit einem Bully durch Deutschland und offerierte | |
einen „Blindtest“ gegen Billigbier-Klischees. Wie auf bierbasis.de ging es | |
ganz pragmatisch um den Content. Ihre Image- und Audience-Reflexion belässt | |
die bayerische Brauerei bei Allgemeinplätzen. Marketingchef Peter Böck | |
lässt ausrichten: „So vielfältig und umfangreich das Sortiment der | |
Oettinger Brauerei ist, genauso vielfältig ist auch unser Publikum.“ | |
Günther Kollmar, der 1956 die Oettinger Brauerei GmbH in ihrer heutigen | |
Form gründete, hatte vor seinem plötzlichen Tod 2013 weit mehr Freude am | |
Anecken. 2005 sagte er dem Spiegel: „Wenn ein Arbeitsloser einen anderen | |
Arbeitslosen einlädt, serviert er zwar bestimmt kein Oettinger, aus | |
Prestigegründen. Dafür stehen wir kistenweise bei ihm im Keller.“ | |
Während Oettinger den Pragmatiker mimt, ist Sternburg wohl mehr Camp mit | |
solidarischem Abgang. Beide aber promoten sie die unverhohlene Lust am | |
Simplen, als Antagonisten der wohl kuratierten Craftbiere. | |
Wie die meisten anderen Brauereien veröffentlichen beide keine genaue | |
Zahlen zum Gewinn. Aus Wettbewerbsgründen – noch so ein Mythos. | |
24 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://bierbasis.de/ | |
[2] http://bierbasis.de/bier/Original-Oettinger-Export | |
[3] http://bierbasis.de/bier/Sternburg-Export | |
## AUTOREN | |
Fabian Stark | |
## TAGS | |
Bier | |
Bier | |
Bier | |
Kiosk | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
200 Jahre Sternburg: Gesellschaftskritik endet beim Bier | |
Das Sterni-Bier feiert 200. Geburtstag. Noch immer ist es in alternativen | |
Kreisen beliebt, obwohl es längst zum Großkonzern gehört. | |
Spätis sorgen für das Wegebier: Stabile Versorgungslage | |
Bier ist das Schmiermittel, das die Spätis am Laufen hält. Dabei trinkt man | |
in Berlin immer noch am liebsten Pils. Das neue Ding aber ist Eistee. | |
Kommentar zum Alkoholverbot am Kiosk – es trifft die Armen: Verdrängung ins … | |
Der Leiter des Bezirksamts Mitte will ein Alkoholverbot an Kiosken. | |
Leidtragend wären die, für die der Kiosk ein sozialer Ort ist und die sich | |
keine Bars leisten können | |
Grenzhandel: Die Dosen-Ritter | |
Dänen kaufen gerne in Schleswig-Holsteins ein, um zu sparen, besonders bei | |
alkoholischen Getränken und Softdrinks. Jetzt aber will die dänische | |
Regierung Steuern senken und so Umsatz zurück ins eigene Land holen. |